Ich sage es ganz ehrlich: Ich habe immer schon gerne Dinge angekreuzt. Es wäre daher wirklich eine unangemessene Verklärung, wenn ich meine Teilnahme an der Mitgliederbefragung der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft 2020 als Ausdruck meines Willens zu freiheitlicher Mitbestimmung deklarierte, auch wenn diese Verklärung dem dramatischen Aufbau dieses Beitrags zweifellos zuträglich wäre.
Fakt ist nun mal: Sowas macht mir einfach Spaß. Völlig unabhängig davon jedoch habe ich auch einen Willen zu freiheitlicher Mitbestimmung – und erachte den Diskurs als dasjenige Medium, in dem diese freiheitliche Mitbestimmung sich allein vollziehen kann und das zugleich auch ihre Voraussetzung ist. Und da wären wir dann auch schon beim Thema.
Diese beiden Punkte – die bloße Freude am Ankreuzen und eine ganz generelle Wertschätzung von Freiheit – gerieten nun eher unerwartet in Konflikt. Zunächst nämlich fiel ich über die Frage, ob man sich wünschen würde, dass die wbg Gendersprache verwende. Ich seufzte innerlich kurz auf und dachte: „Oh je, nun auch noch hier…!“ – bevor ich beherzt „nein“ ankreuzte.
Wenig später stolperte ich erneut, und diesmal sank mir wirklich sehr der Mut: Ob man wolle, dass die wbg in ihrer Programmausrichtung politischer werde. Was kann, was soll denn das bedeuten?
Mir schien dies nur eines meinen zu können: dass nämlich die wbg erwägt, zukünftig Publikationen mit bestimmten, derzeit nicht so hoch im Kurs stehenden Meinungen aus dem Programm zu tilgen – bzw. diese nicht erst aufzunehmen – und stattdessen solche zu fördern, von denen der Zeitgeist behauptet, sie seien „wissenschaftlicher Konsens“. Mithin: Es wäre bald kein Buch mehr bei der wbg zu erhalten, das das gängige Narrativ zum Thema „Klimawandel“ in Frage stellt, das sich kritisch mit Fragen der Migration auseinandersetzt oder das das Gendersternchen in Frage stellt.
Ich fand und finde erschütternd, dass das in der wbg ein Thema wird; ich fände vor allem erschütternd, wenn es Realität würde.
Warum? Ich will zur Beantwortung der Frage des „Warum“ zwischen den beiden Punkten „Gendersprache“ und "politisches Engagement" unterscheiden, auch wenn beides letztlich doch auch zusammenhängt.
Gendersprache ist unnötig, und sie ist falsch
Was Gendersprache angeht, so lehne ich diese persönlich zunächst einmal aus verschiedenen Gründen ab.
Relativ banale Gründe dafür sind, dass sie für mein Empfinden schlichtweg unästhetisch ist und zudem den Regeln der deutschen Grammatik widerspricht, indem sie Zeichen einführt, die es in der deutschen Sprache nicht gibt und zudem auf einer Verwechslung von Genus und Sexus beruht.
Vor allem aber greift sie in die Logik der deutschen Sprache ein, indem beispielsweise nun Konstrukte wie "Studierende“ den durchaus nicht insignifikanten Unterschied zwischen "Studierenden" und "Studenten" einebnen. Dabei geht es mir nicht so sehr darum, dass nicht wohl trotzdem die meisten Menschen verstehen werden, dass mit "Studierenden" eben Studenten gemeint sind. Das Problem sehe ich eher darin, dass es den Unterschied zwischen diesen beiden Wortbildungen generell verdunkeln und damit das Differenzierungsvermögen im sprachlichen Ausdruck einschränken wird.
