Actium, 31 v. Chr.: Ein packendes Geschichtsepos

Ein Gastbeitrag von Barry Strauss

An einem Septembertag vor über zweitausend Jahren kämpften – und starben – fast 200 000 Mann, die Besatzungen von 600 Kriegsschiffen, im Kampf um die Herrschaft über ein Reich, das sich damals schon von der Normandie bis zum Euphrat erstreckte und später noch weiter wachsen würde, bis es vom heutigen Edinburgh bis an den Persischen Golf reichte. Das Schicksal dieses Reichs lag in den Händen einer Frau und zweier Männer. Bei der Frau handelte es sich um eine der berühmtesten Königinnen der Geschichte: Kleopatra.

Kleopatra war mehr als bloß die Königin der Herzen und Ikone des Glamours, als die William Shakespeare und Elizabeth Taylor sie später unsterblich machen sollten, sondern eine der brillantesten und einfallsreichsten Frauen in der Geschichte der Staatskunst. Sie war zumindest zum Teil Makedonierin, zum Teil Perserin und wahrscheinlich zum Teil auch Ägypterin.

 

»Kleopatra war eine der brillantesten und einfallsreichsten Frauen in der Geschichte der Staatskunst.«

 

Kaum eine Frau hat jemals eine dermaßen entscheidende Rolle in der Strategie und Taktik eines Krieges gespielt, der den Fortgang der Weltgeschichte bestimmen sollte, wie Kleopatra. An ihrer Seite kämpfte ihr Geliebter Marcus Antonius, dem Shakespeare das berühmte »Freunde, Römer, Landsleute!« in den Mund legte, jener Mann, der nach den Iden des März auf dem Forum Romanum eine Lobrede auf Iulius Caesar hielt und auf dem Schlachtfeld bei Philippi Caesars Mörder zur Strecke brachte.

Der Gegner der beiden war Octavian, der künftige Kaiser Augustus und vielleicht wichtigste Reichsgründer, den die westliche Welt je gekannt hat. Ihm zur Seite stand Marcus Vipsanius Agrippa, sein unentbehrlicher Admiral und seine rechte Hand. Auch wenn man ihn oft übergeht, war Agrippa der eigentliche Architekt von Octavians Sieg. Er und sein Dienstherr bildeten eines der bedeutendsten Zweiergespanne der Geschichte. In Actium nur im Geiste anwesend war Kleopatras Rivalin um Antonius’ Zuneigung: Octavians Schwester Octavia, von der Antonius sich gerade hatte scheiden lassen. Octavia gilt traditionell als unterwürfige, langmütige Frau, doch in Wirklichkeit war sie eine fähige Agentin, die ihrem Bruder direkt aus dem Schlafzimmer seines wichtigsten Konkurrenten Bericht erstattete. Wie so oft in der Geschichte hatten auch und gerade die scheinbar unbedeutenden Akteure großen Einfluss.

 

»Actium war das entscheidende Ereignis, und seine Folgen waren enorm. Hätten Antonius und Kleopatra gesiegt, hätte sich der Schwerpunkt des Römischen Reiches nach Osten verlagert.«

 

Actium war das entscheidende Ereignis, und seine Folgen waren enorm. Hätten Antonius und Kleopatra gesiegt, hätte sich der Schwerpunkt des Römischen Reiches nach Osten verlagert. Alexandria in Ägypten hätte mit Rom als Reichshauptstadt konkurriert. Ein mehr in Richtung Osten orientiertes Imperium hätte dem späteren Byzantinischen Reich geähnelt. Zweifellos hätte es dort einen stärkeren Fokus auf der griechischen, ägyptischen und jüdischen Kultur und anderen Kulturen im östlichen Mittelmeerraum gegeben, als die lateinischsprachige Elite des kaiserlichen Rom ihn gestattete. Gut möglich, dass ein solches Römisches Reich darauf verzichtet hätte, Britannien zu erobern und sich mit den Germanen herumzuschlagen. Und vielleicht hätte es generell keine so deutlichen Spuren in Westeuropa hinterlassen. Aber den Sieg trug Octavian davon.

Rund zwei Jahre nach der Schlacht, um 29 v. Chr., weihte er an der Stelle, wo damals sein Hauptquartier gestanden hatte, ein Siegesdenkmal. Folgende Inschrift hatte er hineinmeißeln lassen: »Der siegreiche Feldherr [imperator] Caesar, Sohn eines Gottes, Sieger in dem Krieg, den er im Namen der Republik in dieser Region führte, als er zum fünften Mal Konsul war und zum siebten Mal zum siegreichen imperator ernannt wurde, weihte Mars und Neptun, nachdem zu Lande und zur Wasser der Frieden gesichert war, das mit Beute aus dem Seekrieg geschmückte Lager, von dem aus er in die Schlacht gezogen war.«

