Die mediterrane Schönheit der Landschaft am Golf von Neapel wird seit der Antike gepriesen. Sogar in farbenreichen Schilderungen historischer Vesuvausbrüche und ihrer tödlichen Dramatik wurde sie gesehen. Junge neue Forschungen veranschaulichen Pompejis antikes Leben und sein brutales Ende immer genauer. Mittelmeerweit ist der Neapel-Golf top-touristisches Highlight. Man sieht ihn als eines der unverändert kulturellen Zentren des Mittelmeerraumes. Ein tieferer Blick in die Hintergründe der Landschaften am Golf von Neapel zeigt aber ein anderes Bild: Vielschichtige Veränderungen, die visuell nicht sofort durchschaubar sind.
Wie könnte man diese Veränderungen erfassen? Die Antwort ist schwierig. Denn Landschaft ist der sichtbare Ausdruck vieler für die Bewohner eines Gebietes wesentlicher Grundlagen ihrer Existenz: Primär wichtig sind Klima, Relief, Boden und die auf ihnen basierenden Geoökosysteme. Deren Leistungsfähigkeit steuert die wirtschaftliche Inwertsetzung einer Region. Alle hier lebenden Menschen agieren sozial und wirtschaftlich sehr unterschiedlich. Ihre Verhaltensweisen werden durch individuelle und gruppenspezifische Leitbilder und Wertvorstellungen geprägt. Sie sind wiederum durch aktuelle politisch-rechtliche Bedingungen und historisch vorgegebene Strukturen eingeengt.
Seit den 1960er Jahren veränderten sich die Daseinsformen der Bauern unterhalb der Vesuvhänge schrittweise grundlegend. Der Verfasser verfolgte seit dieser Zeit aus wirtschafts- und sozialgeographischer Sicht den Wandel der Lebenswelten in diesem mittelmeerweit dicht besiedelten Küstengebiet. Empirische Erhebungen vor Ort, Gespräche, Fallstudien, systematische Interviews, Nutzungskartierungen auf Katasterbasis und ortsfeste Fotovergleiche ergaben im Abstand je einiger Jahre Querschnittsanalysen. Diese vorerst zeitlich begrenzten Studien in eine Längsschnittbetrachtung einzuordnen führte zur Konzeption des Buches Golf von Neapel. Methodisch liegt ihr eine historisch-geographische Betrachtungsweise zugrunde. Bilder und Karten zeigen die anfangs noch fast urtümliche Landnutzung mit sommerlicher Monokultur-Bewässerung, winterlicher Gemüsevielfalt und Rebgirlanden am trockenen Vesuvhang. Von oft weniger als einem Hektar Vulkanboden lebte eine Mehrgenerationenfamilie. Einen ersten Umbruch verursachte die saisonale Arbeit in Norditalien und besonders die zunächst nur befristet geplante „Gastarbeit“ in Deutschland. Der höchst arbeitsintensive Gemüse-Anbau musste vereinfacht werden. Das zum Ausgleich in der Fremde verdiente Geld diente der Modernisieung der traditionellen Gehöfte. Gegenseitige Hilfe, aber auch nachbarlicher Wettbewerb – durch die Zahl der Stockwerke sichtbar – wandelte die Wohnumwelt. Diese Anfänge führten schnell zu flächenhafter Bautätigkeit, ihre zunehmende Dichte zu Verstädterung. Oft fehlte kommunale Planung. Landwirtschaftliche und gewerbliche Nutzungskonkurrenz auf ehemaligen Feldern trieben die Bodenpreise hoch. Das Ausscheiden der jüngeren Generation aus der Landwirtschaft mündete in soziale Urbanisierung auch in ländlichen Gebieten. Fotodokumentation sowie Vergleiche von Luft- und Satellitenbildern zeigen diesen Landschaftswandel. Die Hintergründe durch Kapitaltransfer, Geldwäsche, Politikversagen, die anhaltende Abseitslage des Mezzogiorno innerhalb Italiens und die Macht der Camorra sowie gruppenspezifische Konflikte erkennt man nicht sofort, aber dann als entscheidende Ursachen. Alle diese Prozesse veränderten die Landschaft des Vesuvumlandes unterschiedlich. In der vorliegenden Studie wurden sieben ausgewählte Gebiete besonders analysiert. Es war eine spannende wissenschaftliche Erfahrung, diesen variantenreichen Prozessen der Verstädterung und der sozialen Differenzierung über viele Jahre nachzuspüren.