Philosophin Corine Pelluchon im Gespräch mit wbg-Lektorin Susanne Fischer
Susanne Fischer: Verbessern wir die Welt!, so heißt der Titel Ihres neuen Buches. Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass unsere Welt überhaupt noch zu verbessern ist?
Corine Pelluchon: In der Tat geht es darum, „die Welt zu reparieren“, und ich übernehme diesen Ausdruck aus der lurianischen Kabbala (tikkun olam). In dieser Tradition heißt es, dass die Einheit von Beginn der Schöpfung an zerbrochen ist und dass wir die Stücke des Göttlichen, die in den Dingen verstreut sind, wiederfinden müssen. Die Wahrheit ist uns nur bruchstückhaft zugänglich.
Diese bescheidene und zugleich mutige Haltung besteht darin, die Welt zu unterstützen: zu sehen, was wir hier und jetzt tun können, ausgehend von den Dingen selbst. Anstatt zu versuchen, eine Einheit wiederherzustellen, die es nie gegeben hat, und Schuldige zu benennen, sollten wir akzeptieren, dass einige Dinge zerstört sind, dass manches unumkehrbar und irreparabel ist. Wir sollten eine Bestandsaufnahme machen, um zu sehen, was man ändern und was man erhalten muss.
Die so verstandene Reparatur der Welt ist der Geist dieses Buches, in dem ich mich sozusagen nach den Katastrophen positioniere, wenn es darum geht, die Dinge wiederaufzubauen. Während der Katastrophe herrscht Chaos: Die Einheit ist zerbrochen, wie in jeder Krise, sei sie persönlich oder kollektiv. Aber es kommt ein Moment, in dem man Leitfäden braucht, konstruktive Ansätze, die Menschen zusammenbringen können, anstatt sie zu spalten. In diesem Moment kann es hilfreich sein, intellektuelle Werkzeuge aus den Bereichen Ethik und Politik sowie strategische Überlegungen zur Verfügung zu haben, die uns helfen, den ökologischen Wandel umzusetzen, indem wir die Triebkräfte des Wandels hervorheben.
S. F.: Das Buch bietet einen Einstieg und Überblick in Ihr philosophisches Denken. Welche Themenbereiche kommen zur Sprache, und wie hängen sie miteinander zusammen?
C. Pelluchon: Ein zentraler Gedanke des Buches ist, dass der ökologische Wandel ein herausforderndes Projekt sein kann. Aber er ist wirtschaftlich und politisch machbar. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass man sich auf das konzentriert, was den Menschen Selbstachtung verleiht, anstatt ihnen nur Schuldgefühle einzureden.
Der dritte Aufsatz, in dem ich meinen Ansatz von meiner Arbeit im Bereich der medizinischen Ethik und der Verletzlichkeit bis hin zur Ethik der Wertschätzung darlege, hilft, die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen meiner Philosophie der Körperlichkeit und der Care-Ethik und dem Ökofeminismus zu verstehen. Er bietet erstmals in deutscher Sprache einen Zugang zu meiner Ethik der Verletzlichkeit, in der der Einfluss von Levinas spürbar ist.
Die in dem Buch versammelten Texte sind deshalb besonders zugänglich, weil die Ideen, die ich hier äußere, über lange Zeit gereift sind. Ich fasse sie hier zusammen, um sie anwendbar zu machen.
S. F.: Theoretisch wissen wir eigentlich, wie wir unser Leben und die Gesellschaft verändern müssten, aber die Umsetzung fällt oft schwer. Wie lässt sich diese Lücke zwischen Theorie und Praxis schließen?
C. Pelluchon: Dies ist die Herausforderung einer Ethik, die als Selbstveränderung gedacht ist. Sie besteht auf der Verbindung zwischen Vorstellungen, Affekten, Werten und Verhalten, anstatt sich auf Verpflichtungen oder Prinzipien zu beschränken.
Aber wir müssen auch auf die Hebel für strukturelle Veränderungen hinweisen, auf das, was wirtschaftlich machbar ist, auf das, was eine gut funktionierende Demokratie voraussetzt, und auf politischen Strategien zu einer Entgrenzung der Themen, wie ich es bei der Verbindung von Tierschutz und ökologischem Übergang zeige.
Die Verbindung zwischen sozialen Strukturen und der menschlichen Psyche versuche ich, in diesem Buch genauer zu beleuchten.
Über das Buch
Wollen wir dem Klimawandel begegnen und Gerechtigkeit gegenüber allen Lebewesen fördern, müssen wir umdenken. Wir Menschen müssen unseren Platz in der Natur neu finden und uns bewusstmachen, dass unser Bewohnen der Erde immer ein Zusammenleben mit anderen (Menschen und nichtmenschlichen Lebewesen) ist. Ökologie und Nachhaltigkeit, die Rechte der Tiere und der Respekt vor den Menschen in all ihrer Verwundbarkeit sind untrennbar miteinander verbunden, und jeder und jede Einzelne kann dazu beitragen, die gemeinsame Welt zu verbessern. Ein idealer Überblick über Corine Pelluchons Philosophie: all die Themen ihrer großen Werke kommen hier in knapper und zugänglicher Form zur Sprache.
Weiterführende Links
Mehr Bücher von Corine Pelluchon
Mehr aus der Kategorie »Philosophie der Gegenwart«
Zu den Beteiligten
Prof. Dr. Corine Pelluchon ist Professorin für Philosophie an der Université Gustave Eiffel (Paris-Est-Marne-La-Vallée), Mitglied des Hannah Arendt Interdisciplinary Laboratory for Political Studies und war Fellow bei The New Institute in Hamburg und am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Ihr Schwerpunkt liegt auf Moralphilosophie, Phänomenologie, Politischer Philosophie und angewandter Ethik (Medizin-, Umwelt- und Tierethik). Prof. Dr. Pelluchon ist Trägerin des Günther Anders-Preises für kritisches Denken 2020.
Foto: © Edouard Caupeil
Susanne Fischer gestaltet als Lektorin das Philosophie- und Theologie-Programm der wbg.