Ein Kommentar von Thorsten Jacob, wbg-Community-Manager
Platon, seit jeher für mich philosophische Inspiration, stellte in der „Politeia“ seine ganz persönliche Rangliste der Staatsformen auf: Während die Philosophenherrschaft, die Monarchie und die Aristokratie für ihn die höchsten, da vernünftigsten Formen darstellten, so beschrieb Platon auch die zwei untersten Stufen aus seiner Sicht.
Die Demokratie belegt hierbei den vorletzten Platz und ist für Platon nur das Recht eines Jeden, ob gebildet oder nicht, sich durch Abstimmung an der Regierung zu beteiligen und so über das Wohl und Wehe des ganzen Staates zu wachen. Dieses ist nach heutigen Maßstäben das übliche, ja natürliche Merkmal der Demokratie und moderne Gesellschaften erfreuen sich hierbei an einer mehr oder weniger vollständigen Gleichberechtigung. Nicht so zu Platons Zeiten, wo weder Frauen noch Sklaven oder Nicht-Griechen beteiligt waren, und doch war der demokratische Ansatz jener, dass doch das Volk (oder zumindest dessen anerkannter Teil) Wahlberechtigung besaß und somit am Staate beteiligt war. Doch warum bewertete Platon dieses uns so geläufige wie geschätzte System so negativ? Nicht wegen der Ausgrenzung vieler, sondern wegen des Rechts der übrigen Wenigen zur so verstandenen gleichberechtigten Beteiligung. Ob gebildet, ungebildet, gut oder böse, ein Jeder hatte das Recht, sich zu beteiligen und durfte, unabhängig von seiner charakterlichen Eignung, in der Demokratie mitentscheiden. Dass Sokrates, Platons Lehrer, durch ein demokratisch d.h. durch Mehrheit gefälltes Urteil zum Selbstmord gezwungen wurde, ist meiner Ansicht nach elementar für Platons Haltung gegenüber der Demokratie selbst.
Doch gehen wir einen Schritt weiter: Für Platon ist die Demokratie nur einen einzigen, selbstverschuldeten Schritt von der Tyrannei bzw. der Diktatur und damit ihrer eigenen Auflösung entfernt. So wären nicht alle Menschen für die Freiheit der Entscheidung intellektuell wie charakterlich geeignet, sondern sie bedürfen und dürsten nach Entscheidern, nach Lenkern, nach Herrschern, welche ihnen die eigene Last der Verantwortung abnehmen. So ist der unweigerliche nächste Schritt gen Abgrund, dass Demokratien sich selbst abwählen und von sich aus zugrunde gehen, wenn Vernunft bei manchen Wahlberechtigten fehlt, wenn eine Minderheit der Guten dem Einen oder der Mehreren des Bösen gegenüberstehen und dazwischen die Unentschlossenen überzeugt werden könnten, so sichert sich das Gute dieses durch Vernunft und Wahrheit, das Böse wiederrum durch Täuschung und Lügen. Platon sieht die Rhetorik als mögliches Mittel gegen die Vernunft, gegen die Wahrheit und gegen das Gute und zugunsten Unwahrheit. Wer lügt, der hat ein leichteres Spiel, als derjenige, der sich der Wahrheit verschrieben hat. So, prophezeit Platon, wird es nach den Regeln der Rhetorik und der Lügen zu einem Staatsführer kommen, welcher die Mittel der Demokratie nutzt, um sich selbst an die Spitze zu hieven. Moralische Verwerflichkeit führt in diesem Falle daher nicht zum politischen Scheitern, sondern zum politischen Erfolg, und derjenige, der die Lügen am meisten zu nutzen weiß, wird letztlich das Ende der Demokratie hin zur Diktatur einläuten.
Nun ist dies nur eine von vielen Interpretationen, ich mag mich täuschen, und doch passt dieses Gedankenspiel meiner Ansicht nach in die Vergangenheit wie Gegenwart (und zu befürchten wäre auch in die Zukunft), in welcher nicht nur auch, sondern gerade Clowns, Lügner und Showmaster ohne jegliche moralische Vernunft und mitunter sogar mit offen bösartiger, menschenverachtender Haltung demokratisch gewählt werden können, aber von der Demokratie nicht nur wenig halten, sondern auch deren Grundwerte beleidigen und untergraben.
Sokrates wollte Wissen und Vernunft verbreiten, die Gegner davon erzwangen seinen Suizid. Wie weit sind wir davon entfernt, dass unsere (oder andere Demokratien) sich tyrannischen, faschistischen, antidemokratischen Gegnern und ihren Mitteln gegenüberstehen? Und ist die Demokratie aus sich selbst heraus wehrlos? Carlo Schmid, einer der Väter unseres Grundgesetzes, sagte einst: „Demokratie ist nur dort mehr als ein Produkt bloßer Zweckmäßigkeitserwägungen, wo man den Glauben hat, dass sie für die Würde des Menschen unverzichtbar ist. Wenn man den Mut zu diesem Glauben hat, muss man auch den Mut zur Intoleranz denen gegenüber haben, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie selbst umzubringen.“
Die Demokratie ist wehrhaft. Sie muss wehrhaft sein. Sie mag zwar nicht perfekt sein, aber sie bedeutet Freiheit zu denken, zu lernen, zu lieben und zu leben, und sollte von jedem Einzelnen aus der Vernunft heraus stets bewahrt und beschützt werden.
Zu den Beteiligten
Thorsten Jacob studierte Philosophie & Geschichte in Köln und Journalismus per Fernstudium und ist seit Oktober 2019 bei der wbg als Community Manager tätig. Er kümmert sich um den Austausch mit Mitgliedern, Autor:innen wie Inhalten und ist zuständig für den wbg-Podcast, den wbg-YouTube-Kanal, Social Media (Twitter, Instagram & Facebook) und betreut zudem die Praktikant:innen der wbg-Community & -Marke.
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