Gastbeitrag von Michael Holzmann: "Franz J. Huber - Opportunist ohne Reue."

Dieser Mensch lässt mich auch nach Abschluss meines Buches nicht los. Sein Opportunismus, seine Dreistigkeit, und seine Unfähigkeit zur Einsicht schuldhafter Verstrickungen geben mir ständig neue Rätsel auf.

Franz Josef Huber, 1902 in München geboren, war sicher kein Nationalsozialist. Aber er kam ihren Eingebungen im Laufe des NS-Regimes immer näher. Er stammte aus einer bayerisch-schwäbischen Familie, die stets strenge Maßstäbe tiefer katholischer Frömmigkeit hochgehalten hatte. Sein voller Name lautete denn auch Joseph Franz von Paula (genannt Franz Josef) Huber und bezog sich auf Franz von Paola (27.3.1416−2.4.1507), Eremit aus Mittelitalien, Gründer des spirituellen Paulaner-Ordens und Heiliger.

Als Beamter der Politischen Polizei im Münchner Polizeipräsidium hatte er die NSDAP vehement bekämpft und für Verurteilungen und Haftstrafen zahlreicher NSDAP- und SA-Aktivisten gesorgt. Als Himmler und Heydrich im März 1933 zunächst das Polizeipräsidium München übernahmen, bangte er um seine fristlose Entlassung. Doch zu seiner Überraschung bestanden Himmler und Heydrich darauf, dass er gerade wegen seiner bisherigen erfolgreichen Arbeit weitermachen solle. Himmler soll ihm attestiert haben, dass er „in den Kreisen der Partei die üblen Gesellen kenne“.

Schnell erkannte Huber, dass er sich den Wünschen der neuen Herren fügen musste, wenn er seine Existenz behalten wollte. Zugleich sah er, welche Karriere-Aussichten ihm im NS-System offenstanden. Vom Polizei-Sekretär stieg er rasch bis zum Oberregierungsrat in der Gestapo auf. Schnell überwand er seine Bedenken, die schwarze SS-Uniform, den „Totenkopfring“ für höhere SS-Offiziere zu tragen und in seiner Wohnung demonstrativ einen „Julleuchter“ zu präsentieren.

Als Leiter des Gestapo-Referats II1C (ö) [österreichische Angelegenheiten] war er im März 1938 geradezu prädestiniert, seine erfolgreiche Tätigkeit auch im eben annektierten Österreich fortzusetzen. So wurde er umgehend Chef der Gestapoleitstelle Wien. Er war verantwortlich für alle verbrecherischen Methoden dieser Geheimpolizei: willkürliche Verhaftungen, Brechung des Willens, Entrechtung und Enteignung, Deportation der Juden, hemmungslose Anwendung der Folter, stets mit Tod bedrohte Einweisung in KZ, für die KZ-Gestapo im KZ Mauthausen und für den Einsatz von Spitzeln. In den sieben Jahren der NS-Herrschaft in Österreich gerieten 50.000 Menschen in das Räderwerk von Hubers Apparat, allein 6.300 Festnahmefälle mit kommunistischem Hintergrund führten zu 364 Todesurteilen. Die von Eichmann in Österreich organisierte Ausschaltung der jüdischen Bevölkerung war nur mit der Unterstützung der Gestapo durchführbar. Huber war dadurch unmittelbar beteiligt und verantwortlich und wurde von Heydrich und Himmler mehrfach ausdrücklich belobigt- und er stieg weiter auf. Zuletzt war er SS-Brigadeführer und "General der Polizei". Huber verstand es erstklassig, Schmutzarbeit seinen nachgeordneten Mitarbeitern zu übertragen und nach Kriegsende seine Hände in Unschuld zu waschen.

Die Amerikaner interessierten sich nach dem Kriegsende nur für den Verbleib von Heinrich Müller, Gesamtleiter der Gestapo und persönlicher Duzfreund Hubers, später auch für Hubers Wissen zu sowjetischen Geheimdiensten und deren Satellitenstaaten. Selbst ein Steckbrief aus Wien, Hubers Aufnahme in die erste österreichische „Kriegsverbrecherliste“ und ein im September 1947 erlassener Haftbefehl bewirkten seine Auslieferung nach Österreich nicht. Das CIC und später die CIA unternahmen offensichtlich alles, um bayerische Fahndungsmaßnahmen und ein österreichisches Auslieferungsgesuch zu unterlaufen.

