Mobile Marktbuden, Geschäfte und Kaufhäuser entstanden im hohen und späten Mittelalter in vielen europäischen Städten. Sie wurden zu örtlichen Zentren des Kaufens und Verkaufens, in denen die Menschen nicht nur ihren Einkäufen nachgingen, sondern spazierten, sich amüsierten und das Angebot bewunderten. Shopping wurde zum sinnlichen Erlebnis. Sogar der Kaiser erlag den Reizen der zur Schau gestellten Warenwelt – zumindest Kaiser Friedrich III. (1415–1493), der 1469 durch die vornehmsten Straßen Venedigs ging, das Warenangebot bestaunte und sich wertvolle Seidenstoffe zeigen ließ, dabei häufig nach dem Preis einzelner Waren fragte, Süßigkeiten in die Hand nahm, davon kostete und sie seinem Gefolge weiterreichte. Als Beatrice d’Este (1475–1497) im Jahr 1493 Venedig besuchte und von der Rialto-Brücke zum Markusplatz spazierte, bestaunte sie ebenfalls die venezianischen Shops und schrieb darüber in einem Brief an ihren Ehemann. Isabella d’Este (1474–1539) begeisterte sich noch mehr als ihre Schwester Beatrice für den Erwerb schöner Dinge, war sie doch – wie sie selbst schrieb – von Natur aus voll von Appetit (de natura appetitose), schätzte Dinge daher umso mehr, je schneller sie sie haben konnte und kümmerte sich dabei nicht um die Kosten (non curamo di spesa). Als jugendliche Markgräfin von Mantua schickte die international bewunderte Mode-Ikone ihre Höflinge auf Einkaufstour bis nach Paris.
Zwei adlige Schwestern auf Shoppingtour: Beatrice d’Este spazierte 1493 durch Venedig und schrieb darüber: »Wir gingen am Rialto an Land und gingen durch die Gassen, die Mercerie genannt werden. Dort fanden wir Verkaufsläden der Gewürzhändler und der Seidenhändler, die alle gut sortiert waren. Umfang und Qualität ihrer vielfältigen Waren sowie die Waren der anderen Zünfte boten einen schönen Anblick, sodass wir häufig verweilten und das Angebot betrachteten. … Anschließend gingen wir zum Markusplatz durch die Marktstände der Messe. Dort sahen wir eine solche Menge an schönen Gläsern, dass man staunte und sich anstrengen musste, um nicht lange zu verweilen in Anbetracht der schon fortgeschrittenen Stunde.« (Evelyn Welch: Shopping in the Renaissance. S. 183 und 336.) Isabella d’Este schrieb 1494, damals 17 Jahre alt, an einen Angestellten des Hofes, der sich gerade auf dem Weg nach Paris befand: »Das sind die Dinge, die ich haben möchte: gravierte Amethysten, schwarze, bernsteinfarbene und goldene Rosenkränze, blaues Tuch für eine camora [gamurra/einfaches Kleid], schwarzes Tuch für einen Mantel, wie es ohne einen Rivalen in der Welt sein soll, auch wenn es zehn Dukaten pro Meter kostet; solange es wirklich von hervorragender Qualität ist, ist es egal! Wenn es nur so gut ist wie das, was andere tragen, möchte ich es lieber gar nicht haben!« (ebd., S. 250).
