Carl Erdmann, Jahrgang 1898, starb kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs als einfacher Soldat »im Südosten«. Als sich die Nachricht unter Freunden und Kollegen herumsprach, war die Erschütterung groß.
Denn man hatte noch viel von ihm erwartet. Sein Buch über die »Entstehung des Kreuzzugsgedankens« gilt heute als Klassiker der Kreuzzugsforschung, methodisch als Aufbruch in eine kulturgeschichtlich orientierte Mediävistik. Als die deutsche Mittelalterforschung immer völkischer wurde und am liebsten das Lob des »Deutschtums« sang, wiesen seine Untersuchungen und Editionen in eine andere Richtung. Nach 1945, als sich ein Großteil seiner Alterskohorte durch ihre Willfährigkeit gegenüber Politik und Zeitgeist kompromittiert hatte, wäre ihm zweifellos eine herausragende Karriere beschieden gewesen. So der Tenor der Nachrufe.
Dass Erdmanns Laufbahn so unvermittelt abbrach, lag an seiner unbedingten und konsequenten Ablehnung der nationalsozialistischen Politik und Ideologie. Daran ließ er nie einen Zweifel. Als Alfred Rosenberg und sein weltanschauliches Gefolge den Sachsenherzog Widukind zum Idol erhoben und Karl den Großen als »Sachsenschlächter« aus der deutschen Geschichte ausbürgern wollten, organisierte er die einzige gemeinsame Stellungnahme prominenter Historiker zum nationalsozialistischen Geschichtsbild.
Was bedeutende Professoren nicht wagten, brachte der einfache Mitarbeiter an einem Forschungsinstitut fertig. Und als in Quedlinburg, dem Begräbnisort Heinrichs I., eine nationale Gedenkstätte errichtet werden sollte, legte er sich mit Heinrich Himmler und der SS an. Seitdem wurde er in den Akten als Vertreter der intellektuellen Opposition geführt und vom Sicherheitsdienst der SS observiert. Für seine Widerborstigkeit zahlte er doppelt: zunächst mit dem Verlust seiner Stellung an der Universität, dann mit seinem Leben, als er nämlich trotz offenkundiger Untauglichkeit zu einem Krieg eingezogen wurde, den er nicht überleben sollte.
Erdmanns Widerständigkeit hatte persönliche und biographische Gründe. Zeitlebens war er Außenseiter und Solitär: als Remigrant aus dem Baltikum, als junger hoffnungsvoller Wissenschaftler, in Habitus und Auftreten. Neun Jahre verbrachte er im Ausland und entwickelte dort eigenständige Forschungsthemen von europäischem Zuschnitt. Er ließ sich nicht vereinnahmen und schon gar nicht »gleichschalten«.
Was bedeutende Professoren nicht wagten, brachte der einfache Mitarbeiter an einem Forschungsinstitut fertig.
Gegen nationalistische Versuchungen war er immun. Seiner Wissenschaft schrieb er die Aufgabe zu, einen Standpunkt zu vertreten, der sich von den Forderungen der Politik freihielt. Darauf bestand er grundsätzlich, erst recht in einem »Zeitalter der Finsternis«, das er früher als andere anbrechen sah. Seine Briefe zeigen, wie ein unangepasster Wissenschaftler sich eine Zeitlang im nationalsozialistischen Herrschaftssystem behaupten konnte und schließlich unterging. Er wusste, dass er den Krieg auf dem Balkan nicht überleben würde, akzeptierte sein Schicksal und gab sich mit dem zufrieden, was er erreicht hatte. Er hatte gefährlich gelebt und starb als Humanist und Philosoph.
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Zu den Beteiligten
Der Professor für Mittelalterliche Geschichte Folker Reichert ist auch einer der besten Spezialisten für die Geschichte der Mediävistik im 20. Jahrhundert.