In der Praxis meines Hausarztes ist der »Eid des Hippokrates« auf einem Plakat prominent zu lesen – und in der Tat ist dieser Eid bis heute Teil der ärztlichen Standesethik. Der Eid ist freilich nur eine der über 70 Schriften, die unter dem Namen des Hippokrates überliefert sind und das Corpus Hippocraticum bilden.
Hippokrates, der »Vater der Medizin«, wurde um 460 v. Chr. auf der griechischen Insel Kos geboren. Er kam aus einer Ärztefamilie, die sich auf den Heilgott Asklepios bezog, wurde von seinem Vater zum Arzt ausgebildet und praktizierte dann Medizin in der antiken griechischen Welt. Auf Kos begründete er eine Ärzteschule, deren Mitglieder in großen Ehren standen und die für die medizinische Praxis prägend wurde.
Von Hippokrates selbst, aber auch aus seiner Schule stammen die Schriften, die nun alle wieder in einer deutschen Übersetzung zugänglich sind. Es geht um eine genaue Diagnose und eine methodisch begründete Prognose für alle Krankheiten von Kopf bis Fuß, um Operationen und Therapien, aber auch darum, wie man durch eine vernünftige Lebensführung und Diät seine Gesundheit fördern und bewahren kann.
Behandelt werden alle Gruppen der antiken Gesellschaft – Einheimische und Fremde, Freie und Sklaven, Neugeborene und Greise, Kinder und Erwachsene, Männer und Frauen – ja, eine ganze Reihe von Werken befasst sich mit allen Aspekten der Frauenmedizin. Hinzu kommen die Schriften etwa zur besten Einrichtung einer Arztpraxis, zum korrekten ärztlichen Verhalten gegenüber Patientinnen und Patienten und nicht zuletzt zu der Frage, warum man am ehesten der wissenschaftlichen Medizin vertrauen sollte.
Eine Einführung des Ulmer Medizinhistorikers und -ethikers Prof. Dr. Florian Steger erschließt Leben und Werk des Hippokrates und die Rezeption seiner Werke, die behutsam modernisierte Übersetzung präsentiert das Corpus Hippocraticum in seiner Gesamtheit.
»Es geht bei Hippokrates auch darum, wie man durch eine vernünftige Lebensführung seine Gesundheit fördern kann.«
»Man muss die umfangreichen Schriften nicht alle studieren, aber man sollte gelegentlich darin lesen und staunen, was vor etwa zweieinhalb Jahrtausenden Empirie und Intuition dieses ärztlichen Genies hervorgebracht haben.« So schrieb 1996 Prof. Dr. med. Dr. med. h. c. Rudolf Gross im »Deutschen Ärzteblatt« über die erstmals in den 1930er Jahren publizierte deutsche Übersetzung, die seinerzeit jedoch nur im Frakturdruck erhältlich waren. Gross fügte hinzu: »Das wird möglicherweise denjenigen, denen man die Lektüre besonders ans Herz legen möchte, den jüngeren Ärzten, den Zugang erschweren oder verhindern.«
Die Ausgabe in der wbg-Edition erlaubt es nun erstmals nicht nur Ärztinnen und Ärzten aller Altersgruppen, sondern auch allen Interessierten sämtliche Werke des Hippokrates in einer neu gesetzten und überarbeiteten Ausgabe auf Deutsch zu lesen – und zu staunen.
Dieser Beitrag erschien zuerst im wbg Kompakt 04.22.
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Zu den Beteiligten
Kai Brodersen ist Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt und Senior Fellow am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald. Er ist Autor zahlreicher Bücher zur Antike und Herausgeber der Reihe »Geschichte kompakt – Antike«.