Carl Erdmanns Begriff vom heiligen Krieg

Ein Beitrag von Folker Reichert

Die Vorgeschichte des Kreuzzugsgedankens reicht weit zurück. Sie hat auch zunächst nichts mit heiligen Kriegen, schon gar nichts mit Kreuzzügen zu tun, sondern nahm vom Begriff des „gerechten Kriegs“ (bellum iustum) ihren Ausgang. Der heilige Kirchenvater Augustinus hatte die Weichen gestellt, weitere prominente Autoren ergriffen das Wort. Sie alle trieb eine Grundfrage christlichen Denkens und Handelns um: Durfte ein Christenmensch Waffengewalt ausüben, und in welchem Umfang sollte die Kirche an Kriegen teilnehmen können? Gab es für Kriegerheilige wie Georg, Demetrius oder Mauritius überhaupt einen Platz im christlichen Glauben? Oder sollte man dem Beispiel der Thebaischen Legion folgen, also wie die Legionäre den Gehorsam verweigern und das Martyrium erleiden?
Ein Konsens schälte sich allmählich heraus: Ein Krieg durfte als gerecht, die mit ihm verbundene Gewaltausübung als legitim gelten, wenn er ausschließlich zum Zweck der Verteidigung diente, und wenn er zur Verteidigung des Christentums bzw. der Kirche diente, dann konnte er als bellum Christi oder als Krieg im Namen Gottes bezeichnet werden.

 

 

Erdmann operierte mit einem weit gefassten Begriff vom heiligen Krieg. Als ein solcher könne „jeder Krieg gelten, der als religiöse Handlung aufgefasst oder sonst zur Religion in eine direkte Beziehung gesetzt wird“ (S. 17). „Gewaltanwendung um der Religion willen“ sei sein entscheidendes Merkmal (S. 227, 231). Man kann einwenden, dass es lange Zeit im lateinischen Schrifttum keine Bezeichnung für den heiligen Krieg gab. Erst im späteren und ausgehenden 11. Jahrhundert wurden sancta bella, und zwar immer gegen die Feinde der römischen Kirche, in Erwägung gezogen. Wie später im Fall der Kreuzzüge klaffte die Kluft zwischen Phänomen und Benennung weit auseinander. Doch Erdmann ging es nicht um die Begriffe, sondern um die Benennung all jener Faktoren, die zunächst auf die Rechtfertigung, dann die Heiligung der Kriegführung hinwirkten und schließlich in die gedankliche Begründung der Kreuzzugsbewegung einmündeten.

 

»Schließlich stand am Anfang der christlichen Reichsgeschichte eine Fahne …«

 

Erdmanns Untersuchung bricht dort ab, wo die Kreuzzüge im herkömmlichen Sinn einsetzten. Sie nimmt nicht nur deren schriftliche Begründungen in den Blick, sondern auch die Symbole und Praktiken, die den religiösen Charakter eines Kriegs für jedermann sichtbar machen sollten – Fahnen zum Beispiel. Damit betrat er ein Forschungsfeld, das von der Mediävistik bis dahin wenig beachtet worden war, aber seinerzeit Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen begann. Vor allem Percy Ernst Schramm hatte – angeregt durch Aby Warburg – auf die Herrschaftszeichen der römisch-deutschen Kaiser und deren Bedeutung hingewiesen. Erdmann zitierte Schramm eifrig, ließ sich von ihm beraten und wusste, dass er sich auf einem ungewöhnlichen Weg befand. Schon früher hatte er über Fahnen als Feld- und Herrschaftszeichen geforscht. Dadurch wurde er nicht zum Vexillologen, wie man die Vertreter einer hilfswissenschaftlichen Subdisziplin nennt. Vielmehr nutzte er deren Potenziale um zu zeigen, wie weltliche Zeichen mit geistlichem Sinn aufgeladen werden konnten. Schließlich stand am Anfang der christlichen Reichsgeschichte eine Fahne: Konstantins Labarum, das das Christusmonogramm trug. Erst recht, nachdem sich das Christentum im Römischen Reich und den Nachfolgereichen konkurrenzlos durchgesetzt hatte, wurden Fahnen gesegnet, Kirchenfahnen in die Schlacht getragen, geweihte Fahnen erbeten, Heilige als Fahnenträger dargestellt und deren Zeichen wundertätige Wirkungen zugeschrieben. Erdmann ging so weit, nicht in gelehrten Erörterungen oder kirchlichen Vorschriften, sondern „im Reiche der Symbole“ den „entscheidende[n] Schritt zur Ausbildung des heiligen Krieges“ zu erkennen (S. 45). Als dann die Teilnehmer an den Kreuzzügen sich unter eine Kreuzesfahne scharten, durften sie sich in einer weit zurückreichenden und deshalb selbstverständlichen Tradition sehen.

 

Über das Buch

Carl Erdmanns „Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens“ (1935) gilt bis heute international als Klassiker. Nach Jahrzehnten nun macht die wbg dieses Meisterwerk der Geschichtsschreibung wieder zugänglich, versehen mit einem Nachwort von Folker Reichert. Damit ist das Hauptwerk des aufrechten Historikers nun endlich wieder zugänglich.

»Ein Klassiker, dessen Lektüre sich bis auf den heutigen Tag lohnt.«
– Folker Reichert

 

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Weiterführende Links

Carl Erdmanns Einschätzung der Päpste
Zur Rezeption von Carl Erdmanns Werk

 

Zu den Beteiligten

Carl Erdmann (1898-1945) gilt als einer der bedeutendsten deutschen Mediävisten des 20. Jahrhunderts, sein Hauptwerk „Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens“ als Klassiker. Dabei hatte der 1932 Habilitierte nie einen Lehrstuhl inne, sondern fristete seine letzten Lebensjahre als überzeugter Gegner der Nationalsozialisten im akademischen Prekariat. An ihn erinnert auch der Preis des Verbands der Historikerinnen und Historiker Deutschlands (VHD) für herausragende Habilitationen im Bereich Geschichte.

 

Prof. Dr. Folker Reichert, geb. 1949, lehrte Mittlere Geschichte an der Universität Stuttgart. Er ist einer der besten Spezialisten für die Geschichte des Reisen, der Entdeckungen und der Fremdwahrnehmung im Mittelalter.

 

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