Selten berichten mittelalterliche Autorinnen oder Autoren so anschaulich über das Shoppen als sinnliches Erlebnis oder über ihre Gier nach neuen und außergewöhnlichen Erwerbungen. Die Perspektiven, Praktiken und Erfahrungen der Konsumenten sind daher nicht einfach zu erfassen. Die vereinzelten schriftlichen und bildlichen Quellen liefern dennoch einige Informationen zu spezifischen Eigenheiten der mittelalterlichen Verhältnisse. Zum einen zeigen die venezianischen Shoppingtouren von Kaiser und Adel, dass die Angehörigen der Eliten ihre Einkäufe zumindest teilweise persönlich erledigten. Dies war allerdings auf den Erwerb von Luxusgütern beschränkt. Für den Kauf der meisten Waren, vor allem für den Kauf von Alltagsgegenständen, beauftragten adelige, geistliche und bürgerliche Käufer in der Regel ihre Dienstboten. An fürstlichen Höfen wurden die Einkäufe des täglichen Bedarfs und auch außergewöhnliche Anschaffungen häufig von eigenen Amtsträgern erledigt, deren Einkaufstouren zu städtischen Märkten und Messen im In- und Ausland führten. Der steinreiche Unternehmer Hans Fugger (1531–1598) hinterließ mehr als 4700 Briefe, die seine europaweiten Einkäufe von Schuhen, Tapeten und anderen Gegenständen illustrieren. Wenn er mit der Qualität nicht zufrieden war, beschwerte er sich und sandte die Ware zurück. Angehörige der Mittel- und Unterschichten besuchten dagegen ihren lokalen Marktplatz persönlich. Wer es sich leisten konnte, nahm zumindest die Dienste von Trägern in Anspruch, die die Waren nach Hause trugen.
Das Feilschen um den Preis war ein regelmäßiger Bestandteil vieler Einkäufe, davon berichten Bernardino da Siena (1380–1444) und viele andere mittelalterliche Chronisten. Größere Transaktionen auf Messen und in Kaufhäusern wurden meist durch Zwischenhändler in die Wege geleitet und kontrolliert. Die städtischen Obrigkeiten wollten auf diese Weise die Transparenz der Geschäfte und die Bezahlung der anfallenden Gebühren sicherstellen. Als Verkäufer und Käufer waren Männer wie Frauen auf mittelalterlichen Marktplätzen und -straßen aktiv. Der männliche Haushaltsvorstand hatte während der gesamten Epoche eine herausragende Stellung und traf wohl die Entscheidung über größere Ausgaben. Daneben waren jedoch Ehefrauen, Töchter und weibliches Dienstpersonal in unterschiedlichsten Funktionen und Rollen als Käuferinnen tätig. Die täglichen Einkäufe wurden vermutlich häufig ohne Bargeld getätigt, da Kaufleute Kredit gewährten und in Büchern die Schulden ihrer Kunden aufzeichneten. Entsprechend sind Rechnungsbücher, die in Italien und anderen europäischen Ländern vor allem seit dem 14. Jahrhundert erhalten geblieben sind, eine zentrale Quelle des mittelalterlichen Konsums. In diesen Verzeichnissen erscheinen die täglichen Erwerbungen von Kohl und Salat bis zu teuren Anschaffungen von Textilien und Werkzeugen. Damit belegen diese Texte das Konsumverhalten des späten Mittelalters, und zwar sowohl von Adelshäusern als auch von bürgerlichen Familien.
Die mittelalterliche Welt des Shoppings stand in einem Spannungsverhältnis zwischen Wettbewerb und Regulierung. Archäologische, schriftliche und bildliche Quellen liefern zahlreiche Hinweise auf absatzsteigernde Maßnahmen: Zur Schau gestellte Waren auf Markttischen, Handwerks- und Wirtshauszeichen, Marktschreier und Weinrufer sowie Markennamen, Warenmuster, Buchkataloge und vieles mehr dienten sowohl der Information der Konsumenten als auch der Absatzsteigerung und der Werbung für bestimmte Produkte oder Dienstleistungen.
