Gastbeitrag von Gregor Taxacher "Theologischer Transhumanismus der anderen Art"

Ob befürchtet oder erhofft: Schon seit Jahren ist viel von Transhumanismus die Rede. Mit dem Begriff verbindet sich die Erwartung, dass künftige Technologien sogenannter künstlicher Intelligenz die Menschen weit über ihre derzeitigen natürlichen Möglichkeiten hinaus zu intellektuellen Leistungen, vernetztem Planen, in extremen Visionen gar zu unbegrenztem Leben befähigen werden. Diese neue Form eines technik-visionären Futurismus kann durchaus mit ökologischem Denken einhergehen. Der Historiker und Archäologe Ian Morris etwa geht davon aus, dass nur dieser Sprung über unsere natürlichen Beschränkungen hinaus die Menschheit in die Lage versetzen kann, die ökologische Krise zu überwinden.

Das neue Programm einer Überschreitung des Menschlichen (was trans-human ja wörtlich bedeutet) steht – bei Vertretern wie dem Philosophen Stefan Lorenz Sorgner ganz ausdrücklich – in der Tradition Friedrich Nietzsches und der Verkündigung seines literarischen Propheten Zarathustra vom Übermenschen. Entsprechend kritisch wird diese Vision meist in der Theologie aufgenommen: Bedeutet trans-human nicht auch die Verabschiedung des Humanismus und des häufig als dessen Wurzel beschworenen „christlichen Menschenbildes“?

Übersehen wird dabei meist, dass Nietzsches Übermensch-Prophetie bei allem anti-christlichen Gestus an eine Grundforderung abendländischen Denkens anknüpft, welches den Menschen als ein Projekt betrachtet, das sich selbst zu vervollkommnen, über sich hinaus zu wachsen hat. Gewiss streiten Religion und Aufklärung darum, ob dies eher nach oben oder nach vorn zu geschehen habe, jenseitig oder diesseitig orientiert. Aber das christliche Streben nach dem engelgleichen Leben in Himmel und das neuzeitliche nach einem natürliche Schranken stets fortschrittlich überschreitenden Leben haben doch gemeinsam, dass die Anforderung an den Menschen Abstoßung von seiner „bloßen Natur“, seiner biologischen Endlichkeit bedeutet.

Der neuste Transhumanismus betreibt deshalb auch eine Art Decarnation: Der in den Cyberspace erweiterte, durch KI aufgerüstete, vielleicht am Ende in einen digitalen Avatar transferierte Mensch emanzipiert sich von seinem Körper, von der fleischlichen Erdenschwere. Der transhumane Futurismus mag deshalb auch gedeutet werden als eine trotzige Antwort auf die darwinsche Beleidigung, die ihn zu einer Primatenspezies unter anderen, zum Tier unter Tieren „degradierte“.

Diese Anfechtung hat bekanntlich auch dem Christentum schwer zu schaffen gemacht – und tut dies vielen konservativen bis fundamentalistischen Christentümern bis heute. Aber auch ein moderner, ausdrücklich im Rahmen einer „evolutionären Weltanschauung“ denkender Theologe wie Karl Rahner konnte es als größte Gefahr des Menschen betrachten, wenn der sich damit zufriedengäbe, ein „findiges Tier“ zu sein. Ist es doch seine Berufung, zu transzendieren. Christlicher Trans-Humanismus!

„Transzendenz“ ist wohl eine der schillerndsten Chiffren moderner Theologie. Wohin transzendieren? „Die erkenntnistheoretische ist nicht die wirkliche Transzendenz“, schrieb Dietrich Bonhoeffer in der Haft. Diese sei vielmehr der/die andere, die reale soziale Transzendenz. Aber kann dies beim Menschen exklusiv stehen bleiben? Ist die umfassende ökologische Krise der Gegenwart nicht die Folge eines solchen humanen Exklusivismus, eines Anthropozentrismus?

Derzeit bricht auch in der Theologie die Erkenntnis auf, dass es eines Transhumanismus der anderen Art, wörtlich: nämlich der Überschreitung unserer Art, der Überwindung unseres Speziesismus bedarf. Ich bin froh, zu einer sich allmählich formierenden theologische Community gestoßen zu sein, welche umfassend (und nicht nur in einigen schöpfungstheologischen oder ethischen Reservaten) über die Anthropo-Dezentrierung (wie es der Bonner Theologe Andreas Krebs formuliert) des Denkens forscht. Gemeinsamen Fragens und denkerischen Experimentierens bedarf es dazu, stellt doch diese reale Transzendenz in die Schöpfung hinein zentrale verfestigte Traditionsbestände auf den Prüfstand – deckt auch die wirkungsvolle Brutalität religiösen, auch theo-logischen Exzeptionalismus‘ auf. Wer in die Werkstatt dieser Bemühungen blicken mag, kann dies in diesem Winterhalbjahr in einer offenen Online-Ringvorlesung über „Animate Theologies“ und kommenden Sommer auf einer Konferenz in Dresden. Zwischenergebnisse dieser Suchbewegung werden künftig in einer Schriftenreihe der WBG gebündelt. Ich bin überzeugt, dass sich ein wirklicher Humanismus nur auf diese Weise – trans-human - bewahrheiten lässt.

 


 

 

Dr. habil. Gregor Taxacher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Katholische Theologie der TU Dortmund.

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