von Prof. Hermann Parzinger
Wir alle haben das öffentliche Leben Mitte März mit einer Vollbremsung auf nahezu Null bringen müssen und das in einer Weise, wie wir es uns zuvor nicht hätte vorstellen können. Strahlender Sonnenschein liegt auf der Museumsinsel in der Mitte Berlins, aber sie ist seit Wochen menschenleer, Nofretete ist allein zu Haus, alle Türen sind verschlossen, auch die unserer Bibliotheken und Archive. Aber wir haben auch viel gewonnen, die Pandemie scheint beherrschbar geworden, und das Erreichte darf jetzt nicht durch unbedachtes Agieren verspielt werden. Sicher ist aber auch, dass wir nicht einfach da anknüpfen können, wo wir vor dem Shutdown aufgehört haben. Die Welt ist zwar keine andere geworden, diesen pathetischen Formeln möchte ich mich nicht anschließen, und doch habe sich viele Dinge verändert.
Wenn wir nun darangehen, wie wir schrittweise und mit großer Vorsicht wieder öffnen, dann ist für die Häuser der Stiftung Preußischer Kulturbesitz maßgeblich, welche Vorgaben das Land Berlin macht. Hygienemaßnahmen spielen eine entscheidende Rolle. Um das praktisch umzusetzen, waren viele ganz konkrete Fragen zu klären: Wo müssen Plexiglasscheiben an Kontaktstellen angebracht werden, wie können die Abstandsregeln von Museumsbesuchern eingehalten werden, wie schnell kann Aufsichtspersonal externer Dienstleister reaktiviert werden?
Die Staatlichen Museen zu Berlin haben seit langem gut funktionierende Tools für das Besuchermanagement. Um Schlangenbildung vor den Häusern zu vermeiden, sind konkrete Besuchszeiten im Internet vorab zu buchen, Online-Tickets mit Zeitfenster. Lange Schlangen vor den Museumstoren, dieser Traum jedes Museumsmachers kann jetzt schnell zum Albtraum werden. Doch der nationale und internationale Tourismus, der Berlin so viel Leben einhaucht und auch ein maßgeblicher Wirtschaftsfaktor in der Stadt ist, er wird auch den Museen vermutlich noch lange fehlen. Wenn wir ab den 12. Mai ausgewählte Häuser auf der Museumsinsel (das Alte Museum, die Alte Nationalgalerie und das Pergamon-Panorama) und am Kulturforum (die Gemäldegalerie und die Ausstellung „Pop on Paper“ im Kupferstichkabinett) öffnen, so dürfte das – solange Hotels und Restaurants noch geschlossen sind und damit Reisen nur schwer möglich ist – in erster Linie ein Angebot an die Berlinerinnen und Berliner sein. Wir dürfen uns einerseits keine Schlangen wünschen, und doch hoffen wir andererseits natürlich, dass dieses Angebot von möglichst Vielen angenommen wird. Die Menschen sollen sich in diesen schweren Zeiten wieder an Kunst und Kultur erfreuen können und auf andere Gedanken kommen, das ist unser Ziel, denn Museen und Kultureinrichtungen sind vor allem anderen für das Publikum da, das es – im besten Humboldt‘schen Sinne – „zu erfreuen und zu belehren“ gilt.
Eine andere zentrale Frage aller großen Museen ist, wie sich das mit erheblichem Vorlauf geplante und eng aufeinander abgestimmte Ausstellungsprogramm neu justieren lässt. Was können wir verschieben und einige Monate später als gedacht eröffnen, welche Laufzeiten müssen wir möglicherweise verkürzen, was muss abgesagt werden? Vieles hängt davon ab, wann halbwegs normales Leben wieder zurückkehrt. Für die zweite Jahreshälfte haben die Staatliche Museen zu Berlin noch immer zwei große Ausstellungen auf dem Programm. Ob aber die Präsentation zur Spätgotik in der Gemäldegalerie oder die Germanen-Ausstellung in der James-Simon-Galerie und im Neuen Museum wie vorgesehen eröffnen können oder verschoben werden müssen, lässt sich heute noch nicht sicher entschieden.
Für die Stiftung mit ihren Staatlichen Museen bringt die Schließung große Einnahmeverluste mit sich, etwa 2 Mio. Euro pro Monat, Geld, das uns im nächsten Jahr nicht nur für die Programmarbeit fehlen wird, sondern auch zur Deckung steigender Personal- und Betriebskosten bereits fest eingeplant war. Die schrittweise Öffnung einzelner Häuser ohne touristisches Publikum wird daran wenig ändern, weil wir zum Beispiel für deutlich weniger Besucher als zu normalen Zeiten gleichzeitig erheblich mehr Aufsichtspersonal benötigen, um die Hygienemaßnahmen gewährleisten zu können. Kurzum, mehr Aufwand und mehr Ausgaben für weniger Einnahmen. Noch einmal: Es ist ein Angebot an die Menschen, und das ist es uns wert.
Und noch ein anderer Aspekt ist mit der Krise verbunden. Nach der Schließung der Häuser war sehr schnell klar, dass es jetzt besonders auf die digitalen Angebote ankommt. Die Museen haben hier in den vergangenen Jahren sehr gut vorgearbeitet und ein ausgezeichnetes Angebot verfügbar. Und so vieles kam in den letzten Wochen der Krise noch hinzu. Das Bode-Museum etwa bietet attraktiv gestaltete virtuelle Rundgänge durch das ganze Haus, die Hintergrundinformationen zu jedem einzelnen Objekt liefern und enorme Klickzahlen generieren. Dank der inzwischen langjährigen Zusammenarbeit mit Google Arts & Culture präsentieren wir zehn Sammlungen mit vierzig Ausstellungen und etwa 5.000 Objekten. Und wenn uns Stefan Weber, der Direktor des Islamischen Museums, in einer virtuellen Tour zur berühmten Mschatta-Fassade mitnimmt, dann erreicht er allein damit 10.000 Menschen. Auch die anderen Direktoren stellen uns in Museums-Blogs oder auf YouTube ihre Sammlungen vor. Wenn ein kurzer Film zu Cranachs Jungbrunnen 150.000 mal aufgerufen und 250 mal in Social Media geteilt wird, dann sind das tolle Erfolge. Ganz neu ist in unserem Blog auch eine Spotify-Playlist mit den legendären Konzerten in der Neuen Nationalgalerie, als dort in den sechziger und siebziger Jahren Jazz-Größen wie Keith Jarrett zu Gast waren.
Wir erreichen mit den digitalen Angeboten verstärkt ein jüngeres Publikum, das gerade dadurch zu späteren Besuchen unserer Häuser und Sammlungen animiert wird. Doch all das kann nicht das authentische Erleben des Originals und die Inszenierung des Kunstwerks im musealen Raum ersetzen. Auch sind Museen heute mehr denn je soziale Orte, an denen wir uns austauschen, anregen lassen und unsere Eindrücke mit anderen teilen. Auch deshalb vermissen die Menschen das offene Museum so sehr. Doch Verzicht weckt Sehnsucht. Deshalb bin ich sicher, dass wir nach der Krise einen neuen Museumsboom erleben werden.
Prof. Dr. Hermann Parzinger ist Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Mitglied des Vorstands der wbg.