Die Medizin des antiken Griechenlands

Hippokrates wird zwar als der „Vater der modernen Medizin“ bezeichnet, war aber keinesfalls der erste medizinkundige Mensch im antiken Griechenland. Die Kunst der Heilung von Kranken übernahmen die Menschen in Griechenland (wie vieles andere auch) aus dem Alten Ägypten und Mesopotamien. Im Folgenden möchte ich Sie auf eine kurze Reise durch die Medizingeschichte des antiken Griechenlands entführen. 

Das Verständnis von Krankheiten im alten Griechenland unterschied sich in einem Punkt nicht von dem im Mittelalter: Krankheiten und Seuchen waren eine göttliche Strafe und wenn die Menschen diesen Krankheiten unterlagen, so war es eine Reaktion auf ihr schändliches Verhalten. 
Das zeigt sich in extremis in folgendem Mythos: Pandora, das καλὸν κακόν (das schöne Übel), brachte den Menschen in ihrer Büchse alle Krankheiten und Seuchen, das Alter und die Hässlichkeit. Dieses überraschende Geschenk erhielten die Menschen, weil Prometheus es zuvor gewagt hatte, den Gottheiten mit einem Trick das Feuer abzuluchsen. Ob dieser Mythos auf einem wahren Kern beruht, soll hier nicht weiter diskutiert werden. Es zeigt jedoch, weshalb Religion und Medizin sich in der griechischen Antike nicht haben trennen lassen. 

Alkmaion von Kos
Wie bereits erwähnt, gab es auch vor Hippokrates kundige Menschen in Griechenland. Einer dieser Menschen war der Naturphilosoph Alkmaion von Kroton (der genauer gesagt eigentlich aus einer griechischen Kolonie stammte, die sich in Unteritalien befunden hatte, aber dennoch Grieche war). Von Alkmaion stammt das erste anatomische Buch überhaupt und ebenfalls der erste Beleg für eine medizinische Schule, die er 550 v. Chr. in Kroton gründete. Neben der Beobachtung der Patienten praktizierten er und seine Schüler die Versorgung von Verletzungen und oberflächlichen Tumoren. Bemerkenswert an Alkmaion war zudem, dass er das Gehirn bereits als Ort der Erkenntnisgewinnung vermutete. 

Hippokrates von Kos
Hippokrates von Kos entwickelte gut 150 Jahre später die Vier Säfte Lehre und fasste (jedenfalls so die Vermutung) auch den hippokratischen Eid. Seine Vier Säfte Lehre, weiterentwickelt von Galen von Pergamon, begründete die Humoralpathologie, die erst im 19. Jahrhundert durch die Zellularpathologie von Rudolf Virchow abgelöst wurde. 
Unter Hippokrates und seinen Schülern, der bekannteste von ihnen war Polybos, entstand der Corpus Hippocraticum, zumindest in Teilen. Sie gelten heute als Erstbeschreiber vieler bis dato nicht benannter und untersuchter Krankheiten. Im Corpus Hippocraticum wurden die wichtigsten medizinischen Entdeckungen ihrer Zeit festgehalten, wobei der Name hier zu falschen Schlussfolgerungen führen kann: Bereits in der Antike war den Menschen bewusst, dass diese Schriftstücke nicht alle aus der Hand des Hippokrates stammen können, da einige dieser Texte bereits aus dem 6. Jh. v. Chr. und andere erst aus dem 2. Jh. v. Chr. kamen.
Besonders in der Blütezeit des Museion und der Bibliothek von Alexandria, in der viele wichtige medizinische Erkenntnisse gesammelt wurden (dazu unten mehr), wuchs diese Sammlung enorm. 
Die Vier Säfte Lehre, die Hippokrates aus der Elementarlehre von Empedokles entwickelt hat, besagt, dass der Mensch vier Säfte im Körper hat. Dieses Mischverhältnis der Säfte nennt man Krasis. Sind die Säfte nicht im richtigen Verhältnis, nannte man dies Dyskrasie und die Person war krank, bei einer Eukrasie handelte es sich indes um eine:n Gesunde:n. 


„[…]. Der Körper des Menschen enthält in sich Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle, sie stellen die Natur seines Körpers dar, und ihretwegen empfindet er Schmerzen und ist er gesund. Gesund ist er nun besonders dann, wenn diese Substanzen in ihrer wechselseitigen Wirkung und in ihrer Menge das richtige Verhältnis aufweisen und am besten gemischt sind […].“ Corpus Hippocraticum, 1-8.

