Gastbeitrag von Manfred Schumann: Das Olympia Attentat München 1972. Was war geschehen und wie habe ich diesen Tag erlebt.

Gastbeitrag von Manfred Schumann, 1972 olympischer 110m-Hürdenläufer.

 

Die Olympischen Spiele waren voll in Gange und die Begeisterung war nicht zu übertreffen. Ich habe leider im Vorlauf voll vergurkt und war nach Tagen immer noch frustriert. Meine Form war auf dem Höhepunkt und ich war super motiviert. Meine Erwartungen waren jedoch von mir nicht so hoch geschraubt, denn ich war vor den Spielen ein halbes Jahr mit einem Muskelriss im Oberschenkel außer Gefecht gesetzt worden.

Davor lief ich Europarekord in der Halle über 60m Hürden und wurde Vizeeuropameister über 60m Hürden, nur 4/100 Sekunden geschlagen von dem Franzosen Drut, der zu diesem Zeitpunkt das Maß aller Dinge war im Hürdensprint. Aber, es war die Uhr nicht zurückzudrehen. Die Spiele liefen, ich war draußen aus meinem Wettbewerb und hatte Freizeit. Was macht man in seiner Freizeit bei Olympia? Natürlich andere Wettbewerbe anschauen, neue Freundschaften knüpfen sich mit bestehenden Freunden und Mannschaftskollegen im Olympischen Dorf treffen und Meinungen auszutauschen und zu fachsimpeln so wie auch sich freuen, wenn einer der Kollegen ein gutes, oder sogar ein sehr gutes Resultat geschafft hat und so mancher Athlet wuchs über sich hinaus. Nichts deutete darauf hin, was dann in der Nacht auf den 4./5. September passieren sollte - alles fühlte sich ganz normal an.

Meine Nacht verlief jedenfalls ruhig und ich hatte hervorragend geschlafen. Es klopfte an der Tür unseres Apartments und ein Zehnkampf Kollege kam herein. Etwas bleich im Gesicht und sichtlich erregt. Er wollte seine Neuigkeit loswerden, die er erfahren hatte. Gerade hatte er erfahren, dass die Israelischen Sportler während der Nacht überfallen worden waren und das es auch geschossen wurde. Hansi Perk, ein Zehnkampf Kollege sprach davon, dass es Tote gegeben haben soll.

Wir drei Hürdenkollegen (Günter Nickel, Eckart Berkes und ich) waren sprachlos, es fehlte jedem die Kraft, ein Wort zu sagen. Selbst das Wort mit den acht Buchstaben, dass man in so einer Situation sagt, kam niemanden über die Lippen. Wir waren sehr betroffen, sehr ruhig und in sich gekehrt.

Schnell machten wir uns frisch und zogen unsere Bekleidung an und fuhren mit dem Aufzug nach unten. Gespannt, was wir jetzt zu hören, gingen wir zum Meeting Point, der als allgemeiner Treffpunkt galt. Mannschaftskollegen, ausländische Athleten blieben stehen und alle sprachen miteinander. Jedoch wusste bis zu diesem Zeitpunkt niemand, was wirklich geschah in der vergangenen Nacht.

Während wir in unseren Apartments schliefen wurden unsere Israelischen Sportfreunde mit einer unfassbaren Brutalität aus Ihrem Schlaf gerissen, manche sogar aus ihrem Leben. Der 5. September 1972 wurde zum Wendepunkt. Tatsächlich wurden elf unserer Sportkollegen ermordet. Der Überfall in München bei der größten Sportveranstaltung der Welt, prägte mit diesem Datum die Zeitgeschichte, war und wird immer präsent sein.

Im Laufe der nächsten Stunden und besser informiert hat die Tatsache, dass 11 Sportkollegen und Trainer der israelischen Mannschaft erschossen wurden, jeden schwer getroffen. Das regte alle Athleten an zu überlegen, ob er die Spiele verlassen sollte. Einige setzten es in die Tat um und fuhren nach Hause. Das war jedoch für mich kein Thema, weil ich einfach dabeibleiben wollte, wenn die Olympischen Spiele weiterlaufen und ich sah mich bestätigt durch die Entscheidung der Politik, die Spiele weiterlaufen zu lassen. Der 5. September nahm danach seinen Lauf. Ein einschneidendes Erlebnis musste verarbeitet werden und jeder tat es auf seine Art.

Es sind jetzt 50 Jahre vergangen und der Alltag hat uns fünfzig Jahre in seinen Ablauf wieder eingebunden. Ich denke nicht mehr automatisch an diesen tragischen Tag, der in München geschah - werde jedoch immer an diesen Tag erinnert durch meinen Terminkalender… dann war es wieder da. Denn es hat sich eingeprägt in meinem Kopf und ich denke auch in die Köpfe aller damaligen Athleten, die mit dabei waren - bei den Olympischen Spielen 1972 in München.

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  • Spannender Beitrag

    Lieber Herr Schumann, liebe wbg,

    vielen Dank für diesen super persönlichen Beitrag aus erster Hand.

    Gruß aus Berlin

    Frank Zarrentin

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