Michael Schmauder, Abteilungsleiter am LVR-LandesMuseum Bonn und Honorarprofessor für Vor- und Frühgeschichte an der Universität Bonn, spricht mit Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin und Honorarprofessor an der Universität Berlin über die Bonner und Berliner Ausstellung »Germanen – eine archäologische Bestandsaufnahme«. Wie war die »Germania« vernetzt – vor allem in Bezug auf die »Romania«?
Michael Schmauder: Herr Wemhoff, der Katalog zur Bonner und Berliner Ausstellung »Germanen – eine archäologische Bestandsaufnahme«, der fast den Charakter eines Handbuchs hat, nähert sich dem Germanen-Begriff von verschiedensten Seiten – historisch, archäologisch, kulturell – und befasst sich auch mit der Rezeptionsgeschichte. In der Ausstellung steht vor allem der Zeitraum des 1. bis 4. Jahrhunderts im Vordergrund. Warum diese zeitliche Eingrenzung?
Matthias Wemhoff: Der Germanen-Name, der in der Mitte des 1. Jahrhunderts v. Chr. von Caesar politisch motiviert als Fremd- und Sammelbezeichnung eingeführt wurde, fand genau im genannten Zeitraum für die Bewohner östlich des Rheins und nördlich der Donau Verwendung. Doch bereits im 4. Jahrhundert verschwindet er zunehmend aus den Quellen. An seine Stelle treten die Namen von germanischen Gemeinschaften, die im engen Kontakt mit Rom standen und die europäische Geschichte des Frühmittelalters mitgestalteten: Goten, Franken, Langobarden, um nur einige zu nennen.
Michael Schmauder: Wie müssen wir uns den von den Römern als Germania bezeichneten Raum vorstellen? Die Forschungen der letzten Jahrzehnte zeigen ein durchaus regional strukturiertes Bild. Hierzu passen z. B. die verschiedenen Hauslandschaften. Aber ist das Bild damit schon vollständig?
Matthias Wemhoff: Die Beobachtung ist zutreffend: Je intensiver wir den Raum der »Germania« erforschen, desto detaillierter wird unser Bild, und tatsächlich hat sich gezeigt, dass wir es mit vielen regionalen Entwicklungen zu tun haben. Zugleich können wir aber auch Phänomene ausmachen, die über große Räume verbreitet sind und gleichsam einen kulturellen Overhead bilden. Dies gilt ganz besonders für die Repräsentationsformen der Elite.
Eigentlich kein sonderlich überraschender Befund, sind doch Eliten quer durch die Zeit meist weiträumig vernetzt. Aber natürlich ist es beeindruckend, über welche Räume hinweg diese Vernetzung und Kommunikation funktionierte.
Eng an die Elite war auch die Nutzung der Runenschrift gekoppelt, die sich vom Schwarzen Meer bis nach Skandinavien findet. Sie ist im Übrigen ein gutes Beispiel für den Umgang mit dem Römischen. Man greift gezielt Dinge auf, kopiert sie aber nicht einfach, sondern transformiert sie und integriert sie in den eigenen kulturellen Rahmen.
Michael Schmauder: Sie sprechen hier ein faszinierendes Phänomen an. Es ist überaus erstaunlich, wie gering der römische Einfluss in der »Germania« über Jahrhunderte bleibt. Einerseits bot das Römische Reich eine unglaublich breite Auswahl an Produkten an, andererseits wissen wir, dass sich Zigtausende Germanen zum Teil mehr als ihr halbes Leben lang im Römischen Reich als Soldaten aufgehalten haben, um dann in die »Germania« zurückzukehren. Man würde erwarten, dass über die Jahrhunderte immer mehr aus der »Germania« eine »Romania« geworden wäre?
Matthias Wemhoff: Ein wirklich frappierender Befund. Definitiv gab es eine intensive Verflechtung und Vernetzung. Der amerikanische Historiker Patrick Geary spricht gar von der germanischen Welt als der großartigsten und dauerhaftesten Schöpfung der Römer.
Dies wäre ohne Interaktion nicht möglich gewesen, aber offensichtlich gab es Gründe für ein Festhalten an etablierten Strukturen in der »Germania«. Ob dies möglicherweise auch mit dem Nichtvorhandensein von ausgeprägten Hierarchien zusammenhängt, werden zukünftige Forschungen zeigen.
Zum Schwerpunkt »Vernetzungen«
Zu den Beteiligten
Michael Schmauder ist Abteilungsleiter am LVR-LandesMuseum Bonn und Honorarprofessor für Vor- und Frühgeschichte an der Universität Bonn.
Matthias Wemhoff ist Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte in Berlin und Honorarprofessor an der Universität Berlin.