Ein Gespräch mit Ariel Sabar. Übersetzung von Regina M. Schneider.
wbg: Sie haben einen spannenden Thriller aus dem wahren Leben geschrieben, über eine angesehene Wissenschaftlerin, die auf einen Hochstapler hereinfiel. Wie kann es sein, dass diese Wissenschaftlerin derart fasziniert war vom Papyrus des Betrügers, dem »Evangelium der Ehefrau Jesu«, wie sie ihn nannte? Passte dies etwa einfach zu gut zu den Zielen ihrer Forschungsarbeit?
Ariel Sabar: Professorin Karen King hat einen Großteil ihrer Karriere damit verbracht, die verlorengegangenen weiblichen Stimmen des frühen Christentums aufzuspüren. Insbesondere studierte sie antike Schriften, die die frühchristlichen Führer aus dem Neuen Testament ausgeschlossen hatten. Etliche dieser nicht-kanonischen oder »häretischen« Texte schildern Maria Magdalena als eine Frau, die Jesus näherstand – und spirituell weiter war - als alle männlichen Jünger. Doch nie ist die Rede von mehr als einer engen geistigen Verbindung - eine Tatsache, die King offen beklagt hatte. Sie fragte sich, weshalb Maria Magdalenas spirituelle Reife zulasten ihrer Körperlichkeit gehen musste.
Das »Evangelium der Ehefrau Jesu«, in dem Maria Magdalena als Jüngerin Jesu und als seine Ehefrau dargestellt wird, war da eine Art fehlendes Glied. Nicht nur für Kings bahnbrechende Forschungsarbeiten, wie ich meine, sondern auch aus tiefergehenden persönlichen Gründen, die ich im Zuge meiner Recherchen zu diesem Buch aufgedeckt habe.
wbg: Ihr Buch zeigt die schmutzigen Details eines Peer-Review-Systems im Wissenschaftsbetrieb, das seinem Zweck nicht gerecht wird. Was müsste geändert werden, damit so etwas nicht mehr passieren kann?
Ariel Sabar: Bei meinen Recherchen zu diesem Buch stieß ich auf ein Begutachtungsverfahren, das, zumindest in diesem Fall, von Interessenkonflikten durchzogen war. Karen King, Senior-Professorin an der Divinity School, publizierte ihre Entdeckung in der Harvard Theological Review, einer angesehenen Fachzeitschrift, die von ihren Freunden und Kollegen an der Harvard Divinity School herausgegeben wurde, von Leuten also, mit denen sie auf dem Campus regelmäßig zu tun hatte. Zwei der drei externen Gutachter, die die Zeitschrift konsultiert hatte, hatten vor einer Veröffentlichung gewarnt, da sie den Papyrus für eine Fälschung hielten. Die beiden gehörten zu den weltweit renommiertesten Experten für frühchristliche Manuskripte in koptischer Sprache – der eine Professor an der Yale University, der andere Professor an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster.
Papyrusfragment mit dem Evangelium der Frau Jesu
Der einzige Gutachter, der den Papyrus für echt befand, war Experte weder für koptische Schrift und Sprache noch für das frühe Christentum. Und er war auch nicht unabhängig, wie er die Redakteure wissen ließ: Er habe King aktiv bei ihren ersten Entwürfen unterstützt, bereits für eine bevorstehende TV-Doku vor der Kamera gestanden und die Echtheit des Manuskripts propagiert. Die Herausgeber der Zeitschrift hatten ihn trotzdem angefragt und seine positive Beurteilung an King weitergeleitet, als wäre er ein normaler, unabhängiger und anonymer Rezensent.