Weiterhin muss man auch die Frage stellen: Cui bono? Ich persönlich bin nicht der Meinung, dass die Veränderung an den Worten mehr Nutzen als Schaden stiftet. Dass die Sprache unsere Welt formt, wissen wir natürlich nicht erst seit gestern (auch wenn die Advokaten der Gendersprache uns das gelegentlich als absolutes Novum verkaufen möchten). Aber es ist ja nun nicht so, dass zuerst die Sprache und dann unsere (kulturelle) Welt da wäre. Beides ist gleichursprünglich. Das lässt, so denke ich, mit einiger Wahrscheinlichkeit zu, dass durch das Ändern der Sprache noch nicht viel gewonnen ist.
Jemand, der, sagen wir, aus welchen Gründen auch immer keine Transsexuellen mag, wird Wege finden, das auszudrücken, weil er es empfindet. Ich befürchte sogar eher, dass durch Sprachverbote und -gebote, wie sie uns die Gendersprache gerne vorgeben möchte, latente Vorbehalte noch radikalisiert werden. Denn da, wo ein Gefühl sich nicht mehr in Sprache äußern kann oder darf, tritt, so meine ich, mit einiger Wahrscheinlichkeit rohe Gewalt an die Stelle verbaler Auseinandersetzung.
Es will mir zudem, auch als Angehöriger mehrerer Minderheiten, denen mit der Gendersprache diese vermeintlich so wichtige "Sichtbarkeit" zuteilwerden soll, nicht einleuchten, warum man immerzu "sichtbar" sein muss. Ich würde mir wünschen, dass wir unsichtbar wären. Denn darin doch läge die eigentliche Gleichheit – und nicht darin, dass wir Menschen immerzu mit der Nase auf unser Geschlecht und unsere sexuelle Selbstkonstruktion stießen.
Vor allem aber habe ich generelle Einwände gegen Sprachpolitik. Sprache ist etwas, das sich organisch entwickelt. Wenn nun immer mehr Menschen sagen, sie „gehen jetzt Bahnhof“, dann finde ich das vielleicht auch nicht ästhetisch. Aber es hat diesen Menschen niemand gesagt, dass sie das so sagen müssen; es hat sich einfach so entwickelt. Sprachpolitik ist etwas, was wir aus autoritären politischen Systemen kennen. In einer Demokratie hat das nichts zu suchen. Und da schließt sich nun auch der Kreis zum zweiten Punkt, den ich in diesem Beitrag behandeln möchte und der mir in der Mitgliederbefragung der wbg auffiel.
„Politisch engagiert“ kann nicht wissenschaftlich sein
Politik und Wissenschaft, das lehrt uns Ernst Cassirer, sind zwei verschiedene symbolische Formen. Man muss aber nicht Cassirers Philosophie der symbolischen Formen gelesen haben, um zu verstehen, dass Politik und Wissenschaft strukturell notwendig grundverschieden sind. Das Ziel von Wissenschaft ist Erkenntnis. Das Ziel der Politik – Macht, mit dem (hoffentlich) höheren Ziel, die eigene Überzeugung zum Nutzen der Gesellschaft durchzusetzen. Politik braucht Rhetorik, Wissenschaft Diskurs. Nutzen wir die Mittel der Politik für die Ziele der Wissenschaft, verfehlen wir diese notwendig.
Was aber würde es konkret bedeuten, wenn sich eine Institution wie die wbg politisch engagierte? Nun, es ergäbe eine Einschränkung des Diskurses zugunsten von Positionen, die scheinbar Konsens sind und die der Zeitgeist als „richtig“ beurteilt. Warum aber überhaupt?
Aus meiner Sicht gibt es sehr klare Kriterien, die bisher darüber entschieden haben, ob ein Buch als wissenschaftlich eingestuft wird (und damit potentiell in der wbg erscheinen kann): Die Verfasser müssen, um es etwas verkürzt auszudrücken, eine einschlägige akademische Ausbildung vorweisen und gegebenenfalls auch einer akademischen Profession nachgehen. Ferner sind den Argumenten Belege in bestimmter Form beizufügen. Es gibt auch sehr klare Regeln dafür, wann ein Inhalt politisch problematisch ist. In Deutschland gibt es Meinungsfreiheit – und folglich darf alles, was nicht gegen das Gesetz verstößt, auch geäußert werden. (Ein klassisches Gegenbeispiel wäre die Leugnung des Holocausts, die eben nicht erlaubt ist.) Diese Regeln und Grundsätze sollten auch heute noch genügen.
