von Gesine Schwan
Im Zuge der länger andauernden Einschränkungen unseres täglichen Lebens und unserer Grundrechte wegen Corona ist es zunehmend zu Protesten gekommen. Bei den Protestierern finden sich sehr unterschiedliche Motive. Verteidigung von Grundrechten, Zweifel an der Sinnhaftigkeit konkreter Einschränkungsmaßnahmen, grundsätzliche Gegnerschaft, ja Feindschaft gegen unsere Demokratie und Glaube an Verschwörungstheorien kommen zusammen. Legitime Skepsis und illegitime misstrauische Feindschaft gegenüber den Entscheidungen der demokratischen Politik gehen ineinander über. Das könnte zu einer gefährlichen antidemokratischen und explosiven Mischung führen. Deshalb ist es wichtig, sich Klarheit darüber zu verschaffen, wie politische Kommunikation in der Krise das Vertrauen in unsere Demokratie stärken kann, anstatt es zu unterminieren.
Dabei ist zunächst im Blick zu behalten, dass jede Kommunikation nicht nur von den Sendern, sondern auch von den Empfängern geprägt wird. Unter den Protestierenden findet sich offensichtlich eine Reihe von Personen, die die Krise für ihre rechtsextreme Agitation nutzen wollen oder ohnehin Verschwörungstheorien anhängen. Die kann man vermutlich durch bessere Kommunikation nicht erreichen. Aber man kann verhindern, dass sie zu viele Anhänger finden. Gerade in der Krise tragen die Regierungen dafür eine besondere Verantwortung, weil sie mit Autorität die Initiative ergreifen können.
Gegenseitiges Vertrauen
Wenn Kommunikation das Vertrauen der Bürger*innen stärken soll, müssen kommunizierende Regierungsvertreter zuerst selbst Vertrauen in die Bürger*innen haben. Wer ihnen dagegen eher misstraut, wer „schwierige“ Informationen zu unterdrücken versucht oder sie vor Herausforderungen bewahren will, neigt zu Vertuschungen. Das wiederum schafft Misstrauen. Politiker*innen mit einem autoritär-paternalistischen Menschenbild sind eher misstrauisch, trauen in der Regel den Bürger*innen weniger zu als Politiker*innen, die sich der Aufklärung verbunden fühlen. Erstere wollen den Bürger*innen keine Konflikte und keinen Streit zumuten, lassen gern vieles im Dunkeln. Sie verhindern oft aktiv die Thematisierung von schwierigen Fragen, die die eigene Machtposition gefährden könnte. Ihre Politik erklären sie für „alternativlos“. Solche Positionen gibt es in allen Parteien.
Demokratische Kommunikation dagegen muss eben Vertrauen in und Wertschätzung für die Bürger*innen aufbringen, wenn sie gelingen soll. Die Politik muss auf die Urteilsfähigkeit der Bürger*innen und auf Klärungschancen durch die öffentliche Debatte setzen. Eine solche Haltung kann den Bürger*innen in einer Krise wie der gegenwärtigen auch Unsicherheit zumuten.
Dagegen kann die Grundhaltung des paternalistischen Misstrauens lange gutgehen und dem Machterhalt dienen. Sie ist aber gefährlich, weil sich bei Gegnern ein Misstrauenspotenzial wegen der unausgesprochenen Einwände und Zweifel anstauen kann, das lange unter der Decke bleibt. Es entsteht ein Schwelbrand, der sich dann unerwartet an den verschiedensten Stellen entfacht, sodass der kausale Zusammenhang nicht mehr erkannt werden kann. Schon Machiavelli hat davor gewarnt, dass ein Volk verloren ist, wenn es das Vertrauen in seine Politiker ganz verloren hat. Er tat dies nicht im „Principe“, sondern in seinen „Discorsi“, in denen er sich für eine freiheitliche Republik ausspricht: „Will es aber das Schicksal, dass das Volk zu niemandem Vertrauen hat, wie es manchmal der Fall ist, wenn es schon früher einmal durch die Umstände oder durch die Menschen getäuscht worden ist, so stürzt es unaufhaltsam in sein Verderben.“1
Auf Gründe bauen: Kommunikation unter Unsicherheitsbedingungen
Zu den Schwierigkeiten Vertrauen stiftender Kommunikation gehört, dass Politik immer unter Bedingungen der Unsicherheit entscheiden und handeln muss. Sie kann nie wissen, ob ihre Einschätzung der Lage alle wichtigen Aspekte berücksichtigt hat, ihr bleibt auch oft nicht die Zeit, alle Informationen zu sammeln, sie kann nicht sagen, wie sich die Zukunft entwickelt, welche Veränderungen eintreten und zu neuen Konstellationen führen, sie ist in der Regel bei ihren Entscheidungen darauf angewiesen, mit anderen zu kooperieren, von denen sie nicht mit Sicherheit vorhersehen kann, wie sie sich wirklich verhalten werden – um nur einige Unsicherheitsfaktoren zu nennen.