Zudem hatten die beiden wichtigsten Wissenschaftler, die King mit der Überprüfung des Papyrus beauftragt hatte, keinerlei Erfahrung mit der Durchführung archäologischer Testverfahren. Einer der beiden war ein enger Freund der Familie, den Karen aus Kindertagen kannte, der andere war der Schwager des einzigen Gutachters, der eine positive Beurteilung abgegeben hatte. Diesen gravierenden Interessenkonflikt allerdings machten weder King noch die Fachgutachter publik, auch nicht gegenüber den Herausgebern der Zeitschrift, die im April 2014 Kings Artikel veröffentlichten, zusammen mit einer Pressemitteilung der Harvard University, wonach die Echtheit von Kings Papyrus-Fund nun auch wissenschaftlich bestätigt sei.
Also, langer Rede kurzer Sinn: Unabhängigkeit, Fachwissen und Transparenz sind von grundlegender Wichtigkeit. Redakteure sollten auch prominenten Wissenschaftlern heikle und manchmal auch unbequeme Fragen stellen. Im Falle vermeintlicher »Sensationsfunde«, bei denen ein großes Medienecho zu erwarten steht, sollten sie eigene unabhängige Untersuchungen anstrengen, um die Aussagen des Autors zu überprüfen, so reizvoll eine schnelle Veröffentlichung auf den ersten Blick scheinen mag. Die strikte und objektive Vorabkontrolle sollte möglichst erfolgen, bevor eine Wissenschaftlerin ihre spektakuläre Entdeckung auf der Titelseite der New York Times verkündet, und nicht hinterher, wenn der Ruf aller Beteiligten enormen Schaden erleiden kann.
wbg: Veritas - Wie sind Sie auf diesen Buchtitel gekommen?
Ariel Sabar: Veritas ist das lateinische Wort für »Wahrheit« und natürlich Harvards Leitspruch, seit fast vierhundert Jahren. Doch mir und meinem Lektor schien dieser Titel auch aus tieferen Gründen passend. Zwar war meine Absicht, das Buch als einen intellektuellen Thriller zu schreiben, doch auf höherer Ebene, so hoffe ich, erkundet es die unterschiedlichen Wege, die Menschen beschreiten, um die Wahrheit zu finden.
Journalisten und Wissenschaftler hängen in der Regel der Idee der empirischen Wahrheit an, Fakten, die sich in der realen Welt durch Beobachtung, Messung und Prüfung feststellen lassen. Gläubige Menschen finden die Wahrheit im Glauben, in der Akzeptanz von Dingen, die dem Auge nicht sichtbar sind. Andere wiederum, darunter postmoderne Historiker wie Karen King, glauben nicht so recht an objektive Realität. Aus postmoderner Sicht ist die Wahrheit eine Fiktion, die von demjenigen erschaffen wird, der die Macht hat, die beste Geschichte zu erzählen und zu verkaufen.
Veritas ist also auch eine Fallstudie darüber, was passieren kann, wenn die Sucher nach so unterschiedlichen Arten von Wahrheit aufeinanderprallen.
Über das Buch
Rom 2012: Wenige Schritte vom Vatikan entfernt präsentiert Harvard-Professorin Karen King auf einem wissenschaftlichen Kongress eine spektakuläre Entdeckung: ein frühchristliches Papyrusfragment, in dem Jesus Maria Magdalena „meine Frau“ nennt. Und damit nicht genug, er bezeichnet sie auch als seine „Jüngerin“. Die wenigen Zeilen des koptischen Dokuments, von King „Evangelium der Frau Jesu“ genannt, haben das Potenzial, die Lehrpositionen der katholischen Kirche zur Sexualmoral und zum Ausschluss der Frauen vom Priesteramt zu erschüttern. Allein, die Herkunft des brisanten Schriftstücks ist unbekannt. Ein spannender Bericht über eine dreiste Fälschung, die das Gesicht der Kirche hätte verändern können.
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Zu den Beteiligten
Ariel Sabar, aufgewachsen in Los Angeles, ist ein mehrfach ausgezeichneter investigativer Journalist und Sachbuchautor, dessen Arbeiten in den hoch renommierten US-Medien The Atlantic, The New York Times, Harper's Magazine, The Washington Post u.v.a. erschienen sind. Sein Buch-Debut »My Father's Paradise« gewann 2008 den National Book Critics Circle Award.
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