Kredite für die coronageschüttelte Wirtschaft. Darüber wird gesprochen. Über die Bedeutung von Glauben für die coronageschüttelten Menschen dagegen kaum.
Dabei steht der Begriff Glauben in der christlichen Tradition ursprünglich für etwas im Leben von uns Menschen ganz Wesentliches, für Vertrauen. Christen glauben nicht in erster Linie an irgendwelche Katechismussätze, sondern sie glauben an Gott, weil sie ihm vertrauen. Und weil sie Gott vertrauen, können sie auch ein grundsätzliches Vertrauen in die Wirklichkeit insgesamt aufbauen und nicht zuletzt an sich selber glauben, weil sie sich selbst etwas zutrauen. Diese Bedeutung von Credo – »ich glaube« – steckt in dem in der Finanzwelt gängigen Begriff »Kredit« durchaus noch drin: Man gewährt dir einen Kredit heißt wörtlich, man vertraut dir, credit, man glaubt dir, dass du das geliehene Geld zurückzahlst.
Solcher Kredit tut Not – gerade in Zeiten der Coronakrise und ihrer Bewältigung. Finanzielle Kredite mögen wichtig sein, um der Wirtschaft zu helfen, aber sie reichen bei weitem nicht aus. Glauben im Sinne von Vertrauen in die Wirklichkeit insgesamt, in unsere Mitmenschen, in uns selber und nicht zuletzt in Gott als Urgrund allen Seins ist zurzeit gefragter mehr denn je. Er kann zum besten Konjunkturprogramm des Lebens überhaupt werden. Eine solche Idee von Europa, einen solchen Glauben an unseren Kontinent, ein solches Vertrauen in eine Wertegemeinschaft, die mehr ist als eine bloße finanzielle Transferunion, hat man bei den Beratungen der europäischen Regierungschefs zur Bewältigung der Krise schmerzlich vermisst. Es scheint vergessen, dass die Europäische Union nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs von Adenauer, Schuman und de Gasperi, drei überzeugten Katholiken, aus der Taufe gehoben worden ist. Diese christliche Grundlage Europas sollte man vielleicht wieder in Erinnerung rufen.
Aber Glaube im christlichen Sinn ist noch mehr als Vertrauen. Er ist zugleich eine »fides quaerens intellectum«, ein Glaube, der von selbst nach dem Verstehen fragt, wie schon Anselm von Canterbury, einer der großen Denker des 11. Jahrhunderts, treffend formulierte. Glaube steht eben nicht gegen Verstand und Logik. Im Gegenteil: Er will von der Vernunft durchdrungen werden. Glaube und Vernunft, christlicher Sinnhorizont und wissenschaftliche Autonomie schließen einander keineswegs aus, sie sind vielmehr aufeinander verwiesen.
»Glaube steht eben nicht gegen Verstand und Logik. Im Gegenteil: Er will von der Vernunft durchdrungen werden.«
Aufklärung über den Glauben, aus dem Glauben und im Glauben tut derzeit besonders Not. Ein Glaube, der nach dem Verstehen fragt, hat keine Angst vor der Wissenschaft. Im Gegenteil: Christlicher Glaube, der den Namen verdient, weiß genau, worauf er vertraut, ist hungrig nach immer neuem und besserem Verstehen der Wirklichkeit und wissenschaftlich geprüftem Wissen über Gott und die Welt. Fake News und taube Verschwörungstheorien sind seine Sache nicht.
Die wbg steht dafür nicht nur mit zahlreichen hoffentlich guten und lesenswerten Büchern ein, sondern sie ist zugleich auch eine Gemeinschaft von Menschen, die auf sich, die Welt und vielleicht auch auf Gott vertrauen – welch ungeheurer Kredit.
Zum Autor:
Prof. Dr. Dr. h. c. Hubert Wolf lehrt Kirchengeschichte an der Universität Münster. Er wurde u. a. mit dem Leibnizpreis der DFG ausgezeichnet und hat vor kurzem eine Biografie über Pius IX. vorgelegt.
