Wissen im Wandel: Was wussten die Alten Ägypter über Schmerzmittel und Faltenbehandlung?

3500 Jahre alt, 18,6 Meter lang, 30 cm hoch: Der Papyrus Ebers ist die längste, älteste komplett überlieferte Schriftrolle zur Heilkunde Altägyptens. Das Medizinbuch der Pharaonen versammelt über 800 Rezepte gegen rund 80 Krankheiten und verbindet medizinisches Erfahrungswissen mit Religion und Magie. Es kann zu Recht als einer der wichtigsten Schätze des Kulturwelterbes der Menschheit angesehen werden, als Juwel in der Sammlung der Universitätsbibliothek Leipzig. Die wbg sprach mit Reinhold Scholl, Mitherausgeber der wbg-Neuübersetzung des Papyrus Ebers.

wbg: Der Papyrus Ebers ist eine der eindrucksvollsten und zugleich die älteste, vollständig erhaltene Quelle des Wissens über die alte ägyptische Medizin in Form einer Papyrusrolle. Wann und wo wurde diese Papyrusrolle von Herrn Ebers entdeckt?

Reinhold Scholl: Georg Ebers machte die Rolle auf seiner zweiten Ägyptenreise im Winter 1872/73 in Luxor bei einem Antiquitätenhändler ausfindig, der gleichzeitig auch als Hotelier, Reiseführer und Konsular des Deutschen Reiches fungierte. Ursprünglich soll die Rolle aus einem Grab in der Nähe des antiken Theben stammen. Mit Vorzeigen einer mitgenommen publizierten Kopie des Kalenders, der sich auf der Rückseite befindet, konnte Ebers den Preis herunterhandeln. Insgesamt liest sich die Erwerbung wie ein Abenteuer von Indiana Jones.

wbg: Wie lässt sich wissenschaftlich das Alter dieses Papyrus schätzen?

Reinhold Scholl: Das Alter von 3.500 Jahren des Papyrus Ebers ist auf dreifache Art und Weise zu ermitteln. Da ist einmal der Kalender, der das 9. Jahr des Pharao Amenophis I. nennt, da ist zum anderen die Einordnung auf Grund der Paläographie und schließlich seit 2014 eine Radiokarbonuntersuchung, die ein Zeitfenster um 1.500 v. Chr. als Ergebnis brachte.

 

»Vermutlich diente der Papyrus als Nachschlagewerk zur Ausbildung von Ärzten.«

 

wbg: Die Schrift setzt spezielles Wissen voraus. Für wen war dieser Papyrus bestimmt?

Reinhold Scholl: Genau wissen wir es nicht. Da er aber so gut wie keine Gebrauchsspuren zeigt, dürfte er nicht einem Arzt als alltägliches Nachschlagewerk in seinem Ordinationszimmer gedient haben. Auch hat er die Rolle nicht zu seinen Hausbesuchen in seiner Arzttasche mitgenommen. Man vermutet, daß die Rolle in einer Tempelbibliothek als Nachschlagewerk bei der Ausbildung von Ärzten diente. Der Schreiber selbst oder ein Nutzer hat hinter einige Rezepte das hieratische Zeichen für „gut“ „brauchbar“, „probatum“ gesetzt.

wbg: Der Papyrus enthält über 800 Rezepte gegen diverse Krankheiten? Können Sie einige Beispiele nennen?

Reinhold Scholl: Man kann unterscheiden auf der einen Seite zwischen ernsthaften Erkrankungen der wichtigen inneren Organe wie Herz, Lunge und Verdauungsorgane mit zum Beispiel Magen, Leber und Darm oder zum Teil der Sinnesorgane wie Ohren, Augen und Nase sowie Geschlechtsorgane. Auf der anderen Seite stehen nicht so ernsthafte »Erkrankungen« wie Ergrauen oder Ausfallen der Haare und Schönheitsmittel für die Haut. Der Begriff Krankheit ist also sehr weit gefasst. Neben den Rezepten, die den weitaus größten Teil der Rolle ausmachen, haben wir aber auch Lehrtexte mit Überschrift, Anamnese, Diagnose, Behandlungsanweisungen mit Rezept. Das meiste sind sozusagen auf Rezepte und deren Anwendung reduzierte Texte.

