Seit dem Ende der 1970er Jahre ist die Globalisierung der Politik davongelaufen. Wenn die Demokratie die Globalisierung nicht einholen kann, bleibt sie auf der Strecke. Gesine Schwan plädiert deshalb für eine demokratische Politik, die in die Zukunft weist.
Wir sind nicht nur miteinander global »vernetzt« – das klingt kühl, technisch und neutral. Wir hängen auch in unserem Wohlergehen langfristig voneinander ab. Aber kurzfristig blenden wir das oft aus. Zwar erreicht uns unsere globale Vernetzung, die politisch eine globale Solidarität und Kooperation erfordern würde, jeden Tag über das Internet. Doch wir versuchen, sie uns vom Halse zu halten, auch weil wir meinen, sie doch nicht beeinflussen zu können. Deshalb ist eine Strategie grenzüberschreitender demokratischer Politik unabdingbar. Sie zeigt uns, wie wir in unserem Umfeld, in unserem Land und auch global einwirken können auf die Entwicklung!
»Wir brauchen eine neue Strategie grenzüberschreitender demokratischer Politik.«
Wir brauchen eine neue Strategie grenzüberschreitender demokratischer Politik. Was heißt das konkret? Durch welche Institutionen, mit welchen Verfahren und Akteuren kann demokratische Politik in Zukunft vor Ort, im Staat und über Kontinente hinweg nachhaltige gerechte Lösungen finden und verwirklichen? Die Antwort gibt ein umfassendes Konzept transnationaler demokratischer Politik, von Good Governance vor Ort bis global, das auf den verschiedenen Entscheidungsebenen greift und Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität zwischen den Menschen politisch verwirklichen hilft. Dazu können wir die liberalen Gesellschaftsverträge des 17. und 18. Jahrhunderts weiterentwickeln.
Über die bisherigen repräsentativen Institutionen hinaus können unsere Potenziale in zivilgesellschaftlichen Initiativen ebenso wie in wirtschaftlichen Unternehmen grenzüberschreitend so aktiviert werden, dass Synergien aus den Potenzialen entstehen, die sich verantwortlich gegenseitig ergänzen und zugleich kontrollieren. Aus der »antagonistischen Kooperation« zwischen Politik, organisierter Zivilgesellschaft und Wirtschaft auf allen politischen Ebenen erwachsen durchsetzbare Lösungen und ein Grundkonsens, der gegenseitige Blockaden ebenso wie Übermächtigungen überwindet. Demokratische Politik ist dann nicht mehr Spielball des kapitalistischen Marktes, sondern gestaltet ihn. Die Teilhabe der Bürger*innen muss über die repräsentativen Institutionen hinaus in zivilgesellschaftlichen Initiativen ebenso wie in wirtschaftlichen Unternehmen grenzüberschreitend so unterstützt werden, dass Synergien aus organisierter Zivilgesellschaft, wirtschaftlichem Unternehmungsgeist und gewählter legitimierter Politik entstehen. Die Corona-Krise verlangt schnell einen weitsichtigen Neuanfang. Die global fast gleichzeitigen Erschütterungen machen ihn notwendig und möglich. Dieses Momentum ist kurz und darf nicht verstreichen.
»Wir wollen und können soziale und ökologische Zerstörungen hinter uns lassen.«
Wir wollen und können soziale und ökologische Zerstörungen hinter uns lassen. Unser Zusammenleben kann nachhaltig unseren Werten folgen, sodass alle Menschen in Würde und Gerechtigkeit ein solidarisches Leben führen können, frei von Not und Furcht, unter Freunden, mit einem Glas Rotwein und neuen Ideen für ein gelungenes Leben. Die Griechen nannten das ein »gutes« Leben. Das ist der Traum. Den dürfen wir nicht aufgeben.
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Zu den Beteiligten
Prof. Dr. Gesine Schwan ist Präsidentin und Mitgründerin der Humboldt-Viadrina Governance Platform. Die SPD-Politikerin und Politikwissenschaftlerin ist zudem Vorsitzende der Grundwertekommission ihrer Partei und Trägerin des Bundesverdienstkreuzes.
Foto: © akg-Images / Matthias Lüdecke