Natürlich ist darin auch ein subjektiver Faktor enthalten: Wenn sich die Entscheider nicht auf Distanz zu ihrer eigenen Meinung begeben – wie es sein sollte! – können sie natürlich jedes Argument, das ihnen nicht gefällt und mit dem sie nicht konform gehen, für ungültig und die Publikation damit für wertlos erklären. Dann genügen die bisherigen Kriterien freilich nicht mehr. Sie setzen bereits aufgeklärte, vernunftgeleitete Individuen voraus, die sich redlich mühen, in der Bewertung der wissenschaftlichen Arbeit des anderen von der eigenen Meinung zu abstrahieren.
In der aktuellen "Cancel Culture" werden systematisch bestimmte unliebsame Positionen "verbannt" - zum Beispiel Positionen, die in Frage stellen, inwieweit der Mensch Einfluss auf den Klimawandel hat oder die von derzeit erwünschten Meinungen dazu, wie mit Migration umzugehen ist, abweichen. Dabei wird vermeintlich im Namen der Wissenschaft eine letztgültige Wahrheit behauptet, die Wissenschaft nie besitzen kann – und auch sonst nichts und niemand.
Wissenschaft ist natürlich auch Moden unterworfen. In manchen Zeiten stehen bestimmte Theorien hoch im Kurs, die später an Bedeutung verlieren und vice versa. Der wissenschaftliche Fortschritt entsteht dialektisch. Er entsteht ganz sicher nicht, indem man der "Gegenpartei" den Mund verbietet und deren Vertreter zur persona non grata in wissenschaftlichen wie anderen Foren erklärt. Darum hielte ich es für hochproblematisch, wenn die wbg sich dem Zeitgeist beugen und Bücher nach Konformität mit dem Mainstream aussortieren würde.
Dasselbe gilt aus meiner Sicht auch von politischen Debatten und entsprechenden Sachbuch-Publikationen. Wir müssen alle anhören; und so lange sie noch auf dem Boden der Verfassung stehen, müssen sie auch am politischen Diskurs beteiligt werden. Die Radikalisierung, die wir beobachten, wird nicht besser, sondern schlimmer, wenn wir jeden als Nazi betiteln, der ein kritisches Wort zur Einwanderungspolitik in den Mund nimmt.
Das sage ich, wohlgemerkt, nicht, weil ich persönlich etwa glaubte, dass der Klimawandel nicht vom Menschen gemacht sei oder Thilo Sarrazin in allem zuzustimmen sei. Das ist für die Frage, um die es hier geht, aus meiner Sicht völlig egal. Man darf aber meines Erachtens keine Sicht ausblenden und – als Repräsentant wissenschaftlicher Diskurse, was die wbg ja doch auch ist – der Dämonisierung dieser derzeit nicht "gewünschten" Ansätze das Wort reden.
Freiheit heißt: Leser selbst urteilen lassen
Wir müssen noch immer, mit Kant, davon ausgehen, dass der Mensch die Fähigkeit besitzt, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Mag sein, dass er keine Lust hat, seine selbstverschuldete Unmündigkeit zu verlassen; das heißt aber noch lange nicht, dass wir ihm das Denken einfach abnehmen und ihm "die Wahrheit" vorsetzen dürfen. In einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft dürfen wir das ganz sicher nicht. Weniger Freiheit geht eigentlich nicht mehr. Und ich fände sehr wünschenswert, wenn sich die wbg nicht an dieser im Dienste einer Scheinmoral und Scheinfreiheit seitens einer sehr lauten Minderheit zusehends durchgefochtenen Entmündigung der Bürger beteiligen würde.
Über die Autorin: Dr. Ann-Kristin Iwersen, *1980, studierte Philosophie, Ethnologie und Literaturwissenschaft. Sie arbeitet als Content Marketer und freier Autor.