Sind Hitler-Witze okay?

Heute werden Hitler-Parodien, Nazi-Comics und das popkulturelle Spielen mit dem »Dritten Reich« akzeptiert. Vor der Jahrtausendwende wäre dies unmöglich gewesen. Gavriel Rosenfeld zeichnet diese rasante Normalisierung im Umgang mit dem Nationalsozialismus präzise wie anschaulich nach: Was sagt dies über unseren Umgang mit der Vergangenheit aus? Mit wbg-Lektor Daniel Zimmermann spricht Rosenfeld über Humor und unseren Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit.

Daniel Zimmermann: Lieber Herr Rosenfeld, als Andy Warhol in den 1960er Jahren begann, Marilyn Monroe, Elvis Presley, James Dean oder Liz Taylor in Siebdrucken popkulturell zu portraitieren, da war es undenkbar, dass Warhol Hitler verfremden würde. Warum?

Gavriel Rosenfeld: Damals wurde Hitler in der westlichen Welt noch weitgehend aus einer sehr moralistischen Perspektive betrachtet. Er war zu einem solchen Symbol des ultimativen Bösen geworden, dass eine respektlose Darstellung einen scharfen Tadel hervorgerufen hätte. Eine solche künstlerische Geste hätte definitiv gegen das damalige Moralempfinden verstoßen.

Daniel Zimmermann: Heute ist dies radikal anders: Das Netz ist voll von Hitler-Comics, Memes, ja von Popart-Versionen von Hitler im Geiste Warhols. Wann hat diese Entwicklung eingesetzt, dass es keinerlei Tabu mehr gibt, mit Hitler zu spielen?

Gavriel Rosenfeld: Während des Zweiten Weltkriegs war es durchaus üblich, sich über Hitler lustig zu machen, aber nach der Enthüllung der entsetzlichen Verbrechen des Nazi-Regimes, insbesondere des Holocausts, wurde der Spott durch Dämonisierung ersetzt, die nicht infrage gestellt werden durfte. Dieser Trend begann in der 68-Protestkultur etwas abzuebben, aber erst nach der Jahrtausendwende schlug das Pendel deutlich in die andere Richtung aus.

Daniel Zimmermann: Ist diese Entwicklung schlimm? Letztlich geht es ja darum, wie wir mit unliebsamen Erinnerungen umgehen: Sollen wir sie verdrängen oder ans Licht ziehen und verarbeiten? Was aber bedeutet es, wenn wir über »Adi« lachen?

Gavriel Rosenfeld: Das Brechen moralischer Tabus ist generell schwierig zu beurteilen. Einerseits können wir Hitler besser verstehen, wenn wir ihn nicht in schlichten schwarzweißen Begriffen beschreiben. Wir können ihn besser verstehen, wenn wir ihn als menschliches Wesen sehen statt als Alien, als außerirdischen Dämon. Andererseits kann eine nicht moralisierende Sichtweise ihm auch Türen zu Darstellungen öffnen, die ihm die Aura des Bösen nehmen und ihn so möglicherweise zugänglicher, ja ansprechender machen. Angesichts der heutigen Aktivitäten der Rechten ist das natürlich ein absolutes Problem.

Daniel Zimmermann: Hannes Stein schrieb in der Jüdischen Allgemeinen: »Wieso sollte ausgerechnet der Dreckskerl aus Braunau ungeschoren davonkommen? « Und er fährt fort: »Die Frage ist nicht, ob man über Hitler Witze machen darf, sondern wie gut diese Witze sind.« Sehen Sie dies genauso?

Gavriel Rosenfeld: Es kommt darauf an, wer die Witze macht und mit welchen Absichten. Juden oder anderen Menschen, die als Gruppe oder ganz persönlich vom Nationalsozialismus betroffen waren, wird mehr Freiraum eingeräumt als Menschen, die keine direkten Verbindungen zur NS-Zeit haben. Auch die Motive spielen eine Rolle. Wir wissen, dass Humor auch verwendet werden kann, um zu erniedrigen; dies ist der Fall bei vielen der rechten Memes, die Hitler für antisemitische oder rassistische Zwecke verwenden.

Daniel Zimmermann: Gibt es einen grundsätzlichen Unterschied im postmodernen Umgang mit dem Nationalsozialismus in den USA und in Deutschland?

Gavriel Rosenfeld: Ich würde behaupten, dass Deutsche traditionell zurückhaltender sind als Angloamerikaner, wenn es darum geht, Witze über Hitler zu machen. Diese Zurückhaltung spiegelt natürlich die deutsche Angst wider, falsch interpretiert zu werden oder auf der »falschen Seite« dieses sensiblen historischen Erbes zu stehen.

Daniel Zimmermann: Ihr Lieblingswitz über Hitler?

Gavriel Rosenfeld: Ich mag die Judenwitze, wie sie etwa in Filmen beispielsweise von Ernst Lubitsch auftauchten. In Lubitschs »To Be Or Not to Be« steigert sich der Schauspieler Bronski hinreißend in seine Hitler-Rolle hinein. Zum Missfallen des Produzenten weitet er sie noch aus: Auf diverse »Heil Hitler!«-Rufe antwortet er mit »Heil Myself!« Das ist ein großartiges Beispiel für die Verwendung von Humor, um Machtansprüche zu untergraben.

Daniel Zimmermann: Ich mag: »Wer war der schlechteste Golfer aller Zeiten? Ist doch klar: Adolf Hitler. Der ist nie mehr aus dem Bunker rausgekommen!«

Gavriel Rosenfeld: Good one!

Daniel Zimmermann: Ich danke Ihnen, lieber Herr Rosenfeld, ganz herzlich für dieses Gespräch!

 

Zum Schwerpunkt »Was ist Kultur?«

 

Zu den Beteiligten

Gavriel D. Rosenfeld ist Professor für Geschichte an der Fairfield University. Seine Forschungsschwerpunkte sind das nationalsozialistische Deutschland und der Holocaust. International wird er als versierter Experte der kontrafaktischen Geschichtsschreibung geschätzt.

Daniel Zimmermann lebt in Mainz und ist Programmmanager im wbg-Lektorat Geschichte. Dort ist er zuständig für die Programme wbg Theiss, wbg Edition, wbg Academic und wbg Zabern.

 

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