Diese prinzipielle Unsicherheit muss sich Politik immer klarmachen und deshalb auch immer revisionsbereit sein. Solche Revisionen wagen demokratische Politiker*innen jedoch in der Regel nicht, weil sie um ihre Autorität fürchten, wenn sie Aussagen korrigieren und Entscheidungen zurücknehmen bzw. ändern. Diese Gefahr besteht aber nicht, wenn Positionsänderungen jeweils gut und nachvollziehbar begründet werden. So lautet die Dritte Maxime des Gemeinsinns, die Immanuel Kant in seiner „Kritik der Urteilskraft“ formuliert: „Jederzeit mit sich einstimmig denken.“ Sie fordert nicht, dass man ein Leben lang dieselben Positionen vertreten soll. Das ist für eine lebende Person gar nicht möglich. Aber man muss Positionsänderungen begründen. Die Qualität der Begründung lässt sich nicht vornherein bestimmen. In der Politik braucht es deshalb die kontroverse Debatte, die jedenfalls unhaltbare Gründe schnell erkennen lässt.
Damit ist eine weitere zentrale Bedingung für Vertrauen stiftende Kommunikation benannt: Jede Entscheidung muss im Lichte immer bestehender Alternativen begründet werden. Nur dann erkennt sie die Adressaten als Partner an, denen sie nicht einfach Behauptungen und Gehorsam zumutet. Denn Begründungen können immer infrage gestellt werden. Nur so entsteht eine ernsthafte Diskussion auf Augenhöhe, nur so kann man die besten Lösungen finden, weil man Alternativen prüfen kann und Kehrseiten der vorgeschlagenen „Medaillen“ erkennt.
Wer seine Entscheidungen im Gegensatz dazu prinzipiell nicht begründet, sondern als „alternativlos“ vorträgt, verstößt damit gegen Grundregeln des demokratischen Diskurses, der ja Vertrauen stiften soll.
Alles Gesagte gilt verschärft für Krisenkommunikation. Die Begründungen für den Lockdown sind meines Erachtens nicht ausführlich genug diskutiert, Zweifel nicht hinreichend thematisiert worden. Offenbar hat man das der Öffentlichkeit in der Krise nicht zumuten wollen, obwohl das gerade unter diesen Bedingungen notwendig wäre. Vielleicht waren den Entscheidern auch selbst ihre Gründe oder Zweifel daran nicht immer bewusst. Das rächt sich jetzt. Wir sollten alle daraus lernen: Politische Kommunikation muss auf Gründe bauen, muss dialogisch-argumentativ verfahren und Vertrauen in die bürgerliche Öffentlichkeit aufbringen, wenn sie freiwillige Zustimmung gewinnen, Misstrauen und Verschwörungstheorien den Boden entziehen und Vertrauen sichern will.
1 Machiavelli, Niccolò, 1977, Discorsi. Gedanken über Politik und Staatsführung. Dt. Gesamtausgabe, übers., eingel. u. erläutert v. Rudolf Zorn, 2. verbesserte Aufl., Stuttgart, S. 36
Zur Autorin
Die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Gesine Schwan lehrte von 1977-1999 als Professorin/Dekanin an der FU Berlin, von 1999–2008 war sie Präsidentin der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (O). Seit 1972 ist sie SPD-Mitglied, seit 2014 Vorsitzende der Grundwertekommission der SPD. 2005-2009 war sie deutsch-polnische Koordinatorin der Bundesregierung. 2004 und 2009 kandidierte sie für das Amt des Bundespräsidenten. Seit 2015 ist sie Co-Vorsitzende Sustainable Development Solutions Network (SDSN) Germany sowie aktuell Präsidentin und Mit-Gründerin der Humboldt-Viadrina Governance Platform, Berlin. Bei wbgTheiss erscheint ihr Buch „Politik macht Sinn“.