Ausgehend von den Universitäten entstand an der Wende zum 14. Jahrhundert auch ein Markt des Wissens. Schreibmeister warben seit dieser Zeit mit großen Pergamentplakaten, auf denen sie ihre Kunstfertigkeit mit Hilfe verschiedener Schrifttypen zur Schau stellten. Diese Schreibmeisterblätter wurden gut sichtbar an den Türen der Werkstätten oder anderen öffentlich zugänglichen Orten aufgehängt. Meist boten die Schreibmeister an, Bücher oder Schriftstücke zu verfassen oder abzuschreiben bzw. ihren Schülern das Schreiben beizubringen. Der Schreibmeister Johann von Hagen setzte Anfang des 15. Jahrhunderts an das Ende seiner Reklametafel folgende Aufforderung: »Wer verschiedene Schriften meisterlich und kunstvoll erlernen will, wie sie heute in den Kanzleien der Herren benutzt werden, nämlich in verschiedenen Texten und Urkunden, geschrieben in Gold, Silber oder einem anderen Metall, der komme zu mir, Johann von Hagen, und er wird in kurzer Zeit gemäß seinem Lerneifer und zu einem angemessenen Preis unterrichtet werden.« Vermutlich entstanden in dieser Zeit auch die ersten Ladenschilder von Schulmeistern. Selbst Universitätsprofessoren scheuten nicht vor Werbemaßnahmen zurück, um ihr Wissen zu vermarkten, so beispielsweise der Leipziger Professor Johannes Honorius, der für die Bücher zu seiner Vorlesung warb: »Leser, suchst du nach schön gedruckten Exemplaren: der Buchführer Martin (Landsberg aus Würzburg) verkauft sie dir.« Daneben warben die Hochschullehrer ebenfalls mit Plakaten für den Besuch ihrer Vorlesungen, da sie ihren Lebensunterhalt zumindest teilweise mit den anfallenden Gebühren der Studenten bestritten. Qualitätswaren erlangten mitunter internationales Renommee und wurden zum Markenartikel, gekennzeichnet – in der Regel durch eine Herkunftsbezeichnung. Zu den spätmittelalterlichen Bestsellern aus deutschen Ländern gehörten die Konstanzer Leinwand, die Nürnberger Metallkleinwaren (Merzeria), der Ulmer und Augsburger Barchent, Solinger Messer und Einbecker Bier. Europaweiten Ruf hatten beispielsweise die Wolltücher aus Ypern und anderen flandrischen Städten, die Tapisserien (arrazi) aus Arras oder Glaswaren aus Murano (Venedig).
Geregelt wurde der Wettbewerb um Kunden von einer straffen Regulierung. In Venedig wurde das Alte Gericht, die Giustizia Vecchia, bereits in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts eingerichtet, um das Marktgeschehen zu überwachen. Viele andere Städte installierten im Laufe der Zeit ähnliche Überwachungsorgane. Das Ziel der obrigkeitlichen Überwachung war es, die Stadtgemeinde gegen Spekulation und Hamstern sowie gegen Betrug und Täuschung zu schützen, etwa durch das Gebot des öffentlichen Verkaufs auf dem Marktplatz oder dem Verbot des Zwischenhandels. Die Kontrolle der Wirtschaft erfolgte jedoch nicht ausschließlich durch öffentliche Institutionen, sondern auch durch Korporationen wie die Zünfte. In ihren Statuten legten diese handwerklichen Genossenschaften sorgsam die Qualitätsmerkmale ihrer Erzeugnisse sowie die Arbeitsbedingungen und die Zulassung zum Gewerbe fest. Allzu aggressiven Werbetechniken wurden gelegentlich Grenzen gesetzt. So verbat die Zunftordnung der Florentiner Lebensmittelhändler ihren Mitgliedern Mitte des 14. Jahrhunderts, Kunden anzusprechen, die sich gerade in anderen Geschäften umsahen.
Theoretisch war alles reguliert, in der Praxis zeigen die unzähligen Beschwerden über gepanschten oder sauren Wein, zu kleine Heringstonnen, gestreckte Gewürze und Arzneien, falsche Herkunftsbezeichnungen oder überhöhte Preise, dass sich Kaufleute und Konsumenten nicht immer an die Regeln hielten. Bei den Betrugstechniken waren die Menschen erfinderisch. Abzuwiegende Ware wurde nass gemacht, um das Gewicht zu erhöhen. Quacksalber erzählten Wundergeschichten, um ihre Pülverchen und Tinkturen an den Mann oder die Frau zu bringen. Über die Tuchhändler berichtet Bernardino von Siena (1380–1444) Folgendes: »Der Tuchverkäufer zieht so stark an seinen Stoffen, dass sie dadurch größer werden. Gelegentlich streckt der Verkäufer seine Tücher derart in die Länge, dass sie zu zerreißen drohen und dies manchmal sogar geschieht.« Zu allen Zeiten war Betrug riskant und erbrachte entweder großen Gewinn oder großen Verlust.
