Ernest Hemingway: Ein Schlafzimmer zum Stehen

Manche sehen den jüngsten Boom des Stehpults als Modeerscheinung gesundheitsbewusster Zeitgenossen, doch viele Angehörige der Schriftstellerzunft ziehen es seit jeher vor, im Stehen zu arbeiten, allen voran Ernest Hemingway (1899 – 1961). Lange, bevor ihm die Verletzungen aus zwei Flugzeugabstürzen im Jahr 1954 längeres Sitzen zur Qual machten, schrieb er lieber stehend.

Als Geburtstagsgeschenk ließ ihm seine Frau Mary auf der Finca Vigía in Kuba einen vierstöckigen Turm bauen, aber er schrieb weiterhin lieber in seinem Schlafzimmer, weil er dort näher am häuslichen Treiben war. Flankiert von Büchern und Papierstapeln, stand dort seine Schreibmaschine in Brusthöhe mittig auf einem Bücherregal an der Wand. Immer in Reichweite lag die Tabelle, in der er akribisch notierte, ob er sein Tagespensum von rund 500 Wörtern einhielt, bei »Fiesta« sogar von knapp 2000 Wörtern am Tag.

 

»Die Dekoration war typisch für Hemingway: An der Wand hing als Jagdtrophäe der präparierte Kopf einer Gazelle, und oben auf dem Kleiderschrank war ein Leopardenfell drapiert.«

 

Die Dekoration war typisch für Hemingway: An der Wand hing als Jagdtrophäe der präparierte Kopf einer Gazelle, und oben auf dem Kleiderschrank war ein Leopardenfell drapiert. Natürlich gab es auch diverse Regale mit Büchern und allerlei Krimskrams, etwa eine Giraffe aus Holzperlen, ein Äffchen mit Zimbeln und das Blechmodell eines Doppeldeckers der US-Marine. Einen Schreibtisch besaß Hemingway zwar, er benutzte ihn aber nie, wie sein Biograf Aaron Hotchner verriet. »In Papa Hemingway. Ein persönliches Porträt« listete er auf, was alles darauf herumstand:

  • Stapel von Briefen, mit Gummiband umwickelt, Stierkampfzeitschriften und alte Zeitungsausschnitte
  • ein Säckchen mit Raubtierzähnen
  • zwei Uhren (nicht aufgezogen)
  • mehrere Schuhanzieher
  • ein leerer Kugelschreiber in einem Onyxhalter
  • ein Zebra, ein Warzenschwein, ein Nashorn und ein Löwe, alle aus Holz geschnitzt und in einer Reihe aufgestellt
  • ein Plüschlöwe
  • diverse Souvenirs von seinen Reisen
  • Schrotpatronen

Hemingway arbeitete in diesem Raum meist ab Tagesanbruch (etwa halb sieben). Manchmal leistete ihm sein Springer Spaniel Black Dog oder ein anderes seiner Haustiere Gesellschaft. »Hier stört einen niemand«, schwärmte er. »Außerdem ist es kühl oder kalt, und man bekommt etwas geschafft und wird beim Schreiben warm.« Er stand stets in Slippern auf einem Antilopenfell. Um die Mittagszeit, wenn er sich »leer« fühlte, hörte er auf, jedoch voller Ideen, wie es weitergehen würde. Das Warten bis zum nächsten Morgen, wenn er wieder schreiben würde, fiel ihm schwer. Doch erst einmal ging er spazieren, schwamm ein paar Bahnen im Pool oder genehmigte sich einen Drink – den ersten, denn bei allem legendären Alkoholkonsum trank er bei der Arbeit nie. Sonntags ließ er die Schreibmaschine meist ruhen, um das Schicksal nicht herauszufordern. An einem Lesepult auf dem Bücherregal schrieb er zunächst mit Bleistift auf dünnem Florpostpapier. An einem guten Tag, berichtete er, verbrauche er manchmal sieben HB-Bleistifte. War er gut im Schreibfluss, vor allem bei Dialogen, wechselte er zur Schreibmaschine. Im Laufe der Jahre besaß er verschiedene, darunter mehrere Coronas, eine Underwood Noiseless Portable und eine Royal Quiet Deluxe (siehe Ian Fleming, Seite 68). In der Finca Vigía entstanden unter anderem »Wem die Stunde schlägt«, »Paris – ein Fest für’s Leben« und »Der alte Mann und das Meer«.

 

Über das Buch »Schreibwelten«

Alex Johnson hat 50 herausragende Autor:innen ausgewählt. Wir treffen sie in Cafés und Garagen, auf Dachböden und einsamen Inseln. Agatha Christie hatte die besten Ideen in der Badewanne. Nabokov erfand »Lolita« im Auto. Einige legen Wert auf spitze Bleistifte und blaues Papier, andere kritzeln auf einfach alles.

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Zum dargestellten Autor

Ernest Hemingway war einer der bekanntesten US-amerikanischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. 1953 erhielt er den Pulitzer-Preis für seine Novelle »Der alte Mann und das Meer« und 1954 den Literaturnobelpreis. Hemingway war zudem Reporter und Kriegsberichterstatter sowie Abenteurer, Hochseefischer und Großwildjäger, was sich in seinem Werk niederschlägt. Seine Werke verliehen dem Lebensüberdruss der Lost Generation Ausdruck und entwickelten unter dem Vorbild von Mark Twain und Gertrude Stein einen modernen Klassizismus dessen Markenzeichen eine besondere Kargheit des Stils ist.

 

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