Karl Marx und der Wert und die Entfremdung der Arbeit

Die grundsätzliche Bedeutung der Arbeit bei Marx

Nach Marx sei es naturgegeben, dass arbeitende Menschen konkrete Tätigkeiten ausführen und somit an sich eine zweckmäßige oder zielgerichtete Arbeit leisten. Kennzeichen dieser Form der Arbeit sei die Individualität des Zweckes und des Zieles des eigenen Überlebens, wie so z.B. die Erlangung von Nahrung bzw. die Modifizierung der Umwelt zum Überleben.

Diese Naturgegebenheit spielt eine erhebliche Rolle in dem Denken von Marx und Engels. In der grundlegenden Überlegung, was den Menschen an sich ausmache, sind beide der Auffassung, dass er zur Befriedigung seiner Bedürfnisse in die Natur eingreifen würde bzw. die Rohstoffe verändern müsse. Das bedeutet in der Hinsicht, dass der Mensch zum Überleben modifizieren bzw. produzieren müsste und dieses wäre die Grundform aller Arbeit. So hätten Mensch wie Tier in der Hinsicht gemein, dass ihr Wesen durch die materiellen Lebensbedingungen bestimmt ist. Somit bestimmt das Wesen des Menschen die Weise, in der produziert wird und so ist das Wesen vom Menschen abhängig vom Wesen der Produktion. Das Wesen der menschlichen Existenz sei in der Fähigkeit des Menschen zu sehen, seine Umwelt schöpferisch und frei zu gestalten. So ist für den Menschen die Arbeit die Universalkategorie der Existenz. Erst dadurch trennte sich der Mensch vom Tier, indem er anfing, seine eigenen Lebensmittel aktiv zu produzieren. (1)

Ware „Arbeitskraft“

Für Marx ist jeglicher Wert von Waren durch Arbeit bestimmbar. Doch auch die der Arbeit selbst gilt als Ware, denn in dem Moment, in welchem der Arbeit Warencharakter zugesprochen werden soll, darf nicht der Wert der Arbeit bestimmt werden, sondern der Wert der Arbeitskraft. Dieser besteht in den Produktionskosten des Arbeiters selbst. In der kapitalistischen Gesellschaft bestehen diese aus den Lebenserhaltungskosten bzw. in den notwendigen Kosten für die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit des Arbeiters. So besteht die Produktion der Ware Arbeitskraft in ihrer Reproduktion. (2)

Die im Kapitalismus Warencharakter annehmende Arbeitskraft war in dem Sinne eine dem Arbeiter gehörende Ware, welche er dem Kapitalisten verkauft. So entsteht die Form der Lohnarbeit. Und jener Wert wird nun genauso bestimmt wie bei allen anderen Waren auch und zwar an der Messung der zur Produktion bzw. Reproduktion notwendigen Arbeitszeit. (3) Marx selbst versteht hierbei die Summe dessen, was allein der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit dient wie Nahrung, Kleidung oder Miete wie auch die Versorgung der Familie des Arbeiters. Die Versorgung der Familie hat aber auch einen weiteren Grund, denn in ihr sieht Marx den Ort, an welchem durch Nachwuchs neue potentielle Arbeitskraft „produziert“ wird. So ist als Ware in dieser Hinsicht nicht die Arbeit selbst zu sehen, sondern lediglich die Arbeitskraft, welche vom Arbeiter an den Kapitalisten verkauft wird. Marx spricht auch davon, dass der Kapitalist den Arbeiter für den jeweiligen Arbeitszeitraum „mietet“, dieser dann die gestellten Aufgaben erfüllt und so schließlich die Arbeitskraft gekauft wird.

Dass der Arbeiter keine Arbeit verkauft, sondern lediglich Arbeitskraft, ist sehr wichtig zu unterscheiden. So ist auch nicht von den Produktionskosten der Arbeit zu sprechen, sondern von den Produktionskosten der Arbeitskraft und somit auch nur zunächst vom Wert der Arbeitskraft.

Um dieses Unterschied zwischen Arbeit und Arbeitskraft zu verdeutlichen, sind zunächst die Bedingungen des sogenannten Äquivalententausches zu erläutern. Marx bezieht sich zunächst auf die Feststellung, dass im sogenannten Äquivalententausch des Geldes zwischen Unternehmern an sich kein Gewinn entstehen kann. Doch ist es eine Tatsache dass dem Kapitalisten sehr wohl Gewinn in irgendeiner Weise entsteht. (4)

Die ökonomische Formel „Geld – Ware – „Mehr“ Geld“ bzw. „G – W – G2 als „besondere Zirkulationsform des Geldes“ soll nun durch die Analyse des Produktionsprozesses erklärt werden, welche auf den sogenannten Mehrwert zielt.

