Ein Essay von Markus Rüther
Die Lebensweise des antiken Stoizismus, insbesondere seiner römischen Vertreter Seneca, Musonius Rufus, Epiktet und Marc Aurel, erlebt eine Renaissance. Die Bücherregale sind voll mit Titeln wie »The Obstacle Is the Way oder How to Think Like a Roman Emperor«. Und wer sich intensiver mit dem Stoizismus auseinandersetzen will, kann dies auf regelmäßig stattfinden den Konferenzen wie der »Stoicon« oder der »Stoic Week« tun oder sich mittels eines »stoic fellowships« in regionalen Gruppen zusammenschließen. Apps wie Pocket Stoic lassen sich nutzen, um die eigene stoische Lebensweise zu festigen.
Warum aber ist der Stoizismus wieder so populär? Das liegt unter anderem sicher daran, dass einige seiner Elemente besonders gut zum gegenwärtigen Zeitgeist passen. Da wäre zum Beispiel die stoische Seelenruhe: Die Stoiker versprechen uns Gelassenheit angesichts von sozialen Bedrohungen wie steigenden Energiepreisen und Inflation, aber auch von existenziellen Bedrohungen wie Krieg und Corona-Virus.
Wer erfolgreich die stoische Lebensweise praktiziert, so lautet das Versprechen, kann all dies mit Seelenruhe ertragen und bleibt damit handlungsfähig. Allerdings wäre es falsch, die derzeitige Attraktivität des Stoizismus lediglich darin zu sehen, dass er uns ein mentales Betriebssystem für schwierige Zeiten bereitstellen kann. Vielmehr kann man vermuten, dass seine Renaissance auch mit Merkmalen wie seiner altruistischen Grundorientierung zusammenhängt, die vor dem Hintergrund der christlich geprägten Kulturgeschichte, aber auch angesichts von politischen Entfremdungserfahrungen für viele anschlussfähig sein dürfte.
Stoikern geht es nicht nur darum, Gelassenheit angesichts von Schicksalsstürmen zu bewahren, sondern auch darum, sich in einer engagierten Art und Weise für die Mitmenschen einzusetzen. Das kann man etwa an den politisch und sozial engagierten Leben der Stoiker selbst ablesen, die sich etwa als Lehrer (Musonius Rufus, Epiktet), als politische Berater (Seneca) oder als politischer Entscheidungsträger (Marc Aurel) um das Gemeinwohl gesorgt haben.
Und da wäre noch ein weiteres Merkmal, das zum Zeitgeist passt: die Orientierung an Gründen, die für alle gleichermaßen zugänglich sind. Es gibt keine Offenbarung und kein Damaskus-Erlebnis, die einem die Pforte in eine neue ethische Realität aufstoßen. Ebenso lehnen Stoiker Gurus ab, die einen privilegierten Zugang zu ethischen Lebensweisheiten proklamieren. Stoiker orientieren sich in den ethischen Grundsätzen ihres Handelns an der eigenen Reflexion und sind auch nicht zu eitel, die Lehren von Andersdenkenden zumindest selektiv zu berücksichtigen.
Wer also eine Lebensweise sucht, die eine gewisse Immunität gegenüber äußeren Einflüssen verspricht, eine klare altruistische Ausrichtung besitzt und sich bei der Wahl der eigenen Grundsätze an Vernunftgründen orientiert, der findet mit dem Stoizismus eine aussichtsreiche und seit der Antike erprobte Lebensweise.
Über das Buch »Als Stoiker leben«
Die stoische Philosophie will zum guten Leben anleiten. Wer ein solches führen will, muss nicht nur wissen, worauf es dabei ankommt – ebenso wichtig ist es, dieses Wissen auch im Alltag umsetzen zu können. Ein Leben als Stoiker erfordert also neben theoretischen Kenntnissen auch praktische Übung. Der Lohn ist denkbar hoch: Nichts und niemand kann einen mehr aus der Ruhe bringen – weder berufl iche und private Schicksalsschläge noch körperliche Schmerzen oder auch der eigene Tod. Markus Rüther schließt die Lücke und erläutert die theoretischen Bausteine der Stoa, ohne die praktische Seite der Philosophie zu vernachlässigen.
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Zu den Beteiligten
Dr. Markus Rüther arbeitet als Academic Researcher am Forschungszentrum Jülich zur Analytischen Ethik. Er ist Herausgeber der Zeitschrift für Ethik und Moralphilosophie. 2016 erhielt er den Jahrespreis für Philosophie und Ethik von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).