Foto: Catrin Moritz
Glauben oder Vernunft versus Glauben und Vernunft
Krisenzeiten bieten sich wohl an, um wieder verstärkt auf den Glauben hinzuweisen. Denn an was kann man sich sonst orientieren/halten, wenn die Gewissheiten schwinden. Da muss wohl wieder der Glaube ran und zwar insbesondere der, wie er in den christlichen Traditionen überliefert und insbesondere im Katholizismus gegen Kritik dogmatisiert/immunisiert wurde.
Hubert Wolf vermittelt den Eindruck, als ob es einer Ableitung aus der Metaphysik bedürfe (hier speziell auch noch die vermenschlichte/unausgesprochene eines Gottessohnes), um daraus Vertrauen ziehen zu können, ein Vertrauen, dass sich letztlich auf eine menschliche Vorstellung/Wunsch bezieht/stützt, aus seiner Sterblichkeit heraus einen Ausweg zu schaffen und dazu der Wunsch der Konkretisierung eines Glaubens bedarf.
Die Naturwissenschaft kann jedenfalls nicht die Belege für diesen Anthropomorphismus liefern. Auch wenn die Naturwissenschaft sich nicht ohne die Begriffe der Metaphysik denken lässt (jenseits der Mathematik/Logik) ist das, was da behandelt wird, nicht mit Glaubensfragen zu verwechseln. Denn im Gegensatz zum spezifischen Glauben ist es ja genau die gewünschte Kritisierbarkeit (Falsifizierungen), die die Wissenschaft voran bringt.
Die Naturwissenschaft kann zurzeit zwar nicht das Phänomen des Geistes/Bewusstseins aus den materiellen Grundlagen erklären, wobei sich im Zuge der Quantenphysik die Vorstellung materieller Teilchen längst in Luft aufgelöst hat und man 'Materie' nicht mehr als eigentliche, körnige Substanz 'versteht'. Also die Pyramide zum Lebendigen hin ist bedingt durch ihren Unterbau, aber in den sich ergebenden Phänomenen nicht (mehr) ableitbar. Ob sich das ändern wird, muss offen bleiben.
Diese 'Lücke' der Naturwissenschaft wird nun aber nicht logisch vom Glauben an "etwas" ersetzt, dass dürfte sich mit einem Placeboeffekt vergleichen lassen. Und es ist Anselm von Canterbury zu widersprechen, wenn er schreibt, "dass der Glaube von der Vernunft durchdrungen werden will". Denn der Glaube ist eben keine Frage der Vernunft! Denn wer aus dem Glauben heraus die Welt kategorisert/sortiert, der filtert die Welt gemäß dieses Glaubens, was wohl einem Allgemeinzustand vieler Glaubender (aber auch Nichtglaubender!) entspricht.
Es war und wird wohl so sein, dass 'nur' eine Minderheit der Menschen ohne diese Krücken laufen kann/will, wobei die intensivere Auseinandersetzung mit der Thematik dieser Minderheit vorbehalten bleibt. Und die Mehrheit befindet sich bildlich gesprochen unreflektiert dicht unter der Wasseroberfläche, und ist fern tieferer Gedanken. Wobei den wahren Gläubigen ja nachgesagt wird, dass sie der Vernunft längst ledig, in den Abgründen des Glaubens versunken sind.
Die Erde, wie sie nun mal ist, bedarf einer universalen, humanistischen Ethik, die sich über Ideale postuliert, die noch jede Menschlichkeit unterschreiben kann! Das, abgeleitet aus der menschlichen Vernunft, sollte die Grundlage friedlichen, vertrauensvollen Zusammenlebens sein. Und daraus und damit dürfte auch die Fähigkeit vorhanden sein, die existenziellen Sorgen der Menschen auf ein allgemein gewünschtes Maß zu reduzieren, wie es zurzeit aufgrund des Neoliberalismus noch verhindert wird.
