1848 war das Jahr, als die Deutschen die Freiheit entdeckten. Der zunehmende Drang nach Demokratie und Einheit entlud sich in Unruhen und Protesten. Die Forderungen des Volkes hallten laut durch die Gassen. Mutige Frauen und Männer sprachen sich bereits damals für eine demokratische Bundesrepublik, allgemeine freie Wahlen, ein souveränes Parlament und eine demokratische Verfassung aus. Der Band versammelt Texte von Theodor Fontane, Emma Herwegh, Friedrich Hecker und Robert Blum sowie eine Auswahl früher demokratischer Programme.
Emma Herwegh: Es lebe die demokratische Republik
Als einzige Frau an der Seite von 850 Freiheitskämpfern zieht die dreißigjährige Emma Herwegh im Frühjahr 1848 in den Kampf. Die in Paris von Exilanten gegründete »Deutsche demokratische Gesellschaft«, zu deren politischem Präsidenten ihr Mann, Georg Herwegh, gewählt wurde, gründet eine »Legion« und will über Straßburg nach Deutschland, um den badischen Aufständischen um Friedrich Hecker zur Hilfe zu eilen und im Großherzogtum Baden – wie es kurz zuvor, im Februar 1848, in Paris geschehen war – die Republik auszurufen.
Das Unternehmen scheitert in einer vernichtenden Niederlage, Emma und Georg Herwegh können knapp entkommen, müssen jedoch – als politisch Verbannte und steckbrieflich gesuchte »Verräter« – wie schon die Jahre zuvor im Exil verbringen. Von dort aus kämpfen sie »blitzeschleudernd« weiter, mit Wort und Tat, für ein freiheitliches und demokratisches Deutschland und Europa.
Emma Herweghs Bericht über das Abenteuer ihres Freiheitskampfes, der hier erstmals allgemein zugänglich gemacht wird, sowie ihre Korrespondenz mit anderen Revolutionären zeigen das Bild einer Frau, die ihr gesamtes erwachsenes Leben in den Dienst der Demokratie stellte.
»Emma Herwegh war emanzipiert, ehe es diesen Gedanken überhaupt gab.«
– Elke Heidenreich
»Ich zeige Ihnen meine Verlobung mit einer Republikanerin comme il faut an, einem Mädchen, das uns allen über das Kapitel der Freiheit tüchtige Lektionen halten könnte.«
– Georg Herwegh in einem Brief an Karl Marx (1842)
Theodor Fontane: Nur in Freiheit wird man frei
Dass Theodor Fontane heute der Weltliteratur zuzuordnen ist, war zu seinen Lebzeiten lange nicht absehbar. Seine Hauptwerke, etwa »Frau Jenny Treibel«, »Irrungen und Wirrungen«, »Effi Briest« oder »Der Stechlin«, die ihn zu einem der bedeutendsten Vertreter des literarischen, poetischen Realismus machen, sind allesamt erst in späteren Lebensjahren entstanden. Viel weniger bekannt ist der junge, der »politische« Fontane, dessen frühe Texte hier versammelt werden. Im Revolutionsjahr 1848 ist er ein glühender Vertreter der durch die Februar-Revolution in Paris auch in Deutschland enorm an Auftrieb gewinnenden demokratischen Kräfte. Überall in den deutschen Ländern gärt es, natürlich auch in Berlin, wo der 29-jährige inzwischen als Apotheker arbeitet.
Mehr taumelnd als zielgerichtet gerät er in die am 18. März des Jahres ausbrechenden Gefechte und Barrikadenkämpfe. Im Eingangstext dieses Bandes schildert Fontane seine Erlebnisse. Erstmals sind hier auch seine demokratischen Artikel aus den Jahren 1848 bis 1850, die er für die »Berliner Zeitungshalle« und als »Berlinkorrespondent« für die »Dresdner Zeitung« schrieb, sowie seine politische Korrespondenz versammelt.
