Die Tiertheologie und die Schöpfungstheologie

Tiere werden bislang in der Theologie kaum beachtet oder auch bewusst ausgeschlossen. Die Schöpfungstheologie wird, wenn überhaupt, als der Ort gesehen, an dem Tiere einen Platz haben. Doch auch hier werden Tiere, wenn sie beachtet werden, vor allem in Kontexten des Herrschaftsauftrags oder einer grundsätzlichen Hierarchisierung betrachtet. Auch heute wird die Ausbeutung von Tieren mit Elementen der Schöpfungstheologie begründet, die längst nicht mehr nur theologisch wirksam sind, sondern mit säkularen Denk- und Handlungsmustern verstrickt sind.

Elemente der Schöpfungserzählung, die in Hinblick auf die Tiere, vor allem aufgrund des weitgehend akzeptierten Anthropozentrismus in der Theologie, deutlich weniger als der Herrschaftsauftrag thematisiert werden, sind beispielsweise der gemeinsame Lebensatem oder eine gemeinsame Geschöpflichkeit. Zunächst spricht Gen 1,29 gegen ein grundsätzliches Tötungsrecht von Tieren, da den Menschen hier eine pflanzliche Ernährung zugewiesen wird, wodurch die Gewalt des Herrschaftsauftrags zunächst limitiert wird. Der gemeinsame Lebensatem (Gen 1,30; Gen 2,7), der eine gemeinsame Geschöpflichkeit anklingen lässt, betont zugleich eine Verbindung aller Geschöpfe untereinander und eine Verbindung aller Geschöpfe zu Gott. Das immer noch weit verbreitete Narrativ des Menschen als „Krone der Schöpfung“ hält sich hartnäckig und wird nicht nur in religiösen Kontexten verwendet, was eine Verstrickung von theologischen und säkularen Narrativen verdeutlicht. Jedoch wurden Menschen und Tiere in der ersten Schöpfungserzählung am sechsten Tag geschaffen und der siebte Tag ist der Sabbat, welcher entsprechend die „Krone der Schöpfung“ sein müsste. Schöpfungstheologisch lässt sich insgesamt beobachten, dass dem Menschen eine klare Sonderstellung zugewiesen wird. Durch den vorherrschenden Anthropozentrismus geht es auch in der Schöpfungstheologie kaum darum, diese Sonderstellung zu hinterfragen, sondern eher darum, diese immer wieder zu legitimieren. Hierzu dienen besonders Verweise auf die Gottesebenbildlichkeit des Menschen und den Herrschaftsauftrag, wobei beide Verweise durch entsprechende Interpretationen häufig im Sinne der Legitimation einer Hierarchisierung zwischen Menschen und Tieren verwendet werden.

Es gibt auch aktuellere oder alternative Deutungen schöpfungstheologischer Elemente und biblischer Texte. Exegetisch wird der Herrschaftsauftrag beispielsweise in einigen Kommentaren als verwaltende und fürsorgliche Rolle gedeutet. Es gibt zwar exegetische Hinweise darauf, dass es sich nicht um eine willkürliche Herrschaft handeln kann , jedoch bieten die neueren Kontextualisierungen des Herrschaftsauftrags nur bedingt Potenzial für die Überwindung des Anthropozentrismus in der Theologie. Denn auch die Deutung als „herrschaftliches Weiden“ bietet keinerlei Handlungsrahmen und verschleiert eher die Herrschaftsstrukturen. Auch in der Rolle als Verwalter*in bestehen keine Grenzen für den Umgang des Menschen mit den nicht-menschlichen Geschöpfen und der gesamten Schöpfung. Und auch wenn ein Verantwortungsbewusstsein impliziert wird, werden dennoch die Interessen der Menschen priorisiert. Es ist also nicht verwunderlich, wie Tiere mit dem Herrschaftsauftrag zu einem auch schöpfungszerstörenden Ausmaß ausgebeutet werden können, auch wenn darunter keine willkürliche Herrschaft verstanden wird. Denn man bewegt sich so auch im Kontext schöpfungszerstörerischer Handlungen im Handlungsraum der Schöpfungsbewahrung, da es eben keinen konkreten (ethischen) Handlungs- oder Orientierungsrahmen gibt. Dies zeigt sich beispielsweise auch in Diskursen um eine Schöpfungsbewahrung: Hier werden Tiere selten als Geschöpfe betrachtet, die als ein eigener Teil der Schöpfung selbst bewahrt werden müssen. Stattdessen geht es darum, die Schöpfung (z.B. als Lebensraum) für den Menschen zu bewahren. Ohne die Schöpfung mit der Natur gleichsetzen zu wollen, wird hierbei deutlich, dass es bei der Schöpfungsbewahrung auch um den Lebensraum der Tiere geht, was jedoch selten beachtet wird.

Nichtsdestotrotz ist eine berechtigte „tierfreundlichere“ Deutung biblischer Texte nicht unwichtig, um einen weiteren Deutungshorizont zu eröffnen und biblische Texte neu zu beleuchten. Allerdings beheben diese Deutungen nicht die speziesistischen Verankerungen in der Theologie und überwinden auch nicht den theologischen Anthropozentrismus. Denn die vorgenommene Hierarchisierung der Theologie als Folge des Anthropozentrismus muss sich zunächst bewusst gemacht werden und anschließend vor allem wachgehalten werden. Der Herrschaftsauftrag lässt sich nicht komplett zugunsten aller Geschöpfe deuten und impliziert eine Hierarchie. Gleichzeitig muss festgehalten werden, dass ein unhinterfragter Anthropozentrismus der biblischen Texte ebenfalls problematisch ist. Es ist essentiell, die gewaltvollen Elemente der biblischen Texte und ihre Deutungen als Teil des christlichen Erbes wahrzunehmen und zu reflektieren. Andernfalls wird die gewaltvolle Tradition der Texte unreflektiert reproduziert.

 

Über das Buch

Die Tiervergessenheit der Theologie verdeutlicht, dass es an der Zeit ist, Tiere theologisch neu zu denken und den vorherrschenden Anthropozentrismus zu überwinden. Hierfür ist eine Dekonstruktion des Anderen notwendig, um bestehende Legitimationen und theologische Vorannahmen bezüglich der Gewalt an Tieren kritisch zu hinterfragen. In diesem Band der Reihe „Animate Theologies“ wird die systematisch konstruierte Andersheit der Tiere und ihre Verstrickung in theologische und säkulare Denk -und Handlungsmuster dekonstruiert und kritisch hinterfragt, um den Ausschluss der Tiere aus der Theologie zu überwinden. Dabei werden (intersektionale) Abwertungsmechanismen analysiert, die zur Legitimation eines gewaltvollen Umgangs gegenüber nicht-menschlichen Tieren herangezogen und dabei selten bewusst wahrgenommen oder hinterfragt werden. Erst diese Dekonstruktion der bestehenden Verhältnisse ermöglicht es, das theologische Potenzial der Tiere zu entfalten.

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Zur Autorin

Henirke Herdramm ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Praktische Theologie des Instituts für Katholische Theologie an der Universität Paderborn. Sie ist Doktorandin am Lehrstuhl für Systematische Theologie an der Technischen Universität Dortmund und promoviert dort im Bereich der Tiertheologie. Ihre Forschungs- und Interessensschwerpunkte sind Tiertheologie, feministische Theologie sowie Themenbereiche einer intersektionalen Theologie.

 

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