wbg: Lieber Eric Cline, mit Armageddon alias Meggido verbindet Sie eine persönliche Geschichte – wie kamen Sie nach Meggido?
Eric H. Cline: Ich war dabei, als dort 1994 die aktuelle Grabungskampagne begann, und gehörte dem Team 20 Jahre lang an, bis 2014. Ich begann als freiwilliger Grabungshelfer und war am Ende zweiter Grabungsleiter neben Israel Finkelstein.
wbg: Warum ist der Ort so bedeutsam, dass dort seit über 100 Jahren gegraben wird?
Eric H. Cline: Es handelt sich um eine der wichtigsten Städte des Alten Orients. Der Standort war 5000 Jahre lang bewohnt, von der Jungsteinzeit bis zu den Römern. Innerhalb des Hügels gibt es 20 übereinanderliegende Siedlungsschichten, u. a. aus der Zeit der Kanaaniter, der Israeliten, der Neuassyrer und der Perser.
wbg: Sie erzählen in Ihrem Buch die Geschichte der Grabungen des Oriental Institute der University of Chicago in Meggido von 1925 bis 1939, die kein Geringerer als John D. Rockefeller Jr. finanzierte. Was für ein Grabungsteam entsandte Henry James Beasted, der Leiter des Oriental Institute, nach Palästina? Lauter bestallte Archäologen?
Eric H. Cline: Mitnichten. Keines der Teammitglieder war ausgebildeter Archäologe. Das Fach steckte damals schließlich noch in den Kinderschuhen. Das Team bestand aus Architekten, Geologen, Fotografen usw., die sich aber an Ort und Stelle fortbildeten und mit zu den besten Ausgräbern ihrer Zeit avancierten. Dabei verwendeten sie bereits damals modernste Techniken: Sie nutzten die Ballonfotografie, erstellten ein Schichtenprofil und definierten die Farben des Erdbodens mit dem Munsell-Farbsystem. Ihre Entdeckungen und Innovationen hallen in der Biblischen Archäologie bis heute nach.
wbg: Grabungsbeginn 1925 – unter welchen Umständen starteten die Grabungen, mit welchen Widrigkeiten hatten die Ausgräber zu kämpfen? Vor welchem politischen Hintergrund spielte sich das Ganze ab?
Eric H. Cline: Es war die Zeit des britischen Völkerbundsmandats für Palästina; die gesamte Geschichte entfaltet sich vor diesem Hintergrund, mit all den Problemen und Spannungen, die in der Region von 1925–1939 herrschten, während die Ausgräber dort waren. Zu Beginn hatten sie auch noch mit Malaria zu kämpfen, aufgrund der sumpfigen Landschaft der Jesreelebene, wo sich die Ausgrabungsstätte befand; es dauerte einige Jahre, bis man dieses Problem bewältigt hatte. Daneben bekamen die Ausgräber die Folgen der Wirtschaftskrise in den Vereinigten Staaten zu spüren, die sich auf die Finanzierung der Ausgrabungen und die Gehälter auswirkte. Die Ausgrabung fand 1939 vor allem deshalb ein jähes Ende, weil alle Teilnehmer auf die eine oder andere Weise in den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verwickelt waren und nicht genug Leute zusammenkamen, um die Grabungen fortzusetzen.
wbg: »Auf der Suche nach der biblischen Stadt Salomos«, so lautet der Untertitel des Buches – und das war ja der Auftrag: die verschollene Stadt Salomos zu finden. Eine der ersten Sensationsmeldungen der Grabung lautete »have found Solomon’s stables«. Was hatten die Ausgräber gefunden?