»Scheußliche Verhöhnung, in der Knechtschaft reif für die Freiheit zu werden! Schwimmen zu lernen auf dem Trockenen; nur in der Freiheit wird man frei. (...) Es liegt mir an der Freiheit, nicht an der Form im Staate! Ich will keine Republik, um sagen zu können, ich lebe in solcher. Ich will ein freies Volk!«
– Theodor Fontane in einem Brief an Bernhard von Lepel, 12. Oktober 1848
Robert Blum: Es ist 5 Uhr, und um 6 werde ich erschossen
Am frühen Morgen des 9. Novembers 1848 erfährt Robert Blum, dass das gegen ihn verhängte Todesurteil vollstreckt wird. Auf den Beistand eines Priesters verzichtet er und schreibt stattdessen noch schnell einige Briefe: »Es ist 5 Uhr, und um 6 werde ich erschossen. Ich sterbe als Mann – es muss sein.«
Ein tragischer und folgenschwerer Verlust für die deutsche Demokratiebewegung – tragisch deshalb, weil der mitreißende Redner und allseits geschätzte Politiker stets gegen jede Gewalt eingetreten war, folgenschwer, weil das gerade erkämpfte Parlament in Deutschland seinen vielleicht bedeutendsten Vertreter verlor. Und genau das war das Kalkül des kaiserlichen Militärs. Überall in Europa stemmten sich die Adelshäuser gegen den demokratischen Wandel.
Mit der Hinrichtung Robert Blums wollte man ein Exempel statuieren. All das, wofür er stand – und wovon die Textauswahl in diesem Band handelt – sollte geschwächt werden. Und wurde geschwächt. Doch seine Ideen, davon war Blum überzeugt, würden sich auf Dauer nicht aufhalten lassen. Er sollte recht behalten.
»Als diese klangvolle Stimme den Aufgeregten zurief: ›Verlasset den Boden des Gesetzes nicht!‹ und die, welche nach Rache schrien, überredete, nur Forderungen der Sühne zu stellen – damals zeigte es sich, wie er allein durch seine Besonnenheit mitten in der Begeisterung und durch das Schlagende seiner Worte und Gründe eine Art von Zauber auch auf die aufgeregtesten Massen ausübte, wie keiner vor und nach ihm vermocht hat, und selbst die geldstolze Bourgeoisie Leipzigs, die bis dahin nur verächtlich gelächelt hatte über den deutsch-katholischen Theater-Sekretär, brachte ihm ihre Huldigungen dar.«
– Louise Otto-Peters
Friedrich Hecker: Revolutionen müssen vollendet werden
Friedrich Hecker, promovierter Jurist – ungestümer revolutionärer Vollbart, Charismatiker, genialischer Redner – ist 1848 der berühmteste aller deutschen Revolutionäre. Als lupenreiner Demokrat hatte er bereits vor der Revolution für Freiheit, Einheit und eine Lösung der »Soziale Frage«, für den Kampf gegen Armut und Hunger Millionen Deutscher gestritten. Nun, ab dem Ausbruch der Revolution im Februar 1848, gilt sein Wirken nur noch einem: der Errichtung einer deutschen demokratischen und sozialen Republik. Die Menschen verehren ihn, er ist der große demokratische Star: leidenschaftlich, dabei höchst reflektiert, entschieden, aber auch die Bedenken wägend. So votiert er gegen einen bewaffneten Aufstand, als er nahe lag; erst als er und sein radikal- demokratischer Gefährte Gustav Struve von Verhaftung bedroht sind, rufen sie ihre Getreuen zu den Waffen – der »rechte Moment« allerdings, nach dem sie suchten, war da wohl vorbei. Nach einem letzten verzweifelten Gefecht gelingt ihm die Flucht in die Schweiz und schließlich in die USA, wo er, hochgeachtet als »Forty Eighter«, sein demokratisches Engagement als Offizier der Nordstaaten-Armee fortsetzt.
Friedrich Heckers Schriften zeichnen das differenzierte Bild eines Mannes, der von der fürstlichen wie liberal-konstitutionellen Propaganda als »Radikaler«, »Terrorist« und »Verbrecher« diffamiert wurde.
Leb wohl, du teures Land ...
Leb wohl, du teures Land, das mich geboren,
Beamtenwillkür treibt mich fort von hier.
Ich hab Amerika mir auserkoren.
Dort scheint allein der Freiheit Sonne mir.
Dort drücken mich nicht der Tyrannen Ketten,
dort schätzt man erst des Lebens hohen Wert,
und wer sich will aus Sklaverei erretten,
der folge mir, dort wird er erst geehrt.Dort kennt man nicht die stolzen Fürstenknechte,
verprassend nur des Landmanns sauren Schweiß,
dort freut der Mensch sich seiner Menschenrechte,
er erntet auch die Frucht von seinem Fleiß.
