Ein Gespräch zwischen wbg-Lektor Daniel Zimmermann und dem Historiker Klaus-Jürgen Bremm aus Anlass des 125. Todestags Otto von Bismarcks
Daniel Zimmermann: Als Otto Fürst von Bismarck – wir wollen ihn ehrenhalber hier mal so nennen – vor 125 Jahren, am 30. Juli 1898, in Friedrichsruh starb, ordnete Kaiser Wilhelm II. ein Staatsbegräbnis in der Hohenzollerngruft im Berliner Dom an. Derselbe Wilhelm II., der Bismarcks Rücktritt erwirkt hatte. Wieso dieser Sinneswandel?
Klaus-Jürgen Bremm: Der Kaiser hatte keine andere Wahl, da der Alte aus dem Sachsenwald mit Erfolg alles tat, um nicht in Vergessenheit zu geraten. So blieb Wilhelm II. nichts anderes übrig, als sich wenigstens offiziell wieder mit Bismarck zu versöhnen und ihn sogar in dessen Friedrichsruher Exil zu besuchen. Das konnte den Reichskanzler außer Dienst jedoch nicht davon abhalten, immer wieder brisante Dokumente aus den diplomatischen Akten an die ihm gewogenen Zeitungen zu lancieren.
Bismarcks Groll gegen den Monarchen sollte sogar über seinen Tod hinaus reichen. Auf keinen Fall wollte er, dass der stets um den großen Auftritt bemühte Wilhelm später aus seinem Leichenbegängnis eine große Inszenierung machen würde. Deshalb hatte Bismarck testamentarisch verfügt, in Friedrichsruh bestattet zu werden. Als der Kaiser, der bei Eingang der Todesnachricht seine Nordlandreise sogleich unterbrochen hatte, endlich im Sachsenwald eintraf, war der Bleisarg mit dem alten Kanzler bereits zugelötet. Nicht einmal den Auftritt am offenen Grab hatte er dem Hohenzollernerben gegönnt.
Bismarck und der junge Kaiser Wilhelm II., vermutlich 1888.
D.Z.: Als Bismarck 1890 ‚von Bord‘ ging, schrieb Theodor Fontane: „Es ist ein Glück, dass wir ihn los sind. (…) Seine Größe lag hinter ihm.“ Die Öffentlichkeit schien mehrheitlich erleichtert zu sein über das Ende der Ära Bismarck. Acht Jahre später aber, nach seinem Tod, setzte eine beispiellose „Bismarckmania“ ein. Dieser Umschwung in der öffentlichen Meinung erstaunt.
K.-J. Bremm: Fontane, der Bismarck nur um zwei Monate überlebte, hatte mit seinem Diktum durchaus recht. Die „Größe“ lag längst hinter ihm. Im Kampf gegen Katholiken und Sozialisten hatte sich der alte Kanzler aufgerieben und verrannt. Alle seine Verbündeten hatte er verprellt und teils sogar zu erbitterten Feinden gemacht. Bismarcks politische Manöver zur Wahrung seiner Macht waren längst bizarr und untragbar geworden. Der spätere Umschwung in der Bewertung seiner Person ist tatsächlich kaum nachvollziehbar. Anders als etwa die Verklärung Friedrichs des Großen, dessen Tod nach dem Zeugnis Mirabeaus zunächst auch allgemeine Erleichterung ausgelöst hatte, vollzog sich die „Bismarckmania“ nicht etwa in einer Phase des preußischen Niedergangs wie nach 1806, sondern in einem selbstbewusst auftrumpfenden Staat, der Kolonien erwarb, eine Flotte baute, dessen Wirtschaft boomte und dessen Universitäten Weltruf genossen. Anlass zu sentimentalen Rückblicken bestand auf den ersten Blick also nicht.
Doch vielleicht spürten viele Zeitgenossen, dass man mit hohem Risiko in unruhigen Gewässern fuhr, und sehnten sich daher nach verlässlicher Führung. Das Bild des erprobten Lotsen lebte ja auch ein Jahrhundert später wieder auf, als Altkanzler Helmut Schmidt, der Mann, der gelegentlich auch mit der Prinz-Heinrich-Mütze auftrat, seinen 90. Geburtstag erlebte und in den Medien als der „Elder Statesman“ gefeiert wurde. Wegen seiner Rolle im „Deutschen Herbst“ hatten die Westdeutschen ihn zwar respektiert, aber nie so verehrt wie etwa Willi Brandt. Das änderte sich erst viel später. Auf die Ratschläge seines damals erschienenen und erfolgreichen Buches „Außer Dienst“ hat das politische Establishment allerdings bis heute nicht gehört.
D.Z.: Bismarcks historische Leistung wie auch seine Person, sein Charakter haben in den vergangenen sechs oder sieben Generationen die unterschiedlichsten Beurteilungen gefunden. Wir wollen und können dies hier gar nicht nachzeichnen.
Sie schreiben gerade an einem Buch zum Deutsch-dänischen Krieg 1864, dem ersten der deutschen Einigungskriege. Anfang 1864 ist Bismarck nicht mal zwei Jahre preußischer Ministerpräsident. Welche Rolle spielte Bismarck beim Ausbruch dieses Krieges?
