99. Jubiläum: Howard Carter entdeckt das Grab des Tutanchamun

»Es war ein Anblick, der alles zuvor Gesehene übertraf und von dem wir nie zu träumen gewagt hätten,« schrieb Howard Carter über den Fund des 04. November 1922 in seinem Tagebuch – an dem Tag, an dem er KV62, das Grab des altägyptischen Pharaos Tutanchamun aus der 18. Dynastie fand.

Tutanchamun war der Nachfolger und vermutlich auch der Sohn von Amenophis IV., der dadurch bekannt wurde, dass er einen »monotheistischen« Kult im ägyptischen Reich einführte. Amenophis IV. etablierte den Kult des Aton, gründete die neue Reichshauptstadt Achet-Aton und nannte sich selbst fortan Echnaton. Sein noch junger Sohn Tutanchaton trat kurz nach Echnatons Tod die Thronfolge an, löste den götterfrevelnden Kult kurzerhand wieder auf und verlegte den Regierungssitz nach Memphis. Im Zuge dessen nannte sich der Pharao auch in Tutanchamun um.
Um das Alter und die Todesursache Tutanchamuns ranken sich viele Vermutungen. Im Alter von 18 bis 27 Jahren starb der Pharao vermutlich bei einem Jagdunfall. Alle Thesen zu einer gewaltsamen Todesursache des Königs konnten nicht abschließend bewertet werden, da sowohl das Brustbein als auch eine Rippe der Mumie fehlen. - Auf Aufnahmen von Howard Carter und George Herbert, dem 5. Earl von Carnavaron sind diese allerdings noch vorhanden gewesen und müssen bei Plünderungen des Grabes im 2. Weltkrieg gestohlen worden sein. Der Körper des Königs unterliegt allerdings noch ein zweites Mysterium, denn anscheinend litt Tutanchamun genauso wie sein Vater Echnaton, an einer Skoliose und zusätzlich einer weiteren Knochenkrankheit, worauf neben den Überresten auch Abbildungen des jungen Königs mit einem Gehstock hinweisen.

Tutanchamun wurde nach seinem Tod 1323 v. Chr. im Tal der Könige bestattet und dieses Grab sollte der britische Archäologe, Epigrafiker und Künstler Howard Carter schließlich 3245 Jahre später finden.

 

Die Leidenschaft für die Untersuchung und den Schutz ägyptischer Stätten entwickelte der 1874 in London geborene Carter während eines Künstleraufenthaltes in Swaffham. 1891 reiste Carter das erste Mal als Künstler eines Sondierungsprojektes des Egypt Exploration Fund nach Ägypten. Als Künstler nahm er an verschiedenen Ausgrabungen teil und lernte von dem bekannten Archäologen William Matthew Flinders Petrie. Später schreibt Carter: »Wohl dank der Ausbildung durch Flinders Petrie, erwachte in mir der große Wunsch, Ausgräber zu werden.« Carter gelang es, sein künstlerisches Talent mit der Liebe zur ägyptischen Geschichte zu verbinden. Mehr noch: Er entwickelte eine eigene Methode zum Abzeichnen der Inschriften, um mittels Rasterzeichnungen, Freihandzeichnungen und Durchpausen erstaunlich genaue Kopien von Darstellungen in den archäologischen Stätten zu erstellen. Carters Karriere ging steil bergauf: 1899 wurde er zum Inspektor für Oberägypten und Nubien der ägyptischen Altertümerverwaltung und kümmerte sich in dieser Funktion um den Tourismus im Tal der Könige. Doch Carters Karriere endete abrupt aufgrund einer Auseinandersetzung zweier Wachleute und alkoholisierten Touristen, weshalb er seine Anstellung verlor. Es sollten zwei weitere Jahre vergehen, bis Carter auf den Earl von Carnavaron traf. Der Earl war begeistert von Carters Fähigkeiten und seiner Leidenschaft und unterstützte ihn finanziell bei dem Vorhaben, das Grab des legendären Pharaos Tutanchamun zu suchen. Nach über zehn Jahren der Suche begann Carter mit Ausgrabungen an der nordöstlichen Ecke des Grabes von Ramses VI. Carter war sich sicher: Das Grab muss hier irgendwo sein.

Am 4. November machten Carter und sein Team endlich die langersehnte Entdeckung: Eine alte Arbeiterhütte mit Treppenstufen wurde freigelegt, an dessen Ende sich nach zwölf Stufen der Eingang der Nekropole befand. Es sollte noch zwölf weitere Wochen dauern, bis klar war, dass es sich bei dem Fund tatsächlich um das Grab des Tutanchamun handelt.

Die Freude der Archäologen sollte nicht lang anhalten. Nach der Öffnung des Grabes kam es kurze Zeit später zu ein paar unergründlichen Todesfällen im Grabungsteam, die von der Presse dem »Fluch des Pharaos« zugesprochen wurden.

Und tatsächlich fand Sir Alan Gardiner 1923 folgende Inschrift im Grab: »Der Tod wird auf schnellen Schwingen zu demjenigen kommen, der die Ruhe des Pharao stört.« Bedauerlicherweise ist diese Inschrift ebenso wenig auffindbar wie die Rippe und das Brustbein Tutanchamuns. Dem Mythos vom Fluch des Pharaos nahm dies keinen Abbruch, was die Vielzahl an Mumien-Filmen belegt.

 

Unglücklicherweise kursiert inzwischen eine weitere Entdeckungsgeschichte, die Carter seinen Erfolg streitig macht. Demnach soll ein ägyptischer Junge namens Hussein Abdel-Rassoul, der dafür zuständig war, die Arbeitenden mit Wasser zu versorgen, beim Abstellen eines Wasserkruges auf die erste Treppenstufe des Grabes gestoßen sein. Tatsächlich gibt es ein Foto von Abdel-Rassoul mit einem Skarabäus- und Sonnenscheibenkette aus dem KV62. Ob es sich bei Abdel-Rassoul um den tatsächlichen Finder des Grabes und die Erzählungen von Carter um ein nachträgliches Konstrukt handelt, ist heute nicht mehr festzustellen. Es wäre zumindest nicht der erste Beleg dafür, wie privilegierte Europäer:innen die Geschichte zu ihren Gunsten verändert haben – und dabei die lokale Bevölkerung Außen vor ließen.

 

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