Wie eng Wettbewerb und Regulierung oder konkreter: Warenfälschung (»Falschwerk«) und Qualitätskontrolle miteinander verflochten waren, belegen seit dem 13. Jahrhundert die Tuchsiegel (Tuchplomben), mit denen Woll- und Leinentücher gekennzeichnet wurden und die in großer Anzahl erhalten geblieben sind. Sie wurden meist aus Blei gefertigt und zeigten das Stadt- oder Zunftwappen oder den Anfangsbuchstaben des Stadtnamens. Kaufleute und Konsumenten konnten anhand der Bleisiegel erkennen, an welchem Ort die Stoffe hergestellt worden waren. Dies diente zugleich als Beleg dafür, dass die Qualitäts- und Maßanforderungen der dortigen, meist in einer Zunft organisierten, Produzenten eingehalten worden waren. Deren Vorschriften umfassten verschiedene Güteklassen in Bezug auf Länge, Breite, Dichte des Gewebes (Zahl der Kettfäden) sowie Qualität der Wolle und Gewicht des Tuches. Seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert wurden die Zeichen in den städtischen Gesetzen und Zunftstatuten vorgeschrieben: »Die Weber sollen auf ihren Tuchen ein Zeichen anbringen, so dass deutlich wird, aus welcher Wolle die Tuche sind«, heißt es in den frühen einschlägigen Statuten von Toulouse aus dem Jahr 1227. Es handelte sich also um eine produktions- und absatzorientierte Qualitätsgarantie, welche die Entstehung von »Produktmarken« vorantrieb und die große Preisspanne zwischen billigen und teuren Textilien widerspiegelt. Auf diese Weise verwandelten sich die Tuchsiegel von einem Zeichen der Provenienz zu einem Warenzeichen und Werbeträger. Wer dagegen heimlich mit betrügerischer Absicht Tuchsiegel fälschte oder echte Tuchsiegel auf missratenen Stoffen anbrachte, musste mit schweren Strafen rechnen. Im Jahr 1433 wurde der Wollenweber Ditmar Knoch in Grevenbroich vom Schöffengericht zum Tode verurteilt und verbrannt, weil er fehlerhafte Wolltuche mit einer selbst hergestellten Stempelzange besiegelt hatte.
Die gewerbliche Kennzeichnung von Waren und Artefakten beschränkte sich nicht auf Textilien, sondern war integraler Bestandteil der zunftmäßigen und obrigkeitlich geregelten Gewerbeordnung des Mittelalters. Auf dem Markt, auf Kleidungsstücken, in den Werkstätten, selbst an den Kirchenwänden und auf Altarbildern fielen dem Betrachter gewerbliche Zeichen in die Augen: Meisterzeichen, Steinmetzzeichen und Künstlersignaturen, Ziegelstempel, Herkunfts- und Qualitätszeichen sowie Prüfsiegel fanden sich auf Wänden und Waren unterschiedlichster Art. Im Leder-, Holz- und Lebensmittelgewerbe waren Kontroll- und Qualitätszeichen im hohen und späten Mittelalter weit verbreitet und wurden von Beauftragten der Städte oder Zünfte in einem genau geregelten Verfahren genehmigt und angebracht. Die Kennzeichnung von Waren besonderer Qualität ist jedoch viel älter. Auf hochwertigen Schwertern des 8. bis 11. Jahrhunderts findet sich der Name Ulfberht (+VLFBERH+T), der vermutlich auf einen fränkischen Schmied zurückgeht, dessen Name und Werkstatt eine Art Handelsmarke begründeten. Im Laufe der folgenden Jahrhunderte wurde die Vielfalt der gekennzeichneten Waren immer größer und die Überwachung immer umfassender. In England war es der König selbst, der 1266 gesetzlich verordnete, dass die Bäcker auf jedem Brotlaib ihr persönliches Zeichen setzen mussten. In Venedig erfolgte die Begutachtung der Qualität und Reinheit von Gewürzen und Drogen durch die Gerbulatori. Erst nachdem diese vereidigten Fachleute ihre Zustimmung gegeben und die Ware mit ihrem Zeichen versehen hatten, gelangten die Pulver und Gewürze in den Handel. Während sich die Konsumenten der Qualität und des Wertes einer Ware bis dahin durch Betasten und Probieren vergewissert hatten, verließ man sich nun zunehmend auf ein standardisiertes Zeichensystem. Entsprechend wurden