Ein Beispiel für einen Lehrtext ist Eb 195: »Wenn du einen an seinem Magen leidenden Mann untersuchst, und das, indem er oft erbricht, (und) wenn du es (das heißt das Krankheitsphänomen?) vorn an seiner Vorderseite findest, und das, indem seine Augen entzündet / gerötet sind und indem seine Nase läuft, sagst du folglich dazu: ›Das sind Fäulnisprodukte seines Sekrets. Sie steigen nicht als sein Sekret zu seiner Leistengegend hinab.‹ (Und) du bereitest ihm folglich ein Schenes-Brot aus Sut-Wildweizen aus und viel Wermutkraut; ein Debech-Messbecher werde darauf gegeben, (gefüllt) mit Zwiebeln/Knoblauch, und es / er werde mit Bier (und) fettem Fleisch vom Rind eingetrübt. Werde vom Mann gegessen (und) werde mit Bier vom Extra-Opfer hinuntergeschluckt, bis / so dass sich seine Augen öffnen und sein Chenet-Schnupfen verschwindet, indem er (zunächst) als Sekret abgegangen ist.«

Das Buch zu Harnproblemen beginnt nach der Einleitung mit einem einfachen Rezept (Eb 261): »Anfang der Heilmittel zum Beseitigen einer Festsetzung von Harn, wenn der Unterleib krank ist: Sut-Wildweizen: 37,5 cm3 Datteln: 75 cm3, Erdmandeln, gekocht: 75 cm3, Wasser: 225 cm3. Werde zermahlen; werde ausgepresst. Werde über 4 Tage hinweg getrunken.«

Bei Schönheitsmitteln denkt man unwillkürlich an das angebliche Bad der berühmten letzten Pharaonin Kleopatra VII. in Eselsmilch, das allerdings zum ersten Mal von Liz Taylor im Film als Kleopatra genommen wurde. Eselsmilch wurde allerdings im Papyrus Ebers verwendet unter anderem als Eb 565: »Ein anderes (Heilmittel) zum Beseitigen einer Schwellung in allen Körperteilen: Du bereitest ihm folglich Mittel zum Herausholen des Wassers aus der Schwellung….« Dazu gehört auch Eb 571: »Ein anderes (Heilmittel): Trockenes vom Gummiharz: 1 (Dosis), in Eselsmilch: 1 (Dosis). Werde an die Öffnung der Chesed-Geschwulst gegeben, so dass sie von selbst zerfällt. Nachdem sie zerfallen ist, legt man folglich einen ›Schwanz‹ (das heißt einen Drain) an sie. Öl / Fett werde viel darauf gegeben, ferner Schenfet-Früchte: 1 (Dosis), Natron: 1 (1 Dosis), unterägyptisches Salz: 1 (Dosis), Besen-Salz vom Ofen: 1 (Dosis), Weihrauch: 1 (Dosis), Johannisbrot: 1 (Dosis), Kerne der Dattel: 1 (Dosis). Werde mit ›Selbstentstandenem‹ vom Dattelsaft zermahlen. (Die betroffene Stelle) werde darüber verbunden.«

Als Mittel zur Gesichtsstraffung findet sich in Eb 716: Ein anderes (Heilmittel) zum Beseitigen von Zusammenziehungen (ob: Runzeln?) des Gesichts: Weihrauch(halt)iges Gummiharz: 1 (Dosis), Wachs: 1 (Dosis), frisches Olivenöl: 1 (Dosis), Gu-Gras: 1 (Dosis). Werde fein zermahlen; werde in Pflanzenbrei gegeben. Werde täglich ans Gesicht gegeben. Handle (so) und du wirst (den Erfolg) sehen!

wbg: Wie sind die Rezepte eigentlich aus Sicht der heutigen Medizin einzuschätzen?

