Literaturkritiker Denis Scheck bespricht einmal monatlich die „Spiegel“-Bestsellerliste, abwechselnd Belletristik und Sachbuch – parallel zu seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“ (Nächste Sendung 5. Mai 23 Uhr 35, Gäste George R. R. Martin, Charles Lewinsky).
Platz 10: Harald Jähner: ›Wolfszeit‹ (Rowohlt Berlin, 480 S. 26 €)
Eine Zeitreise in das in Trümmern liegende Deutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dem Feuilletonisten Harald Jähner gelingt es, paradoxe Einsichten in den Quellcode etwa der jungen Bundesrepublik zu formulieren – ein Beispiel: „So rückwärtsgewandt viele Vertriebene auch waren, in der Nachkriegsgesellschaft wirkten sie als Agenten der Modernisierung. Sie verursachten jene kulturelle und soziale Durchmischung maßgeblich mit, auf die die junge Republik sich später so viel einbildete.“ Unbedingt lesenswert!
Platz 9: Andrea Wulf und Lillian Melcher: ›Die Abenteuer des Alexander von Humboldt‹ (Deutsch von Gabriele Werbeck, C. Bertelsmann, 272 S., 28 €)
So schön und spannend kann Erkenntnis sein: der buchlange Comic von Wulf und Melcher belegt schlagend, warum der extrem neugierige, kosmopolitische und vermutlich schwule Alexander von Humboldt eine der Leitfiguren des 21. Jahrhundert ist.
Platz 8: Ian Kershaw: ›Achterbahn‹ (Deutsch von Klaus-Dieter Schmidt, DVA, 832 S., 38 €)
Wer Orientierung sucht und wissen will, was die Berg- und Talfahrt Europas zwischen 1950 und unserer Gegenwart bestimmt, kann schwerlich besseres tun, als dieses elegant geschriebene Buch des britischen Historikers Ian Kershaw zur Hand zu nehmen. Klug, einsichtsreich, differenziert argumentierend: eine Wohltat.
Platz 7: Jürgen Todenhöfer: ›Die große Heuchelei‹ (Propyläen, 336 S. 19,99 €)
Gerade in direktem Vergleich mit Ian Kershah steht der tolldreiste Jürgen Todenhöfer denn doch ziemlich nackt im Wind: mir scheint dieses wirre jüngste Elaborat für Menschen mit sehr kurzer Aufmerksamkeitsspanne geschrieben und nachgerade gefährlich wegen seines Populismus – das fängt schon beim Untertitel an: „wie Politik und Medien unsere Werte verraten“. Wer ist denn dieses „Unser“, das nicht in „unserer“ Politik und in „unseren“ Medien repräsentiert ist?
Platz 6: Stephen Hawking: ›Kurze Antworten auf große Fragen‹ (Deutsch von Susanne Held und Hainer Kober, Klett-Cotta, 253 S., 20 €)
Dieses Buch beantwortet auf amüsanteste Art Kinderfragen. Zum Beispiel die nach der kleinsten Maßeinheit, der Planck-Länge. „Das ist ein Millimeter geteilt durch 100 000 Milliarden Milliarden Milliarden. Es ist uns nicht möglich, Teilchenbeschleuniger zu bauen, die Untersuchungen an so winzigen Abständen anstellen können“, schreibt Stephen Hawking. Wer jetzt nicht zu Grimms Märchen greift und das Märchen vom „Doktor Allwissend“ nachliest, dem ist nicht zu helfen.
Platz 5: Sebastian Fitzek: ›Fische, die auf Bäume klettern‹ (Droemer, 256 S., 18 €)
Im Skat würde man dieses erste Sachbuch des Thrillerautors Fitzek, bestehend aus gesammelten Lebensweisheiten, den Versuch eines Null ouvert nennen: „Meine Gedanken sind nicht weltbewegend, oft banal“, so Sebastian Fitzek, „wurden von vielen klügeren Frauen und Männern schon sehr viel früher gedacht und von eloquenteren Menschen sehr viel besser diskutiert.“ Schön, wenn ein Autor zu dieser Einsicht gelangt. Aber warum bloß hinter diesen Erkenntnisstand zurückfallen und weiter schreiben?
Platz 4: Michelle Obama: ›Becoming‹ (Deutsch von Harriet Fricke, Tanja Handels, Elke Link, Andrea O’Brien, Jan Schönherr und Henriette Zeltner, Goldmann, 544 S. 26 €)
Der Reiz dieser bemerkenswert uneitlen Autobiographie einer klugen Frau besteht in der Offenheit, mit der Michelle Obama auch die Schattenseiten des Lebens mit einem potentiellen Präsidentschaftskandidaten beschreibt. „Wir lebten inzwischen schon so lange mit den Erwartungen anderer Leute, daß sie beinahe zum festen Bestandteil all unserer Gespräche geworden waren. Baracks Potential saß mit der Familie am Esstisch. Baracks Potential begleitete die Mädchen in die Schule und mich zur Arbeit in die Klinik.“ Wer wissen will, welchen Preis Macht hat, aus diesem Buch läßt es sich erfahren.
Platz 3: Anne Fleck: ›Ran an das Fett‹ (Wunderlich, 432 S. 24,99 €)
Ein Loblied auf Omega-3-Fettsäuren singt auch der Wissenschaftsjournalist Bas Kast, dessen anschaulich geschriebenes und informatives Sachbuch sich auf eine Meta-Analyse aller zwischen 1950 und 2013 durchgeführten Ernährungsstudien stützt. Also: Butter bei die Fische!
Platz 2: Dennis Sand und Marcel Eris: ›Montanablack‹ (Riva, 267 S., 19,99 €)
Die unfreiwillige Komik dieses mit Hilfe eines Coautors verfaßten autobiographischen Auskotztextes hart an der Grenze zum Analphabetentum besteht in der kompletten Verwechslung von oben und unten, Erfolg und Scheitern. „Immer wieder hatte ich total kranke Träume“: auf diesem Niveau schildert Marcel Eris seinen Entzug. Viele Autoren haben schon ihren Kompaß verloren, dieser frühere Junkie und heutige Youtube-Gamer aber sein Schiff.
Platz 1: Bas Kast: ›Der Ernährungskompass‹ (C. Bertelsmann, 320 S. 20 €)
Verantwortung für das eigene Selbst übernehmen beginnt beim Umgang mit Messer und Gabel. Bas Kast wertet für sein Sachbuch eine Meta-Analyse aller zwischen 1950 und 2013 durchgeführten Ernährungsstudien aus und faßt Sie in plausible Ernährungstips zusammen: mehr Gemüse, weniger Zucker, keine Transfette, eher Fisch als Fleisch, möglichst unverarbeitete Nahrungsmittel. Also all das, was man früher zu Hause und heute in jedem besseren Kindergarten lernt.