Druckfrisch Bestseller-Listen vom 17.03.2019

Literaturkritiker Denis Scheck bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“ (nächste Sendung 5. Mai, 23:35 Uhr).

 

Platz 10: Nele Neuhaus: ›Muttertag‹ (Ullstein, 560 S. 22 €)

Ein ungeliebtes Heimkind bringt als Erwachsener seine Opfer mit Vorliebe am Muttertag um. Krimikonfektionsware, so langweilig wie ein Muttertagsgedicht.

 

Platz 9: Don Winslow: ›Jahre des Jägers‹ (Deutsch von Conny Lösch, Droemer, 991 S., 26 €)

Als Abschluß seiner epischen Drogen-Trilogie läßt Don Winslow seinen Ernittler Art Keller zum Direktor der Drug Enforcement Administration aufsteigen – und dort gegen einen Präsidenten agieren, der ein kaum verhülltes Portrait Donald Trumps ist. Am Ende dieses apokalyptischen Sittengemäldes der durch Drogen zerrütteten USA in Form eines Thrillers läßt Winslow Keller denken: „Auf beiden Seiten der Grenze regieren jetzt brutale, dumme Männer. Aber eine Mauer gibt es nicht“.

 

Platz 8: Michel Houllebecq: ›Serotonin‹ (Deutsch von Stephan Kleiner, DuMont, 320 S. 24 €)

Der Held im neuen Roman des Berufsprovokateurs Michel Houllebecq erhält von seinem Arzt eine niederschmetternde Diagnose: „Ich habe den Eindruck, Sie sind sind schlicht dabei, vor Kummer zu sterben.“ Ursache dafür ist die durch eine Nebenwirkung seines Antidepressivums verlöschende Libido unseres Ich-Erzählers. Ist Michel Houllebecq ein neurechter Schwulen- und Frauenhasser wie sein Erzähler? Keine Ahnung. Aber selbst wenn, ändert das nichts an der literarischen Qualität dieses Romans, in dem Houllebecq mit bewährtem seismographischem Gespür für Lagen und Stimmungen eine ebenso unterhaltsame wie einsichtsreiche Gesellschaftsanalyse gelungen ist.

 

Platz 7: T.C. Boyle: ›Das Licht‹ (Deutsch von Dirk van Gunsteren, Hanser, 380 S. 25 €)

Am Beispiel des jungen Paars Joanie und Fitz aus dem Umfeld des Drogen-Professors Timothy Leary fragt T.C. Boyle, was eine ganze Generation dazu gebracht hat, ihr Heil in der Einnahme bewußtseinsverändernder Substanzen zu suchen und im LSD, Zitat, „das einzige bekannte Mittel gegen das Gift der Welt“ zu sehen. Ein intelligenter, unterhaltender Roman über den Versuch, aus Pillen eine Religion zu machen.

 

Platz 6: Julian Barnes: ›Die einzige Geschichte‹ (Deutsch von Gertraude Krüger, 304 S., 22 €)

Welcher gesellschaftliche Sprengstoff darin steckt, wenn sich Ende der 60er Jahre eine Frau in einen dreißig Jahre jüngeren Mann verliebt, erzählt Julian Barnes in diesem hinreißenden modernen Liebesroman. Schon nach dem ersten Satz - „Würden Sie lieber mehr lieben und dafür mehr leiden oder weniger lieben und weniger leiden?“ – hängt man am Haken dieses meisterlichen Erzählers.

 

Platz 5: Dörte Hansen: ›Mittagsstunde‹ (Penguin, 320 S., 22 €)

In ihrem exzellenten zweiten Roman schildert Dörte Hansen das Verschwinden einer Lebensform, die über viele Jahrhunderte das Dasein der Deutschen bestimmt hat: das Aussterben des deutschen Dorfs.

 

Platz 4: Ferdinand von Schirach: ›Kaffee und Zigaretten‹ (Luchterhand, 191 S., 20 €)

Oft haben mich die Bücher des so erfolgreichen deutschen Autors Ferdinand von Schirach enttäuscht, weil sie mir zu kalkuliert, zu sehr auf Effekt geschrieben erschienen. Dieses nur durch die Persönlichkeit des Autors zusammengehaltene Buch mit literarischen Anekdoten, Geschichten und autobiographischen Erzählungen ist aber auf so unangestrengte Art geistreich und kurzweilig, daß ich mich sehr gut damit unterhalten habe.

 

Platz 3: Marc Elsberg: ›Gier‹ (Blanvalet, 448 S., 24 €)

Ein wahnsinnig gut gemeinter Thriller um eine wahnsinnig öde Idee: während eines Weltwirtschaftsgipfels in Berlin verschwindet die Rede eines Nobelpreisträgers, deren Inhalt – nicht Gier, sondern Kooperation ist für alle das beste – die Weltwirtschaft revolutionieren könnte. Zitat Elsberg: „Wer Vermögens- und Erbschaftssteuern und auch viele andere Steuern wachstumsfeindlich oder ungerecht nennt, kennt sich nicht aus oder lügt die Leute an.“ Ein sozialdemokratischer Wirtschaftsthriller, so packend und aufregend wie das Godesberger Programm.

 

Platz 2: Bela B Felsenheimer: ›Scharnow‹ (Heyne, 416 S., 20 €)

Das Romandebut des Musikers von den „Ärzten“ ist eher eine Freak Show als ein Roman. Mit seinen besseren Einfällen – zum Beispiel einer Pornodarstellerin, die ihren Nachbarn durch die Tür dabei belauscht, wie er ihren Porno ansieht – versöhnt dieses sehr schräge Buch über ein fiktives Dorf in Brandenburg mit seinen Schwächen: einer unnötig aufgeplusterten Figurenschar und mehr als absurden Volten der Handlung.

 

Platz 1: Simon Beckett: ›Die ewigen Toten‹ (Deutsch von Karen Witthuhn und Sabine Längsfeld, Wunderlich, 480 S., 22,95€)

Auch der sechste Roman mit dem forensischen Anthropologen Dr. David Hunter ist wieder ein reiner Betonpfosten-Prosa geschriebener Leichenporno. Ein Beispiel: „Meine Vergangenheit würde immer ein Teil von mir bleiben, aber ich war schon vor langer Zeit zu der schmerzhaften Einsicht gekommen, dass meine Frau und meine Tochter tot waren, ich aber noch am Leben.“ So fad die Sprache, so voraussehbar die Handlung. Die gesammelten Reden eines beliebigen CDU-Parteitags sind spannender als dieser Krimi.

 

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