Zur Rezeption von Carl Erdmanns Werk

Ein Beitrag von Folker Reichert

„Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens“ stellt die konsequente Anwendung geistes- und kulturgeschichtlicher Fragen auf ein allgemeingeschichtliches Thema von herausgehobener Bedeutung dar. Otto Gerhard Oexle hat einmal den „kulturwissenschaftlichen Aufbruch“ der deutschen Mittelalterforschung skizziert und dafür fünf Buchtitel aus den Jahren 1929 bis 1946 in Anspruch genommen: Percy Ernst Schramms „Kaiser, Rom und Renovatio“ von 1929, Herbert Grundmanns „Religiöse Bewegungen im Mittelalter“ von 1935, Gerd Tellenbachs „Libertas“ von 1936, Ernst Kantorowicz’ „Laudes Regiae“ von 1946 und eben Erdmanns Kreuzzugsbuch. Die Verfasser gehörten der gleichen Generation an, unterhielten mehr oder weniger enge Verbindungen zueinander und wollten mit ihren Forschungen den Zusammenhang von Politik, Gesellschaft und Religion aufhellen. Ihre Werke standen nicht im Dienst einer nationalen Geschichtsdeutung, sondern spannten einen übernationalen, einen europäischen Horizont auf.

 

Entsprechend fiel das Echo in der Wissenschaft aus, oder genauer gesagt: in den Wissenschaften. Denn mehrere Disziplinen fühlten sich angesprochen: Geschichtswissenschaft, Romanistik, Theologie, Byzantinistik, überraschend wenig, aber doch auch die Orientalistik. Über die Fächergrenzen hinweg waren sich die Rezensenten über die herausragende Qualität des Buchs einig, und da Kreuzzugsgeschichte von jeher weniger in Deutschland als in Westeuropa geschrieben wurde, nimmt es nicht Wunder, dass es auch von der englisch- und französischsprachigen Forschung aufmerksam zur Kenntnis genommen wurde.

 

Allerdings blieb die Aufnahme in den Vereinigten Staaten fürs Erste gespalten.

Im führenden Fachorgan der amerikanischen Mediävistik erschien eine scharf ablehnende Besprechung, ein Verriss, wenn man so will. Der Verfasser, ein bekannter Kreuzzugshistoriker, konnte offenbar weder mit dem deutschen Militarismus noch mit deutscher Gelehrsamkeit etwas anfangen. In einer katholisch-theologischen Fachzeitschrift dagegen wurde Erdmanns Buch ausführlich und verständnisvoll gewürdigt. Welcher Standpunkt sich durchsetzen würde, blieb lange Zeit offen. Am Ende entschied der schiere Zufall die Frage: Der kritische Rezensent verstarb in relativ jungen Jahren, der wohlwollende avancierte im Verlauf einer lang anhaltenden Karriere zu einem der renommiertesten Kreuzzugshistoriker. Im Alter entsann er sich des vor Jahrzehnten von ihm besprochenen Buchs und brachte eine Übersetzung ins amerikanische Englisch auf den Weg, leicht gekürzt zwar, aber doch eindrucksvoll genug, um international Aufsehen zu erregen. Übersetzungen ins Italienische und Russische folgten der amerikanischen nach. Der Name des Autors wurde in der wissenschaftlichen Welt berühmt.

 

»Erst nach seinem tragischen Ende wurde aus dem einfachen Soldaten „der große Carl Erdmann“ (Philippe Buc)«.

 

Heute gilt Erdmanns „Entstehung des Kreuzzugsgedankens“ als innovative Studie von Rang, als grundlegend, bahnbrechend, unübertroffen, als „die originellste monographische Studie zu den Kreuzzügen im 20. Jahrhundert“ (Christopher Tyerman). Mit der Geistesgeschichte der Kreuzzüge erschloss sie der Forschung ein neues Arbeitsgebiet und machte dadurch Epoche (Jean Richard). Der weite Kreuzzugsbegriff, der sich aus Erdmanns ideengeschichtlichem Ansatz ergab, hat sich durchgesetzt und ist jetzt Gemeingut der Forschung. Aus Umfragen und Rankings (die auch der Vergangenheit nicht erspart bleiben) ging das Buch mit Höchstwerten hervor. Gerne wird es mit Steven Runcimans viel gelesener „Geschichte der Kreuzzüge“ verglichen. Dabei hätte der Unterschied zwischen den Verfassern größer nicht sein können: Runciman war wohlhabend und durfte auf ein langes, erfolgreiches Leben zurückblicken; Erdmann ging als armer Teufel auf dem Balkan zugrunde. Erst nach seinem tragischen Ende wurde aus dem einfachen Soldaten „der große Carl Erdmann“ (Philippe Buc) und aus seiner Habilitationsschrift ein Klassiker, dessen Lektüre sich bis auf den heutigen Tag lohnt.

 

Über das Buch

Carl Erdmanns „Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens“ (1935) gilt bis heute international als Klassiker. Nach Jahrzehnten nun macht die wbg dieses Meisterwerk der Geschichtsschreibung wieder zugänglich, versehen mit einem Nachwort von Folker Reichert. Damit ist das Hauptwerk des aufrechten Historikers nun endlich wieder zugänglich.

»Ein Klassiker, dessen Lektüre sich bis auf den heutigen Tag lohnt.«
– Folker Reichert

 

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Weiterführende Links

Carl Erdmanns Begriff vom heiligen Krieg
Carl Erdmanns Einschätzung der Päpste

 

Zu den Beteiligten

Carl Erdmann (1898-1945) gilt als einer der bedeutendsten deutschen Mediävisten des 20. Jahrhunderts, sein Hauptwerk „Die Entstehung des Kreuzzugsgedankens“ als Klassiker. Dabei hatte der 1932 Habilitierte nie einen Lehrstuhl inne, sondern fristete seine letzten Lebensjahre als überzeugter Gegner der Nationalsozialisten im akademischen Prekariat. An ihn erinnert auch der Preis des Verbands der Historikerinnen und Historiker Deutschlands (VHD) für herausragende Habilitationen im Bereich Geschichte.

 

Prof. Dr. Folker Reichert, geb. 1949, lehrte Mittlere Geschichte an der Universität Stuttgart. Er ist einer der besten Spezialisten für die Geschichte des Reisen, der Entdeckungen und der Fremdwahrnehmung im Mittelalter.

 

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