Human-Animal Studies – ein neues Forschungsfeld im Porträt

Menschen hatten immer schon Beziehungen zu anderen Tieren, weltweit und zu allen Zeiten. Diese Beziehungen lassen sich von jeher grob in zwei Kategorien einteilen: Die eine ist sog. „Nutz“-Tieren vorbehalten, die andere solchen Tieren, die uns schützens- und liebenswert erscheinen. Daraus können sich auch Schnittmengen ergeben, in welchen jene Lebewesen zu finden sind, die wir nutzen, zu denen wir gleichzeitig aber auch Zuneigung entwickeln. Dies kann emotional und ethisch problematisch werden, wenn diese Tiere, z.B. Hasen, Hühner, Kälber etc., denen man Namen gegeben hat und die man gerade noch liebevoll betreut hat, aus ihrem Zuhause gerissen und in den Schlachthof gebracht werden. Um ein solches Dilemma zu umgehen, vermeidet man üblicherweise Schnittmengen dieser Art.

Welches Tier nun in welche Kategorie fällt, ist mitunter willkürlich und kulturell bestimmt: Schlangen etwa werden in vielfacher Weise genutzt (z. B. von der Pharmaindustrie aufgrund ihrer Toxine; in manchen Ländern als Nahrung, etc.), andererseits auch als gefährlich eingestuft und daher verfolgt und getötet. Manche werden hingegen als Haustiere gehalten und wiederum andere als vom Aussterben bedroht geschützt.

Wenn wir in unsere europäische Vergangenheit blicken, erzählen uns die erhaltenen archäologischen und schriftlichen Zeugnisse, dass die Verhältnisse zu Tieren in ihren Grundzügen den heutigen ähnlich waren. Auch kritische Stimmen sind kein Phänomen der Moderne: So gab es etwa bereits in der Antike Gegenpositionen zur alltäglichen Tierausbeutung. Plutarch z.B. argumentierte gegen das Töten von Tieren und für den Vegetarismus.

Seit einigen Jahren gibt es eine wissenschaftliche Disziplin, die sich mit den komplexen Themen auseinandersetzt, die hier nun schon kurz angeklungen sind: die Human-Animal Studies. Hier sollen nun einige ihrer Grundlagen dargestellt werden. Tiere und auch unsere Beziehungen zu ihnen werden zwar schon lange erforscht, allerdings so gut wie immer anthropozentrisch ausgerichtet, d.h. aus der Perspektive des Menschen und mit dem Ziel, ihm Nutzen zu bringen. Die Human-Animal Studies beziehen nun auch die Perspektive der Tiere mit ein und fragen, wie sich die Welt und Mensch-Tier-Beziehungen für nicht-menschliche Tiere darstellen. Dabei werden Tiere nicht mehr als Objekte, sondern als Subjekte und als Individuen mit eigenen Erfahrungen, Interessen, Perspektiven, Empfindungen und Vorlieben gesehen. Sie sind nicht mehr stumme Lebewesen zweiter Wahl, sondern sie werden als Akteure mit Wirkungsmacht gesehen (man denke nur an das eigene Haustier daheim, nach dessen Pfeife wir tanzen, oder die Kuh, die deutlich macht, dass sie kein Interesse hat, geschlachtet zu werden und aus dem Schlachthof ausbricht).

Die Vermenschlichung von Tieren wird nicht mehr kategorisch verpönt, sondern in wissenschaftlichem Rahmen zugelassen, denn tatsächlich haben wir Menschen besonders viele Ähnlichkeiten mit anderen Säugetieren und Vögeln (Emotionen, Stimmungen, Sprach- und Werkzeuggebrauch, Kultur, Sozialverhalten u.v.m.). Kulturelle, philosophische und gesellschaftliche Glaubenssätze und Konstruktionen werden analysiert, kritisch hinterfragt und bei Bedarf dekonstruiert.

Human-Animal Studies versuchen, jeglichen Speziesismus zu überwinden. Dabei handelt es sich um eine Analogie-Bildung zu Sexismus, Rassismus, Ageismus etc., die die Diskriminierung, Herabwürdigung und Ausbeutung eines Lebewesens auf Grund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Spezies bezeichnet. Und sie bemühen sich um eine tiergerechte Sprache: Etwa die in unserer Kultur gängige Praxis, identische Vorgänge, Körperteile, Eigenschaften, Zustände etc. bei Menschen und Tieren mit unterschiedlichen Bezeichnungen zu belegen (z. B. essen / fressen, Leichnam / Kadaver, schwanger / trächtig, gebären / werfen, sterben / verenden etc.) wird von Seiten der Human Animal Studies kritisiert, da dadurch vermeintliche Unterschiede zwischen Menschen und anderen Spezies zementiert werden, anstatt Gemeinsamkeiten hervorzuheben.

