Die Geschichte eines Exorzismus im Rom des 19. Jahrhunderts

Ein Abend in Rom im Dezember 1834: Zwei Jesuiten klopfen an eine Tür in der Via di Sant'Anna. Sie sind gerufen worden, um eine junge Frau vom Teufel zu befreien. Im Generalarchiv der Gesellschaft Jesu hat die Historikerin Fernanda Alfieri das Tagebuch dieses Exorzismus entdeckt. Es ist nicht nur ein zutiefst verstörender Bericht, in dem der Teufel selbst Beleidigungen und derbe Witze im römischen Dialekt von sich gibt. Es ist auch ein außerordentliches Zeugnis der Spannungen einer Epoche zwischen Aufbruch in die Moderne und Restauration. Auf der einen Seite steht die Kirche mit der Überzeugung, dass das Böse von dem Körper des Mädchens Besitz ergriffen hat. Auf der anderen Seite steht die wissenschaftsbasierte Medizin. Die Priester, die Eltern, die Ärzte, sie alle sind hin- und hergerissen zwischen Aberglauben und moderner Welt. Der folgende Ausschnitt stammt aus den Originalaufzeichnungen der Jesuiten und beschreibt den ersten Kontakt, den die Kleriker mit der Besessenen machten.

 

Leseprobe

23. Dezember 1834

Pater Kohlmann ließ sich nach Betreten des Hauses vom Vater der Besessenen, Signor Giovanni, berichten und hörte die merkwürdigen Dinge, die der Teufel tat. Dann betrat er das Zimmer der jungen Frau. Sie war ruhig. […]

Man fühlte ihr den Puls: Er war normal. Seit vier Jahren hatte sie nicht mehr gebeichtet, und wiederholte unter großem Wehklagen: Werde ich die heiligen Sakramente nicht empfangen? Werde ich in die Hölle kommen?

Sie wurde gefragt, ob sie die Beichte ablegen wolle. Sie antwortete: Oh, wie gern! Ja, ja.

Ob sie je daran gedacht hatte zu beichten? Sie antwortete: Ja. Aber wenn die Beichte begann, fühlte ich eine große Wut gegen den Priester in mir hochsteigen, und konnte nicht weitermachen. Wollte es tun, rief die Gottesmutter an, konnte aber nichts sagen.

Bruder Bechmans verließ das Zimmer. Die Besessene gab Pater Kohlmann haarklein Auskunft über ihr ganzes Leben, und dann sagte sie, dass sie die Beichte bei ihrem Pfarrer, dem hochwürdigen Pater Vincenzo [rectius: Tommaso] Manini, dem Kuraten von San Carlo ai Catenari, ablegen würde. Pater Kohlmann rief Bruder Bechmans wieder ins Zimmer. Die Besessene war ganz ruhig, und mit freundlichem Gesicht sagte sie zu dem Bruder: Empfehlt mich der Mutter Gottes. Dann zu Pater Kohlmann gewandt: Empfehlen Sie mich Gott in der Heiligen Messe, dass er mich von dem Dämon befreit, wenn nicht, werde ich erst im Tod Frieden finden, so Gott will.

Der Pater verabschiedete sich und sagte: Leben Sie wohl. Er wollte sie aber segnen. Nahm das Weihwasser. Legte die Hand aufs Bett. Gebot dem Teufel mit den Worten: Praecipio tibi Satanas, ut relinquas eam liberam donec confiteatur.[1] Dann segnete er sie mit den Worten: Te cum prole pia benedicat Virgo Maria.[2]

Bei diesen Worten fing die Besessene an zu schreien, warf die Beine in die Luft, spreizte die Arme, sodass sie nur noch mit dem Kopf und den Schultern drei oder vier Fingerbreit auf dem Bett lag, die Arme weit geöffnet und in heftiger Bewegung, der übrige Körper zitterte. Das Leintuch lag über ihr.

Dann fing sie mit lauter und wütender Stimme an zu schreien: Du Schandkerl, du Schandkerl, verschwinde, was hast du hier zu suchen? Wer hat dich geschickt? Warum mischst du dich ein? So schrie sie immer weiter.

Der Pater legte ihr seine Stola auf den Kopf. Als er hörte, dass die Besessenheit begonnen hatte, kam der Pater Kurat, der bereits im Hause war, in das Zimmer und trat neben Pater Kohlmann. Dieser probierte es mit verschiedenen Befehlen und auf Lateinisch befahl er dem Teufel lateinisch zu sprechen.

Er antwortete: Ich will diese lästerliche Sprache nicht verwenden. Der Pater bedrohte den Teufel mit den Strafformeln.

Der Teufel antwortete lachend: Ihr seid taktvoll.

Der Pater befahl: Exi.[3]

Er antwortete: Nein. Was geht dich das an? Heute nicht.

Wann wirst du verschwinden?