Der Glaubende mag sich mittels jenem seine Zuversicht selbst vermitteln (analog: „Dein Glaube hat dir geholfen.“) Wenn es nun dem Allgemeinwohl nicht quer steht und es zudem noch persönlich hilft (...), warum nicht.
Wbg steht für „Wissenschaftliche Buchgesellschaft“ und da hat die Philosophie und ihr Teilbereich Metaphysik ihren sinnvollen/berechtigten Platz. Theologie wiederum legt sich den Anspruch von „Wissenschaftlichkeit“ zu, was der Inhalt nicht hergeben kann. Denn die „Lehre“ von Gott (Göttern/Trinität usw.) würde voraussetzen, den Gegenstand der Behandlung falsifizieren zu können. Da das nicht möglich ist (Mystiker können nicht adäquat mitteilen), verbleibt es eine reine Glaubenssache.
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Das Thema ist damit aber nur angerissen, nicht umsonst werden darüber dicke Wälzer geschrieben. Auf den Punkt zu bringen, den ganzen traditionellen Ballast also abzulegen, ist auch ohne diese Lektüre möglich. Leicht ist es aber nicht, abhängig davon, welche 'Prägungen' hinterlassen wurden, die man dann mühsam erkennen muss.
Neue Gesellschaft, neue Religion
Ich finde Ihre Gedanken interessant, sie regen zum Weiterdenken an und doch muss ich sagen, klafft mir beim Lesen eine große Lücke. Es wird hier mehrfach auf den christlichen Glauben hingewiesen, welcher jedem helfen könne, es wird ein Denker aus dem 11. Jahrhundert zitiert, aber kein einziges Mal wird auf den Offenbarer der christlichen Religion selbst (Jesus von Nazareth) hingewiesen, noch auf eine Bibelstelle, welche diese Beschreibung stützt.
Meiner Meinung Nach ist die Herausforderung unserer heutigen Zeit, dass oft zwanghaft und nicht sehr luzide versucht wird, die aktuelle gesellschaftliche Situation mit den christlichen Glaubenssätzen in Zusammenhang zu bringen, was jedoch alleine aufgrund der Zeitlichen Dimension von über 2.000 Jahren schon zwangsläufig zum Scheitern verurteilt ist. Der christliche Glaube wurde in einer Zeit für eine Gesellschaft etabliert, die weit entfernt war von den Herausforderungen unserer Zeit und wir können uns glücklich schätzen, die Zusage Gottes zu haben, zu jeder Zeit einen (neuen) Gottesoffenbarer auf die Erde zu senden, welcher der Welt das an die Hand gibt, was sie für die nächste Zeit benötigt.
Ich finde, hier setzt der religiöse Aspekt an, sich auf die Suche nach der Wahrheit zu begeben und zu schauen, was die (neueren) Religionen zu diesem Thema sagen und wird erstaunt feststellen, dass ohne große Interpretation oder weiter Herholung genau dieses Thema (Wissenschaft und Religion) ein Grundprinzip einer jungen Weltreligion ist, der Bahá''í-Religion, dessen Stifter, Bahá'u'lláh nämlich sagte "Die Religion muss mit Wissenschaft und Vernunft übereinstimmen. Nach dem Glauben der Bahai erklärt die Religion Zusammenhänge, die jenseits des wissenschaftlich Erfahrbaren liegen. Wissenschaften und Religionen sollten sich daher ergänzen und nicht widersprechen. Religion ohne Wissenschaft führe zu Aberglaube, Wissenschaft ohne Religion zu Materialismus. Beides wird abgelehnt." (aus Wikipedia.de).
Hieran sieht man meiner Meinung nach deutlich, dass man neuen Wein nicht in alte Schläuche geben sollte und sich den aktuellen Herausforderungen unserer Zeit mit der aktuellen (auch religiösen) Medizin für unsere Zeit widmen sollte, wenn man sie verstehen und erfolgreich angehen möchte.