Der Unternehmer bzw. Kapitalist muss auf dem bestehenden Markt eine Ware finden, welche selbst „Quelle von Wert“ ist, also eine wertschaffende Ware. Und diese ist in der Ware „Arbeitskraft“ zu finden. Der Kern dessen liegt darin, dass der Arbeiter in der Lage ist, G2 zu produzieren, da der Wert der Arbeitskraft geringer ist als das Produkt, das sie erschafft oder anders ausgedrückt: so ist sie die Quelle von mehr Wert, als sie selbst besitzt. (5) Als Grundvoraussetzung des Kapitalismus selbst steht hierbei jedoch die sogenannte doppelte Freiheit des Lohnarbeiters, denn er muss zum einen persönlich frei sein,  um so seine Arbeitskraft verkaufen zu können bzw. dürfen und zum anderen muss er „frei“ von Produktionsmitteln sein, um seine Arbeitskraft verkaufen zu müssen. (6)

Widerspruch der Arbeit

Der Arbeiter bekommt einen Lohn für seine Arbeitskraft, welche in der Regel dem entspricht, was der Arbeiter benötigt um sich bzw. seine Familie zu ernähren, um so aber auch seine Arbeitskraft zu erhalten, um weiter dem Kapitalisten zur Verfügung zu stehen. Dass der Unternehmer dem Arbeiter einen Lohn zahlt, hat aber die notwendige Voraussetzung, dass der Arbeiter mehr Wert erzeugt durch seine Arbeit, als er für seine Arbeitskraft bezahlt bekommt. Dieses geschieht durch die Mehrarbeit.

Nehmen wir an, ein Arbeiter benötigt 4 Stunden, um quasi den Wert zu erzeugen, welchem ihm für 8 Stunden Arbeit bezahlt wird, so ist die Differenz zwischen der Wert der Arbeit und dem Wert der Arbeitskraft (Lohn) der Mehrwert. Es ist somit für den Arbeiter unerheblich, ob er in den 8 Stunden vielleicht auch nur 3 Stunden benötigt (z.B. durch den Einsatz verbesserter Maschinen), um den Wert des ausbezahlten Lohnes zu erzeugen, denn der Mehrwert geht stets am Arbeiter vorbei. Der Widerspruch zeigt sich anhand unseres Beispieles in folgender Definition: Die 4 Stunden, welcher der Arbeiter benötigt, um den Wert seines ausbezahlten Lohnes zu erwirtschaften, ist die notwendige Arbeitszeit. Da er aber für 8 Stunden bezahlt wurde, verrichtet der Arbeiter weitere 4 Stunden Mehrarbeit, aus dem der Mehrwert entsteht. Man kann somit sagen, dass in dem Teil des Arbeitstages in Form der Mehrarbeit umsonst gearbeitet wurde. Ein Teil des Arbeitstages wird dem Wert der Arbeit nach bezahlt, der andere nicht.

Die Teilung von notwendiger Arbeitszeit und Mehrarbeit zeigt den Widerspruch der Arbeit im Kapitalismus. Marx kommt so zur Mehrwertrate, welche er mit der Formel m / v bzw. Mehrarbeitszeit geteilt durch notwendige Arbeitszeit beschreibt.

So ergibt der Wert der Arbeitskraft plus den Mehrwert zusammen den Wert der Arbeit. Der Arbeiter hat mehr Wert geschaffen, als ihm bezahlt wurde oder der Kapitalist mehr Wert der Arbeit einbehalten, als er selbst geschaffen hat. (7)

Entfremdung der Arbeit

Die Entfremdung der Arbeit im Kapitalismus ist eine der zentralen Theorien der Marxschen Philosophie. Erstens hat die Arbeit des Arbeiters oder das Produkt des Produzierenden für den Arbeiter selbst die alleinige Funktion, seine Arbeitskraft reproduzieren zu können. Es fördert weder den Reichtum bzw. Wohlstand des Arbeiters, sondern der alleinige unmittelbare Sinn ist das Überleben, welcher in der Arbeit zu finden ist. Paradox daran ist nun, dass derjenige, welcher zum einen nicht arbeitet bzw. produziert und zum zweiten der Eigentümer der Produktionsmittel ist, gleichzeitig derjenige ist, welcher durch den Arbeiter an Kapital gewinnt. Später spricht Marx auch davon, dass unter Umständen der Arbeiter nicht nur nicht durch die Arbeit profitiert, sondern sogar im Gegenteil Nachteile erhalten kann. Dieses geschehe unter anderem durch das Phänomen der Kapitalakkumulation bzw. die Anhäufung. Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei (...) auf dem Gegenpol (...).“ Marx, Karl: Kapital I, MEW 23, 675 (8) Jedenfalls definiert Marx die produktive Arbeit im Kapitalismus als Arbeit, welche  Mehrwert produziert, welches wiederum lediglich den Kapitalisten zu Gute kommen würde. (9)

Zweitens besteht für Marx die Besonderheit der Arbeit im Kapitalismus, dass die Arbeit nicht mehr zum Wesen des Arbeiters gehört, also „äußerlich“ vom Arbeiter steht. Der Arbeiter lebe getrennt bzw. außerhalb der Arbeit.