Vom Denkmal aus hatte man einen weiten Blick. Im Nordosten lag der Golf von Actium (der heutige Ambrakische Golf), im Südwesten die Insel Leukas (heute Lefkas oder Lefkada), im Westen das Ionische Meer. Im Nordwesten sah man die Inseln Paxos und Antipaxos, im Norden die Berge von Epirus. Wer von unten den Hügel hinaufblickte, sah das Siegesdenkmal, egal ob vom Land oder vom Meer aus. In der Ebene unterhalb des Denkmals gründete der Sieger, wie es die großen Eroberer des Altertums zu tun pflegten, eine neue Stadt. Er nannte sie »Stadt des Sieges«, auf Griechisch Nikopolis. Jahrhundertelang war sie eine florierende Hafen- und Provinzhauptstadt und ein beliebtes Touristenziel, wo alle vier Jahre ein Sportfest stattfand, die Aktischen Spiele.

Die »Stadt des Sieges« – kaum waren die Soldaten fort, traten die Mythenmacher auf den Plan. War Actium wirklich so ein überwältigender Sieg? Geht man nach den beeindruckenden Marmorbauten, den Legionen von Verwaltungsbeamten und den Spitzensportlern, die sich hier alle vier Jahre bejubeln ließen, dann muss er es wohl gewesen sein. Die Geschichtsbücher sehen das genauso, aber wie üblich wurden die Geschichtsbücher von den Siegern geschrieben. Octavian bzw. Augustus, wie er sich schon bald nennen ließ, hätte zweifellos dem Diktum des britischen Premierministers Winston Churchill zugestimmt, der einmal sagte, die Geschichte werde gnädig mit ihm umgehen, »da ich beabsichtige, sie selbst zu schreiben«. In Nikopolis schrieb Augustus seine Geschichte in Stein.

Und mit Tinte schrieb er sie ebenfalls – in seinen Memoiren, die schon in der Antike berühmt waren, heute aber leider verloren sind. Immerhin finden sich Teile davon in anderen antiken Werken, die erhalten sind. Doch diese liefern lediglich ein skizzenhaftes Bild von Actium, und sie widersprechen einander in einigen wichtigen Punkten. Außerdem fehlt uns Antonius’ und Kleopatras Version der Ereignisse, die in den erhaltenen Quellen nur wenige Spuren hinterlassen hat. Was wirklich geschah, ist schwer zu rekonstruieren.

Actium war eine wichtige Schlacht, aber sie stand nicht für sich allein. Sie war der Höhepunkt eines sechsmonatigen Feldzugs mit diversen Gefechten zu Land und zur See. Ein Jahr später folgte ein kurzer, aber entscheidender Feldzug in Ägypten. Außerdem waren im Ptolemäischen Krieg (wie man den Krieg zwischen Antonius und Octavian von 32 bis 30 v. Chr. nennt) längst nicht alle Operationen militärischer Natur: Eine wichtige Rolle spielten auch Diplomatie, Propaganda, Manipulation und »Fake News«, wirtschaftliche und finanzielle Konkurrenz sowie alle Facetten menschlicher Emotion, nicht zuletzt Liebe, Hass und Eifersucht.

 

Über das Buch »Die Geburt des Römischen Kaiserreichs«

Es war eine der größten Seeschlachten der Antike und ein entscheidender Wendepunkt der antiken Geschichte. Mehr als 600 Schiffe, fast 200 000 Männer und eine Frau kämpften vor der griechischen Hafenstadt Actium um Caesars Erbe. Als Antonius sich in die ägyptische Herrscherin Kleopatra verliebte und Octavian in Rom offen gegen den Rivalen agitierte, zerbrach das Bündnis zwischen dem altgedienten General und dem jungen Adoptivsohn Caesars. Erneut brach ein Bürgerkrieg aus.

Packend schildert Barry Strauss die Ereignisse dieses in seiner Bedeutung oft verkannten Krieges. Zahlenmäßig überlegen, nicht zuletzt der schlagkräftigen ägyptischen Flotte wegen, waren die Truppen von Antonius und Kleopatra. Doch es gelang Octavians genialem Feldherrn Agrippa, ihnen den Nachschubweg abzuschneiden. Am 2. September 31 v. Chr. kam es zur alles entscheidenden Schlacht. Der Sieg bei Actium ermöglichte es Octavian, der sich schon bald Augustus nannte, ein Reich aufzubauen, das fast 500 Jahre bestand.

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Zu den Beteiligten

Barry Strauss ist Professor für Alte Geschichte und Klassische Archäologie an der Cornell University (USA). Er ist einer der führenden Experten auf dem Gebiet antiker Militärgeschichte. Weiterhin sind von ihm erschienen ›The Battle of Salamis‹, ›The Trojan War‹ (dt. ›Der Trojanische Krieg‹, Theiss 2008), ›The Spartacus War‹ und ›Masters of Command‹.

 

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