Gastbeitrag: Geschlechtsbezogenes Sprechen: Reden wir freudsch?! Was das Gendern über unsere verborgenen Wünsche verrät.

Hat das Genus der deutschen Sprache etwas mit der Geschlechtlichkeit einer Person zu tun? Sollte die Geschlechtsidentität in Begriffen transportiert werden, die Personen bezeichnen? Unbedingt, so sind sich die „Verfechter*innen“ von Gendersternchen und Co. sicher. Allerdings entlarvt sich bei näherem Hinsehen die Genderlinguistik, deren „VerfechterInnen“ die politische und gesellschaftliche Gleichheit der Geschlechter mittels gendergerechter Sprache erkämpfen wollen, als kultureller Ausdruck Freudschen Versprechens.

Was ist die Ursache für die schriller werdenden Bestrebungen, nicht-männliche Menschen durch gesprochene und schriftliche Zeichen sichtbar zu machen und dadurch zur Wahrnehmung gleichberechtigter Individuen zu bringen? Der blinde Fleck, der solches letztlich bewirkt, gründet auf der Scham: Wir schämen uns für die naturalistischen Korrelate der uns zugesprochenen Geschlechtsidentitäten, die zugleich aber sprachlich zum Ausdruck gebracht werden sollen. Es handelt sich um die Vulva (der Frau) und den Penis (des Mannes)! Das erklärt nicht nur den verbreiteten Glauben, das Genus der Wörter habe grundlegend etwas mit dem biologischen Geschlecht zu tun (Genus-Sexus-Prinzip), sondern auch, warum mit einer geradezu aggressiven Sexifizierung der Sprache eine erstaunliche Prüderie einhergeht. In nahezu jedem Satz wird auf die (vermutete) Genitalität des Menschen Bezug genommen, und doch wird alles getan, dieselbe dem Blick zu entziehen.

Das Problem der Ungleichbehandlung der Menschen aufgrund der ihnen zugesprochenen Geschlechtlichkeit muss an seiner Wurzel angepackt werden. Nur ein unverstellter Blick auf den falschen Zwang, Identität und Geschlecht zu vermengen – auf ihm gründet die feministische Sprachkritik ebenso wie das Patriarchat, das sie zu Recht bekämpft –, kann Licht in das Für und Wider der sogenannten gendergerechten Sprache bringen. Wir brauchen daher einen ungezwungeneren Umgang mit unserer natürlichen Körperlichkeit – nur so lässt sich eine umfassende Emanzipation erreichen.

Der hier skizzierte Sachverhalt muss in die psycholinguistische Wissenschaft getragen werden. Es muss aufgezeigt werden, dass jeder gegenderte Ausdruck ein Freudscher Versprecher ist, ein Hinweis auf unsere Wünsche, die in unserer Kultur und Gesellschaft tief im Verborgenen liegen, aber doch an die Oberfläche der Wahrnehmbarkeit gelangen möchten. Die Tabuisierung eines nudistischen oder naturistischen Lebensstils ist deshalb der blinde Fleck, der beleuchtet werden muss, wenn wir wirklich die gegenwärtige Misere unserer patriarchalen Strukturen in Gesellschaft, Politik und Kultur auflösen wollen. Eine Sprache jedenfalls, die auf zugesprochenen Geschlechtsidentitäten gründet und diese in jedem Moment zum Ausdruck bringen möchte, wird die Ungleichbehandlung der Geschlechter nicht zu Fall bringen. Dazu braucht es vielmehr die bedingungslose Akzeptanz des Menschen ohne jegliche Scham für eben jene biologischen primären Merkmale, die, in Freuds Worten, im Über-Ich keinen Platz finden. Der Umgang mit und die Pflege der Sprache sollten daher im Zusammenhang mit dem gesellschaftlichen Umgang mit der Nacktheit stehen. Ich halte das für den bislang fehlenden Impuls, um den gegenwärtig verhärteten genderlinguistischen Diskurs auf fruchtbarem und für uns alle gewinnbringendem Boden fortzuführen.

 


Ulrich Thomas Wolfstädter, geb. 1976 in Freiburg im Breisgau, ist Gymnasiallehrer für Philosophie und Latein sowie freier Philosoph und Autor. In seiner kulturphilosophischen Schrift "Die Objektität des Bewusstseins", erschienen bei Frank & Timme 2021, begründet er eine neue Fassung der philosophischen Transzendentalmethodologie. Und ganz neu: "Krieg der Gendersterne", ebenfalls im Frank & Timme Verlag erschienen. Mehr zu Ulrich Wolfstädter finden Sie unter nudare-aude.com

 

 

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