Reinhold Scholl: Das ist nicht so einfach zu beantworten. Klassische Schulmedizin tut sich erfahrungsgemäß schwer mit andersartigen Heilmethoden, wohingegen alternative Medizin eher aufgeschlossen ist. Besonders die Phytotherapie verweist sehr oft auf den Papyrus Ebers und auf mit Heilpflanzen angefertigte Rezepturen. Aber auch die Klassische Medizin findet in bestimmten Pflanzen Bestandteile, die in der heutigen Medizin verwendet werden.

 

»Ein mehrfach erwähntes Hausmittel enthält Teile der Weide mit Salicin – heute enthalten im Schmerzmittel Aspirin.«

 

Ein einige Male erwähntes Heilmittel sind Teile der Weide, die sich im Papyrus Ebers in Rezepturen für äußere Anwendungen bei Entzündungen und Wunden und sogar Knochenbrüchen in Form eines Verbandes finden. Weidenteile, in erster Linie Rinde und Kätzchen, enthalten Salicin, was in dem Schmerzmittel schlechthin, nämlich, Aspirin, als ASS (Acetylsalicylsäure) enthalten ist. Doch kannten die Alten Ägypter noch nicht die innere Anwendung.

Eine weitere Schwierigkeit bei der Nachbereitung der Rezepturen besteht darin, daß 70-80 % der Ingredienzien nicht identifiziert sind. Man kann lediglich oft nur die Zuordnung zu Tieren, Pflanzen oder Mineralien vornehmen. Wenn man doch die modernen Namen der Zutaten kennt, bleibt die Mengenangabe oft das Problem, besonders dann, wenn es wie unten im Beispiel Eb 465 heißt, daß das übliche Maß verwendet werden soll. Und bekanntermaßen ist die Dosis entscheidend, wie schon Paracelsus formuliert hat: »Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, daß ein Ding kein Gift sei.«

wbg: Ihr Lieblingsrezept?

Reinhold Scholl: Eb 465: »Ein anderes (Heilmittel) zum Wachsen-Lassen der Haare eines Kahlen: Fett eines grimmig blickenden Löwen: 1 (Dosis), Nilpferdfett: 1(Dosis), Krokodilsfett: 1(Dosis), Katzenfett: 1 (Dosis), Schlangenfett: 1(Dosis), Steinbockfett: 1(Dosis). Werde zu einer homogenen Masse gemacht. Der Kopf des Kahlköpfigen werde damit eingerieben.« 1 (Dosis) steht für übliches Maß.

Es handelt sich scheinbar um ein einfaches Rezept, lediglich die Beschaffung der Zutaten bereitet Schwierigkeiten und die Mengenangabe. In diesem Rezept finden sich auch die zwei Heilmethoden der Altägyptischen Heilkunde, nämlich, similia similibus curantur (Löwe bzw. Löwenmähne mit viel Haar) und contraria contrariis curantur (Schlangen ohne Haare) und auch die Mischung aus beiden.

 

Über das Buch »Papyrus Ebers«

3500 Jahre alt, 18,6 Meter lang, 30 Zentimeter hoch: Der Papyrus Ebers ist die längste, wichtigste, schönste, älteste komplett überlieferte Schriftrolle zur Heilkunde Altägyptens. Das Buchprojekt bietet eine Neuübersetzung, die auf modernem Kenntnisstand ganz neue wissenschaftliche Einschätzungen der vielen Heilmittel erlaubt. Zusammen mit einleitenden Essays bringt der Band dieses Schlüsseldokument der globalen Geistesgeschichte eindrucksvoll zur Geltung, macht es anschaulich und lesbar.

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Weiterführende Links

Unser Tipp für Sie: Die arte-Doku
Magie & Medizin - Das Geheimwissen der Alten Ägypter.

 

 

 

 

Zu den Beteiligten

Reinhold Scholl ist Professor für Alte Geschichte am Historischen Seminar der Universität Leipzig und war zwanzig Jahre lang Kurator der 1902 gegründeten Papyrus- und Ostrakasammlung der Universitätsbibliothek Leipzig. Er ist Mitherausgeber der wbg-Neuübersetzung des Papyrus Ebers.

 

Tags: wbg, Beitrag
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