Sie waren das aufsehenerregendste Paar der Münchner Avantgarde: Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann, Vorkämpferinnen für das Frauenstimmrecht im Kaiserreich, pazifistische Internationalistinnen im Ersten Weltkrieg, in der Weimarer Republik Demokratinnen mit Hang zum Sozialismus, die schon früh vor dem Nationalsozialismus warnten.
Weil Gymnasien und Universitäten Frauen verschlossen waren, hatte die 1857 geborene Anita Augspurg, wie viele »höhere Töchter« ihrer Generation, eine private Lehrerinnenausbildung absolviert, zog dann aber eine Karriere als Schauspielerin vor. Später eröffnete sie in München ein Fotostudio, in dem sich selbst die bayerische Königsfamilie ablichten ließ. Doch damit nicht genug: Als erste Deutsche promovierte sie in Zürich zur Dr. jur. (Doktorin der Jurisprudenz; in Jura) und zog gegen die Unterordnung von Frauen im seit 1900 geltenden Bürgerlichen Gesetzbuch zu Felde. Durch ihr Engagement in der Frauenbewegung lernte sie die elf Jahre jüngere Lida Gustava Heymann kennen, die ihr Hamburger Familienerbe dazu nutzte, Ausbildungsmöglichkeiten für Mädchen und Kinderhorte für berufstätige Frauen einzurichten, Mittagstische für Arme zu finanzieren und Zufluchtsstätten für Prostituierte zu schaffen. Aus der Erkenntnis heraus, dass auch die beste »private soziale Fürsorge allein niemals die trostlosen Zustände beseitigen kann«, widmeten sich Heymann und Augspurg von nun an ganz dem Kampf um die Frauenemanzipation. Dass die überzeugten Pazifistinnen 1915 zu den Hauptorganisatorinnen des Internationalen Frauenfriedenskongresses in Den Haag gehörten, bei dem mehr als tausend Delegierte ein Zeichen gegen den Ersten Weltkrieg setzten, war daher nur konsequent. Anschließend suchten sie die Zusammenarbeit mit der Unabhängigen Sozialdemokratie, die sich wegen der Frage der Kriegsunterstützung von der SPD abgespalten hatte. Als während der Novemberrevolution in München Arbeiter- und Soldatenräte Kurt Eisner zum ersten Ministerpräsidenten des neuen Freistaats Bayern wählten, war Anita Augspurg Mitglied des provisorischen Nationalrats. Frauen erschlossen sich neue Berufe und saßen in den Parlamenten, man diskutierte über »Kameradschaftsehe«, »freie Liebe« und das »dritte Geschlecht«. Kampagnen forderten Straffreiheit für Abtreibung und Homosexualität, Marlene Dietrich machte als androgyner Vamp Furore, und Kinobesucher sahen den ersten lesbischen Kuss der Filmgeschichte.
»Die Weimarer Republik verwirklichte vieles, wovon Frauenbewegte und Sozialreformer im Kaiserreich nur träumen konnten.«
Auf der anderen Seite des weltanschaulichen Spektrums überzogen die Feinde der neuen Republik die junge Demokratie mit Attentaten und politischen Morden. München wurde zum Sammelbecken der Rechtsradikalen. Noch vor dem Hitler-Putsch warnten Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann vor dem Mobilisierungspotential des österreichischen Gefreiten und verlangten seine Ausweisung. Besorgt registrierten sie, wie die Rechte nach der Weltwirtschaftskrise immer mehr Zulauf gewann. Den Vorkämpferinnen für die Völkerverständigung war klar, dass ein Sieg der NSDAP einen neuen Krieg bedeutete. 1933 kehrte das Paar von einem Auslandsaufenthalt nicht mehr nach Deutschland zurück. Die Nationalsozialisten beschlagnahmten ihre Konten, das umfangreiche Archiv ging verloren. Zehn Jahre später starben Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann kurz nacheinander im Schweizer Exil.
Zum Buch »Aufbrüche und Abgründe«
Zur Themenseite »Lebensläufe«
Magazin als PDF ansehen
Zu den Beteiligten
Ute Planert ist Professorin für Neuere Geschichte an der Universität zu Köln und eine der führenden Expert:innen des napoleonischen Zeitalters. Neben zahlreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen ist sie eine gefragte Interviewpartnerin und schreibt Beiträge für ZEIT Geschichte, SPIEGEL Geschichte und DIE ZEIT.