Supermächte gab es in der Geschichte viele. Doch keine hat sich ewig gehalten – nicht einmal Rom, auch wenn die stolzen Herrscher vom Tiber der Meinung waren, ein Reich geschaffen zu haben, das niemals untergehen würde. Und doch verschwand auch das Imperium Romanum von der Bühne der Geschichte. Im Westen endete das schon arg dezimierte Römische Reich 476 mit der Absetzung des letzten Kaisers Romulus Augustulus. Der Osten hielt sich noch gut 1000 Jahre länger. Erst 1453 wurde mit der Eroberung der Hauptstadt Konstantinopel durch die Osmanen ein Schlussstrich unter eine der größten Erfolgsgeschichten aller Zeiten gezogen.
Warum ging Rom unter? Kaum eine andere Frage hat die althistorische Forschung mehr bewegt. Dabei stand Ostrom immer im Schatten von Westrom. Bei Ostrom/Byzanz fragt man sich eher, wieso es so lange Bestand hatte. Warum also ging Westrom unter? So viel steht fest: Es gab nicht nur einen Grund. So war es auch bei allen anderen großen Reichen der Geschichte. Immer kamen mehrere Faktoren zusammen.
Der Berliner Historiker Alexander Demandt zählte 2014 nicht weniger als 227 Gründe, die man seit der Antike für den Fall des Römischen Reiches verantwortlich gemacht hat. Natürlich sind nicht alle und schon gar nicht alle zusammen zutreffend. Manche sind ziemlich abstrus. In diese Kategorie gehört die sich hartnäckig haltende Vorstellung von der Vergiftung durch Bleirohre. Hoch im Kurs steht in der allgemeinen Wahrnehmung auch der Verfallsfaktor „Dekadenz“. Aber damit kann man heute keine wissenschaftlichen Meriten mehr ernten. Hier stand das einst berühmte Werk „History of the Decline and Fall of the Roman Empire“ („Niedergang und Untergang des Römischen Reiches“, 1776–1788) von Edward Gibbon Pate; Gibbon ging von einem natürlichen Verfallsprozess aus und gab neben den Christen den Germanen die Schuld am Ende Roms. Daraus entwickelte sich der Mythos von der Völkerwanderung als einem zentralen, zerstörerischen Element.
Jede Zeit findet ihre eigenen Antworten auf die Frage, wieso das Römische Reich unterging.
Der Fall Gibbon zeigt: Jede Zeit findet ihre eigenen Antworten auf die Frage, wieso das mächtige Römische Reich erst ins Wanken geraten und schließlich untergehen konnte. Im 19. Jahrhundert wurden militärische Aspekte favorisiert. In den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts standen wirtschaftliche und soziale Aspekte im Vordergrund. Neuerdings drehen sich die Diskussionen um Klima und Seuchen. Die Gefahr, mit solchen Deutungen moderne Probleme in die Antike zu projizieren und sich dann zu wundern, wie aktuell die Antike doch ist, ist offensichtlich. Stattdessen sollte die Geschichtswissenschaft die einzelnen Faktoren, die den Untergang Roms herbeiführten, sachlich und kritisch prüfen und auf dieser Grundlage eine an den Gegebenheiten der damaligen Zeit orientierte Hierarchie der wichtigsten Krisenfaktoren präsentieren. Nicht falsch wird man liegen, wenn man im Fall Rom primär eine Kombination aus militärischen, finanziellen und mentalen Aspekten diagnostiziert, die zum Ausstieg aus der Weltgeschichte führte.
Aber ist Rom wirklich untergegangen? Was am Ende des 5. Jahrhunderts im Westen zerfiel, waren die staatlichen Strukturen. Was blieb, war Rom als Vorbild, als Idee, als Vermächtnis. Das können nicht alle verschwundenen Reiche der Geschichte von sich behaupten.
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Zu den Beteiligten
Holger Sonnabend ist Professor für Alte Geschichte am Historischen Institut der Universität Stuttgart.