Eine Spruchkammer verurteilte ihn im Januar 1949 zu einer lächerlichen Strafe. Als der Ankläger Revision einlegte und im November 1949 ein härteres Urteil erging, entzog sich Huber, indem er sich in ein Leben im Untergrund absetzte. Einträge in CIA-Unterlagen zeigen, dass Hubers Verhalten von den US-Instanzen dort widerspruchslos geduldet wurde. Polizeiliche Fahndungsmaßnahmen verliefen ergebnislos, weil Huber offensichtlich rechtzeitig gewarnt wurde. Dennoch war Huber dreist genug, in dieser Zeit Möbel über die Münchner Adresse seiner Familie zu bestellen.

Seit 1950 bestanden Kontakte zur Organisation Gehlen und zur CIA. Huber, der immer noch abgetaucht war, konnte beiden eine nachrichtendienstliche Operation schmackhaft machen, die nur ein Phantasie-Produkt Hubers war und zu keiner Zeit reell verwirklicht werden konnte. Als der Schwindel offenkundig wurde und sich Hubers Prognosen nicht bewahrheiteten, zog ihn niemand zur Rechenschaft. Und es wurde noch rätselhafter: Seit Mitte 1955 liefen Gespräche über eine Übernahme Hubers in ein hauptamtliches Arbeitsverhältnis in der „Org.“ bzw. im BND. Erst 1957 kam eine eindeutige Beschäftigung zustande. Aufgrund seiner Belastungen übernahm er Aufgaben, die fern seines Horizonts in der Gestapo lagen. Er wurde so behandelt, wie er bis März 1933 im Polizeipräsidium München eingestuft worden war.

Die feste Anstellung beim BND bot Huber nicht nur eine bürgerliche Existenz, sondern auch die Gewissheit, vor ernsthaften Nachstellungen der Ermittlungsbehörden sicher sein zu können. Und so erlaubte er sich einen Ausflug in persönliche Eitelkeiten, als er sich im Herbst 1959, 20 Jahre nach dem gescheiterten Attentatsversuch des Kunstschreiners Georg Elser im Münchner Bürgerbräukeller, in einer Artikelserie eines Massenblattes als erfolgreicher Täterermittler und „Kriminaldirektor“ präsentierte. Der Auftritt blieb für Huber ohne Konsequenzen, man übersah die Episode oder duldete sie geflissentlich.

Dennoch muss sein Gefühl der Unantastbarkeit ab Mitte 1960 abgebrochen sein. Eichmanns Entführung nach Israel und sein Prozess in Jerusalem musste Huber alarmieren. Und deutsche Ermittlungsbehörden begannen sich für ihn zu interessieren. Im BND löste die Verhaftung des KGB-Spions Heinz Felfe Untersuchungen aus, von denen auch Huber betroffen war. Man erkannte, dass im BND etliche Mitarbeiter mit NS-Belastungen beschäftigt waren. Zur Untersuchung von etwa 170 Personen richtete der BND die „Dienststelle 85 (Politische Überprüfung)“ ein. Im Falle Hubers stand Anfang 1964 fest, er sei wegen seiner früheren Tätigkeiten „als Angestellter im öffentlichen Dienst … nicht tragbar“ und müsse daher umgehend aus dem BND entlassen werden. Die arbeitsrechtlich verworrenen Anstellungsbedingungen führten aber dazu, dass Huber lediglich beurlaubt wurde und bis Januar 1967, als er die Altersgrenze regulär erreichte, weiterhin seine vollen Bezüge erhielt.

Und hier kehren wir zur ursprünglichen Fragestellung zurück. Huber war sicher kein fanatischer NSDAP-Anhänger, aber er näherte sich deren Gehabe stetig an. Nationalsozialisten neigten gern zu merkwürdigen Gemütsregungen: Angst um die Existenz und Altersversorgung sowie Suche nach Anerkennung für den ach so selbstlosen Dienst an einem abstrus überhöhten Vaterland. Dafür erhoffte man Dank und Anerkennung, am besten in Form einträglicher und sicherer Posten. Viele NS-Parteigänger sahen sich als „nationale Revolutionäre“ – aber bitte mit Anspruch auf öffentliche Versorgung. „Desperados mit Pensionsanspruch“ nannte sie Joachim C. Fest. Ausgeprägtes Selbstmitleid über angebliche erbrachte Opfer und empfundene Existenzvernichtung prägten auch das Weltbild Hubers in der Nachkriegszeit. Und in dieser Hinsicht war er tatsächlich zum Nationalsozialisten mutiert.

 



Michael E. Holzmann studierte Geschichte, Politik und Germanistik mit Schwerpunkt 20. Jahrhundert. Bis 2019 war er Beamter im Bundesdienst. Er lebt in der Nähe von München.

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