Es gibt wohl kaum ein Verbrechen, das man ihm nicht angelastet hat. Mehrfachmord, Sodomie, Nekromantie, Körperverletzung, Flucht aus der Haft und Unterschlagung päpstlichen Besitzes. Dazu gesellen sich so negative Charaktereigenschaften wie Rachsucht, cholerisches Verhalten und Maßlosigkeit. Und doch gilt Benvenuto Cellini (1500–1571) als »Urbild des modernen Menschen« und genialer Plastiker.
Der gebürtige Florentiner war Goldschmied, Bildhauer, Medailleur, Schriftsteller, Musiker und Soldat. Einige seiner Werke zählen zum Kanon der abendländischen Kunst. So etwa die Statue des Perseus auf der Piazza della Signoria in Florenz. Triumphierend und abschreckend zugleich reckt Perseus dem Betrachter das abgeschlagene Haupt der Medusa entgegen. Ihre Augen sind geschlossen, ihr Blick lässt niemanden mehr zu Stein erstarren. Ein Manifest politischer Kunst, denn Perseus ist auch ein Sinnbild des Machtbewusstseins der Medici. Der Hüter des Herzogtums unter Herzog Cosimo I., Perseus, droht allen Feinden.
Cellini floh früh aus dem Elternhaus, um die Goldschmiedekunst zu erlernen. Nach Lehrstationen in verschiedenen Städten und zahlreichen Schlägereien musste Cellini als Mönch verkleidet aus Florenz fliehen. Einen Geldgeber fand er im Medici-Papst Clemens VII. Mit diesem Papst, unter dessen Pontifikat die Plünderung Roms im Jahr 1527 fiel, verband Cellini seine größte Heldentat. Als mutiger Verteidiger der Engelsburg wirkte Cellini als Kanonier. Von den Befestigungsanlagen aus tötete er mit einem Meisterschuss den Heerführer der kaiserlichen Truppen – zumindest behauptet Cellini dies in seiner Lebensbeschreibung. Über den Wahrheitsgehalt des Geschriebenen wurde viel spekuliert. Tatsächlich hat sich Cellini durch Fakten nie dazu verleiten lassen, eine gute Geschichte zu ruinieren.
Cellini hinterließ der Nachwelt eine Maske, hinter der er sich verbarg. Er widersprach sich häufig, war ein Mensch voller Obsessionen und Widersprüche. Gläubig, vertraute er gleichzeitig der Astrologie, und doch war seine Triebfeder die schöpferische Tat. Psychoanalytiker unterstellten ihm zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine leichte Form der Schizophrenie. Sie zogen bei ihren Untersuchungen jedoch primär Cellinis Lebensbericht zu Rate, in dem Cellini seinen eigenen Mythos schafft und das Erlebte (um-) deutet. Die Aufgabe des Biografen kann nun nicht nur darin bestehen, den Firnis abzutragen und vorzuführen, wie sehr Cellini die Fakten verzerrt. Vielmehr sollte er versuchen, die Modelle, denen Cellini folgte, zu identifizieren, und zu analysieren, welche Funktion sie erfüllten, was sie leisteten, und schließlich, im Fall von Cellinis literarischen Texten, den Spannungen nachzuspüren, die zwischen dem Niedergeschriebenen und verfügbaren literarischen Formen bestanden.
»Psychoanalytiker unterstellten Cellini zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine leichte Form der Schizophrenie.«
Das vorliegende Buch, die erste deutschsprachige Biografie des Künstlers, stellt Cellinis Schaffen im Kontext seiner Zeit dar. Die Lebensbeschreibung ist auch ein Versuch, die innere Entwicklung Cellinis nachzuzeichnen, wie sie sich aus Briefen, Einträgen in seinen ökonomischen Tagebüchern und Dokumenten rekonstruieren lässt. Besonders akzentuiert werden Cellinis Rolle im »Feld der Kunst« wie im »Feld der Macht« (Pierre Bourdieu). Denn eines musste Cellini, der unter Machthabern erheblich zu leiden hatte, schmerzhaft erfahren: Große Fürsten können es »übel vermerken, wenn einer ihrer Diener […] die Wahrheit über ihr Benehmen äußert.«
Zum Jahrestag »450. Todestag Benvenuto Cellinis«
Zu den Beteiligten
Dr. Uwe Neumahr studierte an der Universität Tübingen und der Scuola normale superiore Pisa Literaturwissenschaft und promovierte über Rhetorik in der Florentiner Renaissance. Heute arbeitet er als Literaturagent und freier Autor. Zuletzt erschien »Miguel de Cervantes« (C. H. Beck Verlag).