K.-J. Bremm: Bismarck spielte von Anfang an die Hauptrolle, obwohl er trotz aller innenpolitischen Nöte nie Eile hatte, in die nordelbische Causa einzugreifen. Schon in den 1850er-Jahren hatte er die Befürchtung geäußert, dass die Loslösung der beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein zu einem neuen deutschen Bundesstaat führen musste, der gewiss auf Seiten Österreichs stehen und damit Preußens Stellung in Deutschland schwächen würde. Doch als die Dänen im November 1863 vom Londoner Protokoll abrückten, das 1852 ein Verbot der verfassungsrechtlichen Einbindung des Herzogtums Schleswig festgelegt hatte, blieb ihm keine andere Wahl. Dass jetzt auch die Österreicher aus Sorge vor einer drohenden Volksbewegung zugunsten des Prätendenten aus dem Hause Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg in den beiden nordelbischen Herzogtümern Bismarcks Forderung nach einer Rückkehr auf den Boden des Londoner Protokolls unterstützten, erlaubte ihm das Losschlagen. Er wusste, dass die beiden deutschen Vormächte in der dänischen Frage für die übrigen Mächte kaum angreifbar waren, solange sie zusammen agierten.
D.Z.: Der Krieg von 1864 kann als voller Erfolg für Preußen gelten. War er auch gut für Europa?
K.-J. Bremm: Nehmen wir einmal an, die Franzosen wären 1864 im Zuge einer durchaus denkbaren Intervention der europäischen Großmächte bis zum Rhein vorgestoßen und hätten, vielleicht sogar dauerhaft, die Trikolore über Mainz, Koblenz und Köln gehisst. Hand aufs Herz, lieber Herr Zimmermann, hätten Sie dann auch gefragt, ob das gut für Europa gewesen wäre? Die Frage stellt sich mir also nicht wirklich. Denn die Preußen haben mit ihrer Intervention in Schleswig nur ihre Möglichkeiten genutzt, wie es die Russen oder der „Schnäppchenjäger“ Napoleon bei passender Gelegenheit ebenso getan hätten und auch getan haben.
Hinter der Frage, ob der Erfolg Bismarcks gut für Europa gewesen war, steckt natürlich auch immer der Blick auf 1914. Preußens leichtem Sieg über Dänemark schlossen sich noch seine Triumphe über Österreich und Frankreich, und schließlich die Gründung des Deutschen Reiches an. Immerhin folgte auf 1871 ein erstaunlich langer Friede von 43 Jahren, ehe der Lothringer Raymond Poincaré im Juli 1914 anlässlich seines Besuches in St. Petersburg die Russen zu einer übermäßig harten Haltung gegen Österreich gedrängt hat. Christopher Clark hat das ja alles sehr eindrucksvoll in seinen „Schlafwandlern“ beschrieben, so dass man als Leser beinahe geneigt ist zu sagen, dass nicht der Poltron Wilhelm II, sondern der französische Staatspräsident die tatsächliche Verhängnisgestalt in der Geschichte Europas war.
D.Z.: Lieber Herr Bremm, Sie leben in Osnabrück. Welche Gedenkstätten und Bismarck-Spuren finden sich dort?
K.-J. Bremm: Erstaunlicherweise hat sich trotz des auch in Osnabrück grassierenden „Wokismus“ fast ein ganzer Stadtteil gehalten, in dem (noch!) Straßen und Plätze nach den Größen und Ereignissen des letzten Einigungskrieges benannt sind. Es handelt sich hierbei mit dem Westerberg sogar um das nobelste Viertel der Stadt. Natürlich gibt es neben der Moltke- und Roonstaße auch eine Bismarckstraße sowie einen Bismarckplatz. Der großzügigste Platz ist freilich der Straßburgerplatz mit großem Denkmal für die Gefallenen des Kriegs von 1870/71. Deutlich länger als die Bismarckstraße ist erstaunlicherweise die nach dem unterlegenen Augustenburger Kandidaten benannte Straße. Ein Bismarckdenkmal oder eine Bismarckschule gibt oder gab es in Osnabrück nicht. Die Stadt wurde ja erst 1866 preußisch, und auch nicht freiwillig, und überdies zählt sie den aus dem benachbarten Ostercappeln stammenden katholischen Zentrumspolitiker Ludwig Windthorst, der am hiesigen Carolinum sein Abitur machte, zu ihren prominentesten Söhnen. Das Denkmal des langjährigen Widersachers Bismarcks im Reichstag steht heute in der Nähe des Doms.
Windthorst-Denkmal in Osnabrück (Foto: Wikimedia Commons, J.-H. Janßen).
D.Z.: Lieber Herr Bremm, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!
Über das Buch
Am 1. Februar 1864 marschierten preußische und österreichische Truppen im Königreich Dänemark ein. Der Deutsch-dänische Krieg ist der erste der drei sogenannten deutschen Einigungskriege. Genauso anschaulich wie sachkundig erzählt der bedeutende Militärhistoriker Klaus-Jürgen Bremm von den Kriegsgründen wie von dessen Verlauf, schildert Schlachten und zeigt, welche enorme Bedeutung dieser Krieg hatte, der maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung des deutschen Nationalstaats und Kaiserreichs von 1871 hatte.
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Zu den Beteiligten
Klaus-Jürgen Bremm: Das Spezialgebiet des Historikers und Publizisten Klaus-Jürgen Bremm ist die Technik- und Militärgeschichte. Von ihm stammt die erste Darstellung zum Deutsch-Österreichischen Krieg »1866. Bismarcks Krieg gegen Habsburg« (2016). Daneben veröffentlichte Bremm zahlreiche sehr erfolgreiche Sachbücher wie »70/71. Preußens Triumph über Frankreich und die Folgen« (2019) und »Die Türken vor Wien« (2021).
Daniel Zimmermann lebt in Mainz und ist Programmmanager im wbg-Lektorat Geschichte. Dort ist er zuständig für die Programme wbg Theiss, wbg Edition, wbg Academic und wbg Zabern.