Human-Animal Studies haben letztendlich die Aufgabe, die Gesellschaft für ihren oftmals problematischen Umgang mit Tieren zu sensibilisieren und zu einer Verbesserung der Mensch-Tier-Verhältnisse beizutragen. Wie dies konkret aussehen kann zeigt eine Reihe von neueren Publikationen im Programm der wbg:

„(Artger)echtes Leben lehren“ und „(Un)gleiches Miteinander“ erörtern Konzepte, wie Mensch-Tier-Beziehungen im Schulunterricht thematisiert werden können. Die neue Buchreihe „Animate Theologies“ diskutiert die Möglichkeit einer postanthropozentrischen Theologie. Und mit „Gerechtigkeit für Tiere“ argumentiert Martha Nussbaum – die einflussreichste Philosophin der Gegenwart – mit Leidenschaft und philosophischer Schärfe für eine Welt, in der Menschen nicht Ausbeuter und Nutzer, sondern Freunde der Tiere sind.

 

Neu bei der wbg: »Gerechtigkeit für Tiere« von Martha Nussbaum

Weltweit sind Tiere in Not: sei es durch die Zerstörung ihrer Lebensräume, sei es durch die Qualen der industriellen Tierhaltung, durch Wilderei oder durch die Vernachlässigung von Haustieren, die wir angeblich so lieben. Tiere erleiden jeden Tag Ungerechtigkeit und Grausamkeit durch unsere Hände. Martha Nussbaum entwickelt, ausgehend von ihrem grundlegenden Fähigkeiten-Ansatz, eine neue philosophische, juristische und moralische Grundlage zum Schutz der Tiere. 

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Zur Autorin des Beitrags

Gabriela Kompatscher-Gufler ist Außerordentliche Professorin für Lateinische Philologie an der Universität Innsbruck. Forschungsschwerpunkte: Mittellateinische Philologie und Human-Animal Studies (inkl. Ethical Literary Animal Studies).

 

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  • Begegnung mit nichtmenschlichem Leben nicht nur in rationalen Studies, sondern z. B. in einfühlender Poesie sondern auch

    Ich freue mich zunächst über Ihr neues Forschungsfeld, das Sie mit "Human-Animal Studies" bezeichnen. Fr. Prof. Kompatscher-Gufer beschreibt mit der "Überwindung des Speziesismus", einer "tiergerechten Sprache" und der Sensibilisierung hinsichtlich des problematischen Umgangs mit Tieren drei Ziele/ Arbeitsbereiche. Um diese Ziele zu erreichen, braucht es meiner Meinung nach noch mehr als das "rationale Forschen": 1. Schon die Bezeichnung "Human-Animal Studies" greift wieder die alte dualistische Abgrenzung auf und übersieht, das wir "Eins sind" und es sich vielleicht um "Studies about human and nonhuman animals" handelt. 2. Wir müssen im inneren Herzen fühlen, dass sich unser Mitsein als human animal aus der mehr-als-menschlichen Welt speist, um wirklich voranzukommen. Dazu könnten nicht-rationale, poetische Erzählungen helfen. 3. Dieses Forschungsfeld will Grenzen im Umgang mit nonhuman animals überwinden, setzt dadurch aber gleichzeitig wieder Grenzen zum übrigen nichtmenschlichen Leben wie z.B. zu Pflanzen, obwohl eine ganzheitliche Betrachtung notwendig ist. 4. Ich wünsche mir, das die Publikationen in dieser Reihe nicht nur sensibilisieren, sondern überzeugend aktivierend aufrütteln zu einem "wirklichen Begegnen" mit nichtmenschlichem Leben, das erst den Start zur Aufarbeitung unserer Schuld und Bekämpfung unserer krankhaften Weltanschauungen ermöglicht.
    Diese Reihe sollte die Bedeutung der "Begegnung mit nichtmenschlichem Leben" auch für die Lösung der multiplen Krisen und das Überleben unserer Spezies deutlich "in nichtmenschliche Lebewesen einfühlend" herausarbeiten.
    Mit freundlichem Gruß
    Thomas Powell

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