Der Arbeiter verneine sich selbst durch seine Arbeit und befriedige nicht, wie es an sich sein sollte, seine eigenen Bedürfnisse, sondern sie sei ein Mittel, „um Bedürfnisse außer ihr zu befriedigen“. (10)

Dazu kommt, dass das Produkt nicht mehr dem gehört, der es produziert hat, sondern es wird angeeignet von demjenigen, der zum einen die zur Produktion notwendigen Produktionsmittel wie zum anderen das Kapital zum Kauf von Arbeitskraft besitzt. So ist auch zu berücksichtigen, dass im größeren Maßstab das Proletariat als produzierende Klasse keinen Besitz an den Produkten hat, da die von der nicht-produzierenden Klasse, der Kapitalisten, angeeignet werden.

Im Kern dieser „entfremdeten Arbeit“ der Marxschen Philosophie (11) ist noch beizufügen, dass das Produkt, welches vom Arbeiter geschaffen wurde, ihn schließlich nicht nur nicht gehören würde, sondern im Gegenteil ihn auch noch beherrschen würde. Hierbei ist wichtig zu beachten, dass Marx durchgehend von einem unfreiwilligen Charakter der Lohnarbeit spricht, ja sogar von Zwangsarbeit, welche unfreier als feudalistische Sklavenarbeit sei. (12)

Drittens und letztens sind Arbeiter oder die Ware Arbeitskraft lediglich unmittelbares Verwertungsmittel des Kapitals und so ist produktive Arbeit die strukturelle Quelle der eigenen Beherrschung.

„Produktiver Arbeiter zu sein ist daher kein Glück, sondern ein Pech“. (13) So produziert die Arbeiterklasse, nach Marx, selbst das Elend, in welchem sie sich befindet. Anstatt eine mögliche zukünftige Gesellschaft zu verkörpern oder zu ermöglichen, bildet sie die notwendige Grundlage derjenigen Gesellschaft, unter der sie leidet, nämlich der gegenwärtigen. (14)

 

Von Thorsten Jacob


[1] Schleifstein, Josef. Einführung in das Studium von Marx, Engels und Lenin. S. 66 f.

[2] Krause, Ulrich: Geld und abstrakte Arbeit. S.122.

[3] „Die Existenz des Individuums gegeben, besteht die Produktion der Arbeitskraft in seiner eignen Reproduktion oder Erhaltung. (...) Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel.“ Marx, Karl: Kapital I, MEW 23, 185.

[4] „Kapital kann also nicht aus der Zirkulation entspringen, und es kann ebensowenig aus der Zirkulation nicht entspringen. Es muß zugleich in ihr und nicht in ihr entspringen.“ Marx, Karl: Kapital I, MEW 23, 180.

[5] Marx, Karl: Kapital I, MEW 23, 181.

[6] Marx, Karl: Kapital I, MEW 23, 182.

[7] Fetscher, Iring: Marx. S. 106 ff.

[8] „Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei (...) auf dem Gegenpol (...).“ Marx, Karl: Kapital I, MEW 23, 675.

[9] „Die kapitalistische Produktion ist nicht nur Produktion von Ware, sie ist wesentlich Produktion von Mehrwert. Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern für das Kapital. Es genügt daher nicht länger, dass er überhaupt produziert. Er muss Mehrwert produzieren.“ Marx, Karl: Kapital I, MEW 23, 532.

[10] Marx, Karl: Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844, MEW Ergänzungsband I: 514.

[11] Schleifstein, Josef. Einführung in das Studium von Marx, Engels und Lenin. S. 100.

[12] Heinrich, Michael : Die Wissenschaft vom Wert. S. 98.

[13] Marx, Karl: Kapital I, MEW 23, 532.

[14] „Der Arbeiter selbst produziert daher beständig den objektiven Reichtum als Kapital, ihm fremde, ihn beherrschende und ausbeutende Macht, und der Kapitalist produziert ebenso beständig die Arbeitskraft als subjektive, von ihren eignen Vergegenständlichungs- und Verwirklichungsmittelngetrennte, abstrakte, in der bloßen Leiblichkeit des Arbeiters existierende Reichtumsquelle, kurz den Arbeiter als Lohnarbeiter.“  Marx, Karl: Kapital I, MEW 23, 596.

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