umfangreiche Vorsichtsmaßnahmen getroffen, um die Zangen und Stempelwerkzeuge sicher zu verwahren. In Blei oder Kupfer geprägte Meistermarken mussten bei den Zünften oder Obrigkeiten hinterlegt werden. Für Missbrauch, Nachahmung und Fälschung von Warenzeichen wurden drakonische Strafen festgesetzt. Häufig wurden Fälschungsdelikte mit Verbannung aus Stadt und Land, Ausschluss aus der Zunft, Geldstrafen oder sogar mit dem Tod bedroht. Der Schutz des Urheberrechts zeigte sich am Ende des Mittelalters darüber hinaus in ersten Gerichtsverfahren zum Warenzeichenschutz sowie in der Entstehung des Patentwesens. Dennoch blieb die falsche oder betrügerische Kennzeichnung von Waren das gesamte Mittelalter und darüber hinaus bis heute weit verbreitet. Das wussten die Verfasser der Straßburger Safranordnung, als sie feststellten: Item zu wissen, das man vil beschisses mit gantzen saferon tribet. Und dieser Ansicht war auch Thomas Murner (1475–1537), als er 1512 in seiner »Narrenbeschwörung« dichtete: Dann die kunst der artzeny / mit der man trybt groß valschery. Für die persönliche Bereicherung waren Menschen zu allen Zeiten bereit, Kopf und Kragen zu riskieren. Hinzu kam im Mittelalter (wie heute) der kollektive Versuch, durch die Imitation und Usurpation von Schauzeichen berühmter Gewerbezentren, damals waren dies hauptsächlich Oberitalien und Flandern, regionale Wettbewerbsnachteile auszugleichen.
Der Renaissance-Experte Richard Goldthwaite meinte 1993, dass die Grundlagen der modernen Konsumgesellschaft in der italienischen Renaissance zu finden seien: »The material culture of the Renaissance generated the very first stirring of the consumerism that was to reach a veritable revolutionary stage in the eighteenth century and eventually to culminate in the extravagant throw-away, fashion-ridden, commodity-culture of our own times.« Mittelalterliche Autoren hätten dieser Ansicht vermutlich zugestimmt, waren doch vor allem die städtischen Autoren stolz auf die wirtschaftliche Prosperität ihrer Heimatstädte. Bonvesin de la Riva (1240–1313) sammelte in seinem Werk »De magnalibus urbis Mediolani« (Über die Wunder der Stadt Mailand) im Jahr 1288 beispielsweise nicht nur Daten über Gebäude, Kirchen und Menschen der Stadt, sondern beschrieb ausführlich den Wohlstand der Mailänder. Die verschiedenen Berufsgruppen werden ebenso vorgestellt wie das reichhaltige Angebot an Waren auf den städtischen Märkten. Die Informationen über die Vielfalt an Obst und Gemüse sind so umfangreich, dass Historikerinnen und Historiker sie aufgriffen, um die italienische Küche der damaligen Zeit zu beschreiben. Zu den Aktivitäten der Einzelhändler bemerkt der Autor: »Und darüber hinaus wird alles, was die Menschen für ihr Leben brauchen, nicht nur an bestimmten Orten, sondern täglich in ausreichender Menge auf den Plätzen der Stadt angeboten und die Waren werden durch Lärm und Geschrei verkündet und beworben« (clamoribus declarantur venalia). Ähnlich rühmte Antonio Pucci (1310–1388) den Mercato Vecchio von Florenz als den schönsten, luxuriösesten und vielfältigsten aller Stadtmärkte.
Der Begriff Konsumgesellschaft bezeichnet eine Gesellschaft, in der der Kauf von Waren und Dienstleistungen eine große Rolle spielen. Dies setzt voraus, dass ein großes Angebot von Produkten und Dienstleistungen verfügbar ist und ein großer Teil der Gesellschaft in der Lage ist, diese auch zu erwerben. Angeregt wird der Konsum unter anderem durch Werbung. Das Ergebnis ist ein Lebensstil, der sich stark über Konsum und den Besitz von Waren definiert. In der Regel wird die Entstehung der Konsumgesellschaft mit der »Verbraucherrevolution« (consumer revolution) des 18. Jahrhunderts in England oder dem Beginn der industriellen Massenproduktion im 19. Jahrhundert verbunden.