Er antwortete: Am dreizehnten.

Wann wird das sein?

Das sage ich nicht.

Wie heißt du?

Er antwortete: Das ist zu viel. Verschwinde.

Adiuro te ut mihi dicas nomen.[4]

An einem anderen Tag, heute nicht.

Der Pfarrer sagte dann zu Pater Kohlmann: Belegen Sie ihn mit Strafe, steigern Sie die Strafe (soll heißen, verwenden Sie die Strafformeln).

Der Pater drohte Strafen an: Sicut stella coeli, et aquas maris.[5]

Der Teufel fragte schreiend und vor Wut schnaubend: Wer hat dir das erlaubt? Gottvater, sagte der Pater. Und der Teufel: Ich werde ihm nie Ehre erweisen, und dabei lachte er.

Der Pater erhöhte die angedrohten Strafen, wenn der seinen Namen nicht nennen wollte. Er antwortete: Jetzt hast du mich erwischt, und er sagte, sein Name sei Satanas. Und da der Pfarrer dem Pater die notwendigen Dinge vorschlug, sagte der Teufel zu diesem: Verschwinde du Ignorant. Der Pater antwortete: Besser Ignorant als hochmütig. Er selbst sorgte dafür, der Besessenen Reliquien aufzulegen. Und diese warf sie weg. Dann sammelte sich viel Schleim in ihrem Hals, und sie bekam starken Brechreiz. Man sah, dass die junge Frau schwer litt und schreckliche Angst bekam, weil sie von Erstickungsanfällen geschüttelt war. Bei diesen Anfällen hob sie den Kopf, streckte die Arme aus, warf sich bleischwer zurück und von der einen auf die andere Seite, schüttelte heftig den Kopf und rief dann mit lauter, stockender Stimme um Hilfe. Manchmal machte sie mit dem Körper und den Armen heftige Bewegungen, wie ein Mensch, der sich nicht auf dem Pferd halten kann, das ihn in schnellem Trab davonträgt, sodass er auf und ab hüpft und von der einen auf die andere Seite schaukelt. Manchmal warf sie sich in die Arme zweier Tanten, die am Bettrand standen. Manchmal streckte sie die Arme aus und schrie, dass sie an beiden Händen festgehalten werden wolle. Dann spuckte sie so viel Schleim aus, dass ein Eimer damit halb gefüllt war. Sie sagte, sie leide starke innere Schmerzen, und schrie: Ah, innen, ah, innen.

All das dauerte ungefähr von der dreiundzwanzigsten Stunde bis pünktlich zur ersten Nachtstunde. Beim Schlag des De profundis kam sie mit einem Seufzer zur Ruhe. Sie zeigte eine heitere Miene und sprach ruhig über ihre heftigen Leiden.

Pater Kohlmann sprach ihr Mut zu und segnete sie. Sie küsste seine Hand, bat ihn, sie Gott zu empfehlen, und wurde ganz ruhig.

Der Pater kam um halb zwei ins Ordenshaus zurück, völlig verstört, aber auch tief berührt von dem, was er gesehen hatte. Und er versicherte, dass es sich ohne Zweifel um Besessenheit handelte, und erzählte gerade so viel, dass es glaubhaft schien.

 

[1] Ich gebiete dir Satan, diese zu verlassen, bis sie beichtet.

[2] Die Jungfrau Maria mit ihrem lieben Kind möge dich segnen.

[3] Verschwinde.

[4] Ich beschwöre dich, mir deinen Namen zu sagen.

[5] Wie der Stern am Himmel und die Wasser des Meeres.

 

 

Über das Buch

Rom im Winter 1834. Zwei Jesuiten sind gerufen worden, um einen Exorzismus an einer jungen Frau zu vollziehen. Denn der Teufel hat von Veronica Hamerani Besitz ergriffen. Anhand des Tagebuchs, das die Exorzisten über Monate führen, kann Fernanda Alfieri die Ereignisse bis ins Detail rekonstruieren. »Veronika und der Teufel« ist meisterhafte Kulturgeschichte.

»Ich wollte die Schriftstücke abschreiben, um sie für das Archiv aufzuschlüsseln, sie auseinandernehmen, die einzelnen Teile gewissermaßen vergrößern, um sie aus der Nähe, aus der Ferne und von allen Seiten zu betrachten. Da stimmt etwas nicht, dachte ich bis zum Schluss. Daraufhin habe ich in dem Archiv ... weitergesucht, um weitere Spuren der Personen zu finden, von denen dort die Rede war.« Fernanda Alfieri

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Zur Autorin

Fernanda Alfieri forscht seit 2006 am Italienisch-Germanischen Historischen Institut der Fondazione Bruno Kessler in Trient und unterrichtet an der Universität Bologna. Ihre Studien befassen sich mit der Geschichte der Sexualität und dem Verhältnis zwischen Wissenschaft und Religion.

 

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