Wer war Walter Mehring?

Von Martin Dreyfus, Zürich

 

Walter Mehring war in den Jahren der Weimarer Republik neben und mit Kurt Tucholsky wohl der bedeutendste zeitkritische Schriftsteller, Lyriker und Satiriker zugleich. Geboren war er 1896 in Berlin als Sohn des Journalisten, Publizisten und Übersetzers Sigmar Mehring und der aus Prag stammenden Opernsängerin Hedwig Löwenstein. Während Sigmar Mehring bereits 1915 verstarb, wurde Hedwig Löwenstein später aus Berlin nach Theresienstadt deportiert, wo sie 1942 ums Leben gebracht wurde.

Nachdem Walter Mehring wegen »unbotmäßigen Verhaltens« von der Schule verwiesen worden war, nahm er, nach einem extern abgelegten Abitur zu Beginn der Kriegsjahre 1914/15, in Berlin und München ein Studium der Kunstgeschichte auf. In den darauffolgenden Jahren publizierte Herwarth Walden in seiner Zeitschrift »Der Sturm« erste Gedichte von Walter Mehring. Mehring zählte in Berlin mit dem nach dem Ende des Krieges aus Zürich zurückgekehrten Richard Hülsenbeck zu den Mitbegründern von »Dada Berlin«. Seit den 1920er Jahren publizierte Mehring mit zunehmendem Erfolg und Resonanz Beiträge vor allem in literarischen Zeitschriften, in der von Sigfried Jacobsohn herausgegeben »Weltbühne« ebenso wie in Leopold Schwarzschilds »Tagebuch«. In Gedichten und Prosa schrieb er gegen zunehmenden Antisemitismus wie Militarismus und Nationalsozialismus an. Mit seinem 1920 veröffentlichten ersten Gedichtband »Das politische Cabaret« gehörte er zu den Protagonisten des politisch-literarischen Kabaretts der Weimarer Zeit. So verfasste er Lieder und Chansons für das Theater »Schall und Rauch« von Max Reinhardt und für die »Wilde Bühne« von Trude Hesterberg. Bei Trude Hesterberg lernte er u. a. Bert Brecht kennen, was Mehring in einem bisher unpublizierten kurzen Text festgehalten hat. In den Jahren zwischen 1921 und 1928 lebte Mehring vorwiegend in Paris, wo er sich u. a. auch als Übersetzer betätigte.

Bereits vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten gehörte der »scharfzüngige« Mehring zu den den Nazis am meisten verhassten »Linksintellektuellen«. So entging Mehring – von verschiedener Seite gewarnt – durch Flucht im März 1933 nur knapp seiner Inhaftierung. Seine Publikationen landeten sowohl auf dem Index wie auf den Scheiterhaufen der Bücherverbrennungen im Mai 1933. Mehring selbst lebte in den folgenden Jahren unter anderem in Wien, Zürich und Paris. 1939 wurde er interniert, 1941 gelang ihm die Flucht aus dem Lager St. Cyprien und mit Hilfe und Unterstützung von Varian Fry – für dessen »Emergency Rescue Commeittee« er selber einige Zeit tätig gewesen war – die Emigration über La Martinique in die USA. Hier verfasste er u. a. sein bis heute am bekanntesten gebliebenes Buch »The lost Library«. »Die verlorene Bibliothek« darf – neben seinem lyrischen Werk – wohl mit Fug als das bedeutendste Buch von Walter Mehring bezeichnet werden. Gleichzeitig ist es – in der Emigration in Amerika entstanden – das letzte größere Werk, welches der Autor schrieb, zu schreiben in der Lage war. Spätere Arbeiten blieben Bearbeitungen, »Fragmente aus dem Exil«, immer Teil – nicht mehr vollendete, abgeschlossene Werke. Auch von der »verlorenen Bibliothek« erschienen im Laufe der Jahre mehrere (leicht) veränderte Ausgaben.

Nach seiner Rückkehr aus den USA lebte Mehring ab 1953 stets unterwegs und nirgendwo mehr »sesshaft« in Berlin, Hamburg und München ebenso wie in Ascona und Zürich, wo er auch seine letzten Lebensjahre zubrachte. Der erfolgsverwöhnte Schriftsteller der Zwischenkriegszeit konnte – wie so manch Andere – an seine Erfolge der Vorkriegszeit kaum mehr anknüpfen – die Zeit war über den satirisch-ironischen Lyriker hinweggegangen. Walter Mehring starb 1981 in Zürich. Beigesetzt wurde er auf dem Friedhof Sihlfeld.

Walter Mehrings »Nazi-Führer sehen Dich an« – hier wieder zugänglich gemacht – ermöglicht einen weiteren Einblick in die breite Palette der aufklärerischen publizistischen Bemühungen der antifaschistischen Emigration. Dass diese Anstrengungen nicht ausreichend wirksam werden konnten, lag ebenso daran, dass den Inhalten der Veröffentlichungen von manchen Leserinnen und Lesern zu dieser Zeit wohl noch zu wenig »Glauben« geschenkt wurde, wie auch an den eingeschränkten Möglichkeiten der Verbreitung. Dennoch legen diese Publikationen bis heute ein eindrückliches Zeugnis vom publizistischen Kampf der Schriftstellerinnen und Schriftsteller gegen das Naziregime ab. Der – trotz mancher Bemühungen in den Nachkriegsjahren und bis in die Gegenwart – kaum gebührend wahrgenommene Walter Mehring war zu dieser Zeit einer ihrer gewichtigsten und wortmächtigsten Kämpen.

 

Über das Buch »Nazi-Führer sehen dich an«

1933 erschien das abstoßende Machwerk »Juden sehen dich an« des Rassisten Johann von Leers. Ein Jahr später erscheint in Paris – aus gutem Grund anonym – das Buch »Nazi-Führer sehen dich an«, geschrieben von dem damals 38-jährigen jüdischen Exilanten Walter Mehring. Das Buch des großen Romanciers Mehring ist leider kein fiktionales Buch. Vielmehr enthält es 33 biographische Porträts (mit zeitgenössischen Fotos) von damaligen Größen des Nationalsozialismus – zugespitzt, satirisch, geschliffen. Profunde politische Analyse und sein großartiger Stil machen aus dem Band ein erstaunliches, geradezu seherisches Buch. Es sind Porträts von Personen, von denen man später (leider) noch viel hören sollte, unterteilt in »Die Götter« (von Goebbels und Göring bis Hess und Hitler), »Die Halbgötter« (von Prinz August Wilhelm bis Himmler) bis zu den »Drahtziehern« (von Hjalmar Schacht bis von Papen). Das absolut faszinierende Dokument aus der Zeit, als der Nationalsozialismus gerade die Macht an sich riss.

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Zu den Beteiligten

Martin Dreyfus lebt als Sammler und »Bibliothekar« seiner zunehmenden Bestände in Zürich und arbeitet als freiberuflicher Lektor und literarischer Spaziergänger in Zürich, dem Engadin, Ascona, Davos, Meran/Bozen, Prag, Triest, Dresden, Vilnius, Lemberg und anderen Destinationen. Publikationen und Beiträge v.a zu Else Lasker-Schüler, Walter Mehring (dessen Nachlass er »verwaltet«), den Kreis um Stefan George und zur Verlagsgeschichte im Exil.

 

Walter Mehring (* 29. April 1896 in Berlin; † 3. Oktober 1981 in Zürich) war ein jüdisch-deutscher Schriftsteller und einer der bedeutendsten satirischen Autoren der Weimarer Republik.

 

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