Im Jahrtausend zwischen 500 und 1500 veränderten sich Wirtschaft und Konsum in Europa grundlegend. Vor allem seit dem hohen Mittelalter entwickelte sich in Westeuropa ein dichtes Netz lokaler und internationaler Märkte und Warenmessen. Die Gesellschaft erlebte einen Schub der »Kommerzialisierung« und immer mehr Menschen erledigten ihre Geschäfte auf dem Markt. Die phasenweise wachsenden Reallöhne sowie die Zunahme von Angebot und Nachfrage steigerte das Interesse an Moden und am demonstrativen Konsum als Distinktionsmerkmal. Menge und Qualität der in einem Haushalt konsumierten Nahrungsmittel und Gegenstände, wie sie in Inventaren und Testamenten nachweisbar sind, belegen eine allgemeine Zunahme der Kaufkraft und eine Diversifizierung der Lebens- und Konsumformen. Die Entstehung von Gebrauchtwarenmärkten im späten Mittelalter, insbesondere für Kleidung, ist ein zusätzliches Indiz für die Ausweitung kommerzieller Aktivitäten, an denen auch ärmere Schichten teilhaben konnten.
Die wohlhabende Elite stellte ihre Erwerbungen gerne zur Schau, insbesondere die prächtige Kleidung und die prunkvolle Ausstattung der Häuser. Briefe und Chroniken ermöglichen neben den bereits genannten Inventaren und Testamenten einen Einblick in diesen demonstrativen Konsum. Wer es sich leisten konnte, umgab sich zu Hause mit Wandteppichen und Silbergegenständen und beeindruckte seine Gäste mit edlem Geschirr und exotischen Gegenständen wie zum Beispiel einem goldenen Salzschiff, wie es die Tafel des burgundischen Herzogs schmückte. In Spezialstudien wurde in den letzten Jahren auf regionale und schichtspezifische Geschmackspräferenzen und Konsumgewohnheiten hingewiesen. Zugleich belegen diese Arbeiten die große soziale Ungleichheit, die sich am Umfang und an der Qualität der Besitztümer zeigen lässt. Ob man in dieser Entwicklung die Ausbildung oder erste Ansätze einer Konsumgesellschaft sehen will, ist Interpretationssache. Es scheint vernünftig, den Beginn der »Verbraucherrevolution« weiterhin in der Frühneuzeit zu verorten, die ersten Anzeichen einer Konsumorientierung im Mittelalter aber ebenso ernst zu nehmen und detailliert zu untersuchen.
Damit zusammenhängende Fragen sind für die mittelalterliche Wirtschaftsgeschichte ebenfalls wichtig: Brachte die Zunahme des Konsums eine begrüßenswerte Hebung des allgemeinen Lebensstandards oder stellt sie den Beginn einer materialistischen, konsumorientierten Haltung dar, die inzwischen in die Kritik geraten ist? War erstmals die frühneuzeitliche Gesellschaft bereit, mehr zu arbeiten, um mehr zu konsumieren (»Industrious Revolution«), oder zeigen sich Anzeichen dafür schon vor 1500? Die These der Frühneuzeitforschung, dass die große Mortalität ab 1348 bei der überlebenden Erbengesellschaft zunächst einen Hang zur Faulheit erzeugt habe, weil es vielen nach der Katastrophe materiell besser ging, wurde von der Mittelalterforschung abgelehnt. Denn bei der Wahl zwischen weniger Arbeit und mehr Erwerbsmöglichkeiten entschieden sich bereits spätmittelalterliche Handwerker und Tagelöhner vorrangig für mehr Arbeit und ein höheres Einkommen.
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Zu den Beteiligten
Thomas Ertl ist Professor für Geschichte des hohen und späten Mittelalters an der FU Berlin. Seit 2017 ist er Mitglied des Konstanzer Arbeitskreises für mittelalterliche Geschichte. Als Mitherausgeber wirkte er von 2010 bis 2018 an »The Medieval History Journal« und seit 2018 bei der »Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte« mit.