wbg: Lieber Professor Headrick, der englische Titel Ihres Buches lautet »Humans versus Nature«. Er suggeriert eine grundsätzliche Auseinandersetzung zwischen Mensch und Natur. Gab es denn mal eine Zeit, in der der Mensch in friedlicher Koexistenz mit seiner Umwelt gelebt hat?
Daniel R. Headrick: Alle Lebewesen – auch der Mensch – leben auf der Suche nach Nahrung, Raum und anderen Ressourcen sowie als Objekt der Bedürfnisse anderer Lebewesen in Konflikt mit ihrer Umwelt. Die Idee der »friedlichen Koexistenz« ist ein Mythos. Das Besondere am Homo sapiens ist unsere zunehmende Macht über den Rest der Natur. Jetzt sind wir die dominierende Kraft für Veränderungen in der Welt.
wbg: In der Vergangenheit gab es ebenfalls drastische Klimaveränderungen und Artensterben – Probleme, die im wachsenden Ausmaß auf uns zukommen werden. Was unterscheidet die gegenwärtige Situation von der Vergangenheit?
Daniel R. Headrick: Der Unterschied zwischen dem derzeitigen Klimawandel und dem Artensterben besteht darin, dass sie vom Menschen verursacht werden, insbesondere in den letzten zweieinhalb Jahrhunderten.
wbg: Ihr Buch beschreibt unter anderem, wie im Laufe der Jahrtausende neue Technologien und Produktionsformen, wie etwa Ackerbau, Feldbewässerung und die Kettensäge, die Möglichkeiten zur Ausbeutung der Natur intensiviert haben. Gibt es einen technologischen Sprung, der besonders verheerend für die Umwelt war?
Daniel R. Headrick: Die Nutzung fossiler Brennstoffe als Energiequellen haben den Einfluss des Menschen auf die Umwelt und die damit verbundenen Auswirkungen auf die übrige Natur dramatisch verschärft. Wir sehen das an der Luft- und Wasserverschmutzung, der Abholzung der Wälder, dem steigenden Anteil von Kohlendioxid in der Atmosphäre und die daraus resultierende globale Erwärmung. Alle Messwerte für diese Phänomene – das so genannte »Hockeyschläger-Phänomen« – zeigen seit dem späten 18. Jahrhundert und insbesondere seit dem Zweiten Weltkrieg einen starken Anstieg.
»Die Idee der »friedlichen Koexistenz« ist ein Mythos.«
wbg: Technologische Innovationen müssen jedoch nicht grundsätzlich negative Auswirkungen auf unsere Umwelt und Natur haben. Glauben Sie, dass wir mithilfe von regenerativen Energiequellen, »CO2-Staubsaugern« und klimaneutralen Mobilitätskonzepten die derzeitige Klima- und Umweltkrise überwinden können?
Daniel R. Headrick: Es ist möglich, die Kohlenstoffemissionen durch den Einsatz erneuerbarer Energiesysteme und anderer Technologien zu verringern. Der Übergang zu einer kohlenstofffreien Welt wird jedoch sehr kostspielig sein und auf großen politischen Widerstand stoßen. Wenn diese Maßnahmen irgendwann erfolgreich sein werden, wird die Erde um mehrere Grad wärmer sein, mit unvorhersehbaren sozialen und politischen Folgen.
Die Zukunft des Planeten und der Menschheit liegt vielmehr in einem Dreieck künftiger Optionen: Die eine Seite – eine nachhaltige Welt – würde eine radikale Änderung unserer Gewohnheiten und unseres Wesens durch Weisheit, Zurückhaltung und Demut erfordern. Eine zweite Seite – business as usual – würde nur wenige Änderungen in unserem Lebensstil und unseren Konsumgewohnheiten erfordern, ungeachtet der Folgen für den Planeten. Die dritte Seite – aktives Management des Planeten Erde durch Management der Biosphäre und des Klimas – würde wissenschaftliche Planung sowie die Weitsicht und den Mut von aufgeklärten politischen Führern voraussetzen.
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Zu den Beteiligten
Daniel R. Headrick erforscht seit Jahrzehnten die wechselseitige Dynamik zwischen Umwelt, Gesellschaft und Technologie und veröffentlichte zahlreiche Bücher zu diesen Themen. Bis 2008 lehrte der Historiker Sozialwissenschaften und Geschichte an der Roosevelt University in Chicago.