Eric H. Cline: Die Entdeckung der legendären »Ställe Salomos« schaffte es tatsächlich auf die Titelseiten der internationalen Presse. Diese Gebäude wurden 1928 freigelegt, als P. L. O. Guy Grabungsleiter war. Er glaubte, sie hätten Stallungen gefunden, die Salomo hatte bauen lassen, und brachte sie mit zwei Bibelstellen in Verbindung: 1 Könige 9.15, wo erwähnt wird, dass Salomo neben anderen Städten auch Megiddo baute (oder befestigte), und 1 Könige 10.26, wo von Salomos „Wagenstädten“ die Rede ist. Wahrscheinlich handelt es sich dabei tatsächlich um Ställe, aber aus der Zeit Salomos stammen sie wohl nicht; wahrscheinlich wurden sie ein, zwei Jahrhunderte später gebaut, vielleicht unter Omri, Ahab oder Jerobeam II.
wbg: Es macht den besonderen Reiz Ihres Buches aus, dass es nicht nur um die archäologische Seite, um Funde und Befunde geht, sondern vor allem auch um die Ausgräber, um Beziehungen und Querelen – um die ganz menschliche Seite, die wenig bis gar nicht bekannt ist. Welche Episode, welche Figur hat Sie besonders fasziniert?
Eric H. Cline: Da haben mich viele Menschen fasziniert. Drei fallen mir sofort ein: Ed DeLoach, der als junger Assistent des Kartografen nach Megiddo kam und dort am Ende alles Mögliche tat, u. a. heiratete er ganz plötzlich; Geoffrey Shipton, der nicht einmal einen Highschool-Abschluss hatte und mit gerade einmal 17 Jahren in Megiddo eintraf, am Ende aber einige der wichtigsten Grabungsergebnisse veröffentlichte; und der Vermesser Emanuel Wilensky, der möglicherweise für die Untergrundorganisation Hagana spionierte, während er vor Ort war. Und dann sind da noch die bislang kaum bekannten Geschichten, die sich hinter einigen der berühmtesten Entdeckungen dort verbergen, u. a. den Elfenbeinfunden. Am meisten haben mich aber die zwischenmenschlichen Beziehungen fasziniert. Bei der Lektüre der Briefe und Tagebücher hatte ich mitunter das Gefühl, dass ich die Klatschspalte in einer Zeitung lese oder eine Seifenoper im Fernsehen schaue. Falls Sie sich für die menschliche Seite der Archäologie interessieren, wird Ihnen dieses Buch garantiert gefallen, aber es taucht auch tief in die persönlichen Probleme der Protagonisten ein – vielleicht erfahren Sie mehr, als Ihnen lieb ist!
wbg: Auf dem Cover sehen wir eine kanaanitsche Bronzestatuette – ein besonderer Fund?
Eric H. Cline: Ja, sie ist im Herbst 1935 aufgetaucht. Sie besteht aus Bronze, ist mit Goldfolie überzogen und wurde in einem Bereich gefunden, der später als Tempel aus der Bronzezeit identifiziert wurde, das größte religiöse Bauwerk, das man in diesem Teil des Hügels gefunden hat. Wir wissen nicht genau, welche Gottheit die Statuette darstellt, aber wegen der Kappe glauben viele Forscher, dass es sich um den Gott El handelt. Der damalige Grabungsleiter in Megiddo, Gordon Loud, nannte sie den „Fund der Saison“... Leider bekam Breasted sie nicht mehr zu sehen. Er erfuhr nicht einmal von dem Fund, denn er starb eine Woche zuvor, als er sich nach einem Besuch in Megiddo und anderen Stätten Mitte Oktober 1935 auf dem Heimweg nach Chicago befand.
wbg: Letzte Frage: Welches Anliegen haben die Grabungen in Meggido heute? Immer noch die Suche nach der Stadt Salomos?
Eric H. Cline: Nein, darüber sind wir heute längst hinaus. Die Ausgräber versuchen natürlich immer noch, die Geschichte der Stätte zu ergründen, unter anderem mithilfe neuer wissenschaftlicher Techniken wie der Mikroarchäologie, der Feinabstimmung der Datierung verschiedener Schichten mittels Radiokarbondaten, der Analyse organischer Rückstände und aDNA (antike DNA), um die Herkunft von Nahrungsmitteln zu bestimmen, die die Menschen damals aßen, und vieles andere mehr. Interessant dazu sind mehrere der Medienberichte über einige der neuesten Erkenntnisse.
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Zu den Beteiligten
Eric H. Cline gewann mit »1177 v. Chr.« den ersten Preis der American School of Oriental Research. Er ist Direktor des Archäologischen Instituts an der George-Washington- Universität. Seit 1980 beteiligt er sich an zahlreichen Ausgrabungskampagnen.