Es quälen ihn nicht jene Müßiggänger,
durch Fürstengunst betitelt und besternt.
Das Sklavenwort ›Euer Gnaden‹ und ›Gestrengen‹
ist aus dem Reich der Sprache weit entfernt.Nach diesem Lande lasst uns, ihr Brüder, ziehen,
es folge mir, der die Freiheit liebt und ehrt;
ein neues Leben wird dort uns allen blühen,
und Gott ist’s, der die Wünsche uns gewährt.
Schon schlägt die längst ersehnte Stunde,
der Abschiedstag, ihr Brüder, ist nun da,
und bald erschallt aus unserem Munde;
Wie gut, wie gut ist’s in Amerika.
– Friedrich Hecker
Forderungen des Volkes: Frühe demokratische Programme
In den revolutionären Ereignissen 1848/1849 formiert sich ein erstes Mal in der deutschen Geschichte eine eigenständige, breite demokratische Bewegung. Ihre Ziele: die Errichtung einer freiheitlichen demokratischen Bundesrepublik, freie allgemeine Wahlen, ein souveränes Parlament, einen Präsidenten, eine moderne Verfassung, umfassende Grundrechte, einen wirksamen sozialen »Ausgleich« zur Bekämpfung der millionenfachen Armut sowie die Integration in eine starke europäische Union.
Politische Ziele, die weit über die Vorstellungen der anderen Oppositionsparteien hinausgehen. Vor allem die sogenannten »Konstitutionellen«, die auf einen Kompromiss mit den herrschenden Adelshäusern setzen, bringen sich energisch gegen die Demokraten in Stellung – eine Uneinigkeit, an der die Revolution letztlich scheitert.
Die Ideen der Freiheit, der Demokratie, der Menschenrechte, der Einheit wie der allgemeinen ›Wohlfahrt‹ wurden 1848/49 mit einer solchen Kraft aufgebracht, dass sie von da an – trotz vieler katastrophischer Rückschläge – auch in Deutschland nicht mehr niederzuringen waren.
Unsere heutige demokratische Bundesrepublik Deutschland – sie war der politische Traum der frühen Demokratinnen und Demokraten, Ziel ihres Kampfes.
Für uns heutige Demokraten muss daraus ein Mandat erwachsen: wehrhaft, engagiert, ja, rigoros zu verteidigen, was sie einst begonnen haben.
– Aus der Einleitung von Jörg Bong
Über das Buch
Die einzigartige Edition zum 175. Jahrestag der Deutschen Revolution setzt den frühen Demokraten und Demokratinnen ein Denkmal. Sie würdigt die couragierten Biografien und macht ihre zukunftsweisenden Schriften endlich wieder zugänglich. Essays von Iwan-Michelangelo D'Aprile, Elke Heidenreich, Antonia Grunenberg, Gabriele Gillen und Jörg Bong stellen die aktuelle Bedeutung der kämpferischen Intellektuellen heraus.
Theodor Fontane: Nur in Freiheit wird man frei
Emma Herwegh: Es lebe die demokratische Republik
Friedrich Hecker: Revolutionen müssen vollendet werden
Robert Blum: Es ist 5 Uhr und um 6 werde ich erschossen
Forderungen des Volkes. Frühe demokratische Programme
Zu den Beteiligten
Jörg Bong, geboren 1966, promovierter Literaturwissenschaftler, Autor, freier Publizist sowie ehemaliger Verleger des S. Fischer Verlags (bis 2019).
Helge Malchow, geboren 1950, studierte Germanistik, Sozialwissenschaften und Philosophie.
Nils Minkmar, geboren 1966, war Redakteur für die ZDF-Sendung »Willemsens Woche« und schrieb für beinahe alle wichtigen deutschen Zeitungen.
M. Walid Nakschbandi, geboren 1968, studierte Politische Wissenschaften und Jura in Bonn, Nashville/Tennessee und am Otto-Suhr-Institut in Berlin. Er ist Produzent und Autor zahlreicher Filme sowie politischer Dokumentationen.
Marina Weisband, geboren 1987 in der Ukraine, ist Diplom-Psychologin und Politikerin.