Asklepios
Falls man krank war, aber nicht die Möglichkeit hatte, Hippokrates aufzusuchen, konnte man sich in den Tempeln des Gottes Asklepios versorgen lassen. In diesen Asklepieia arbeiteten sowohl Heiler als auch Priester, die sich den Hilfesuchenden annahmen. Ab dem 5. Jh. v. Chr. erlangte der Asklepios-Kult einen großen Aufschwung und es entwickelten sich große Kultzentren in Epidauros und Pergamon, aber auch Tempel in z. B. Athen, Kos und Korinth. 


Asklepios war der Sohn der Koronis und des Apollon. Als Koronis mit Asklepios schwanger war, ließ sie sich auf einen Sterblichen ein. Die griechischen Gottheiten nehmen sowas gern mal persönlich – Koronis stirbt, vermutlich durch Apollons Schwester Artemis. Aus dem toten Leib der Koronis rettet Hermes das ungeborene Kind und bringt es zu Cheiron, einem medizinkundigen Kentauren. Dieser zieht das Kind zu einem Heiler auf. Und Asklepios ist sehr erfolgreich: Er rettet so viele Menschen vor dem Tod, dass Zeus und Hades auf ihn aufmerksam werden und sich um ihre Gläubigen und Toten betrogen fühlen. Zeus tötet Asklepios, der durch seinen Tod, wie bei Halbgöttern üblich, zum Gott wird. 
Um die Figur des Asklepios entstanden viele Kultorte. Im Verständnis der Menschen des antiken Griechenlands wurde für einen gesunden Körper auch ein gesunder Geist benötigt – weshalb die Kultorte meist über ein ausgedehntes Freizeitangebot verfügten. Die Heilung vollzog Asklepios übrigens im Schlaf, einhergehend mit natürlichen Diäten. 
In solch einem Tempel sind vermutlich auch Hippokrates und Galen in der Kunst der Medizin ausgebildet worden. 

Attische Seuche - Die thukydideische Seuche 
Von 430 bis 426 v. Chr. kursierte in Athen etwas, was Thukydides als λοιμός bezeichnete. Frei übersetzt bedeutet dies eine Seuche, die sehr ansteckend und derweilen auch tödlich ist. Mitten im Peloponnesischen Krieg bricht in Athen eine nie dagewesene Krankheit aus. Was genau die Menschen damals hinraffte, ist nicht mehr bekannt. Interessant ist jedoch, dass der griechische Historiograf Thukydides folgendes beschreibt:


„[...] denn zweimal über denselben fiel die Krankheit nicht her, jedenfalls nicht mit tödlichem Ausgang.“ Thuk. 2, 51,6


Es handelt sich um die erste Beschreibung eines immunologischen Gedächtnisses. Im Übrigen verloren die Athener:innen nicht nur den Krieg gegen Sparta, sondern 429 v. Chr. auch Perikles.
 
Galen von Pergamon
Gut 450 Jahre nach Hippokrates trat ein junger Mann auf den Plan, der die Humoralpathologie auf den Stand brachte, mit dem bis ins 19. Jh. gearbeitet wurde. Galen von Pergamon lernte die Heilkunst vermutlich zunächst im großen Asklepieion von Pergamon. Danach zog er für seine Ausbildung nach Smyrna und von dort aus kam er im bescheidenen Alter von 19 Jahren nach Alexandria. Unter der Herrschaft Ptolemaios I. entwickelte sich Alexandria zur Wiege der antiken Wissenschaft.
Und für die Medizin besonders interessant: Es war nicht nur ein Speicher des Wissens, sondern auch der einzige Ort in der Antike, in der halbwegs legale Autopsien vollzogen wurden. Diese waren eigentlich strengstens verboten. Außerdem scheinen einige dieser Autopsien nicht an Toten vollzogen worden zu sein. 
Als Galen nach Alexandria kam, wurden aber vor allem Schweine für medizinische Untersuchungen aufgeschnitten, was sicher keinesfalls eine positive Gegebenheit für die Humoralpathologie war.

Da die Kirche das sezieren von Leichen strengstens untersagte, benötigte es erst einen jungen Flämen namens Andreas Vesal, der im 16. Jahrhundert einige galenische Behauptungen über die Anatomie richtigstellte. Dass Teile seiner Thesen widerlegt wurden, bekam Galen jedoch nicht mehr mit. Nachdem er lange Zeit in Alexandria gewirkt hat, arbeitete Galen als Gladiatorenarzt und konnte dort noch mehr Erfahrungen als Mediziner sammeln. Seine Reputation war so hervorragend, dass der Kaiser MarK Aurel ihn höchst persönlich bat, sich seiner Soldaten in Aquileia anzunehmen, da diese an einer Pockenepidemie dahinrafften. 
Galen schrieb einige Werke über seine medizinische Arbeit, die neben der Vier Säfte Lehre auch das Zusammenspiel von Körper und Seele im Gedankengut des Platon behandeln. 

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