Hygiene in der Steinzeit

Im Zuge langjähriger Ausgrabungstätigkeiten in den Feuchtbodensiedlungen des nördlichen Alpenvorlandes wurden seit dem 19. Jh. Zehntausende Pflanzenfunde geborgen. Mehr als 350 Pflanzenarten, von denen die jungsteinzeitlichen Siedler viele in irgendeiner Weise nutzten, konnten bislang bestimmt werden.

Das Artenspektrum wiederholt sich von Fundort zu Fundort immer wieder und beinhaltet erstaunlicherweise Pflanzenarten, die offensichtlich aus unterschiedlichen Habitaten stammen. Dies zeigt, dass die damaligen Menschen ihre Umwelt bestens kannten und bestimmte Pflanzen ganz bewusst in ihre Siedlungen brachten. Ein Grundstock an Wissen über Anwendungsmöglichkeiten der einzelnen Pflanzen als Baumaterial, zur Ernährung, zur Textilherstellung einschließlich Färben, für die Heilung von Krankheiten usw. gehörte definitiv zum allgemeinen Kenntnisschatz der Menschen. Ebenso muss die Wirkung der Inhaltsstoffe bestimmter Pflanzen bekannt gewesen sein.

Für unsere Vorfahren waren umfangreiche Kenntnisse über die Pflanzenwelt wichtig zum täglichen Überleben. Sie kannten die Orte, wo gewisse Pflanzen wachsen, sie beobachteten den Reifegrad von Wildfrüchten, um den richtigen Erntezeitpunkt nicht zu verpassen, und sie wussten um die vielfältigen Verwendungsformen einzelner Pflanzenorgane. Die Palette der Verwendungszwecke ist dabei erstaunlich breit. Nicht nur für den Kochtopf, sondern auch für die Behandlung von Wunden und Krankheiten, als Schmuck und zum Färben von Stoffen wurden Pflanzen genutzt. Zudem lieferten Pflanzen Bau- und Brennstoffe sowie Material für Kleidung, Tragebehälter, Fischfangnetze und vieles mehr. Jahrtausendealtes Wissen wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Von Mund zu Mund, da es ja noch keine Schriftzeichen gab. Um die oft recht aufwendige Gewinnung der Materialien, das Know-how sowie den Zeitaufwand für die Herstellung von Objekten nachvollziehen zu können, liefert die experimentelle Archäologie sehr aufschlussreiche Beiträge. Auch Experimente mit den archäobotanisch nachgewiesenen Nutzpflanzen helfen, den Alltag der vorhistorischen Menschen besser zu verstehen.

Bedürfnis nach Sauberkeit

Die auffallend vielen archäobotanischen Nachweise von Samen des Echten Seifenkrauts (Saponaria officinalis), auch Seifenwurz oder Waschwurz genannt, legen die Vermutung nahe, dass die Nutzungsmöglichkeiten dieser Pflanze bereits im Altertum bekannt waren. So konnten auch in mehreren neolithischen Seeufersiedlungen des Alpenvorlands Samen vom Seifenkraut bestimmt werden.

 



Eigentlich sind es die Wurzeln, Stängel und Blätter, die wegen ihres Saponingehalts genutzt werden. Archäologisch haben sich aber lediglich die hartschaligen Samen, also die resistentesten Teile der gesamten Staude erhalten, die als Wuchsorte Flussufer, Weidengebüsche, Auenwälder, Wegränder und Hecken bevorzugt. Mit ziemlicher Sicherheit wurde die gesamte Pflanze mit in die Siedlungen gebracht.

Der lateinische Name verrät den Gebrauch des Seifenkrautes: Sapor bedeutet Geschmack und Seife. Den Galliern war ein Haarfärbemittel bekannt, das sie Saponis nannten. Kleinasiatische Keltenstämme versteiften damit ihr Haar. Beim Echten Seifenkraut liegt der Saponingehalt bei rund fünf Prozent. Diese Saponine schäumen in Wasser auf, sie lösen Schmutz sowie Schleim und lassen Pilze absterben, daher gelten sie auch als Heilmittel gegen Hautkrankheiten und Husten sowie bei verschleimten Bronchien. Außerdem regen sie den Gallen- und Harnfluss an. Mehrere antike Autoren erwähnen, dass Seifenkraut eigens als Wollwaschmittel angebaut wurde. Zur Behandlung der Wolle schnitt man die Wurzeln in kleine Stücke und legte sie in Wasser. Schafe wurden vor der Schur bzw. die Wolle nach dem Scheren mit einem Seifenkrautauszug gewaschen, wodurch die Wolle außerordentlich weiß und flauschig wurde und dann auch leichter gefärbt werden konnte. Bis in die Frühe Neuzeit wuschen arme Mönche mit Seifenkraut ihre Kappen und noch im 19. Jh. dienten die Wurzeln des Seifenkrautes in Griechenland und in Italien zum Waschen.
Wurde pflanzliches Waschmittel für die Reinigung von Materialien und zur Körperpflege benutzt, stellt sich die Frage, ob die damaligen Menschen auch eine gewisse Hygiene betrieben, z.B. nach dem Toilettengang. Moospolster aus verschiedenen Seeufersiedlungen enthielten zum Teil in erheblichen Mengen Fruchtsteine essbarer Früchte, Testareste von Getreide und Karpellreste von Kernobst, die alle mit großer Wahrscheinlichkeit von menschlichen Fäzes stammen. Mit anderen Worten, den weichen Moospolstern, die im Wald gesammelt worden waren, hafteten Kotreste an, was nahelegt, dass sie als neolithisches Toilettenpapier bezeichnet werden können. Inwiefern in der damaligen Zeit für uns so selbstverständliche Tätigkeiten wie Putzen, Wischen und Abwaschen zum Alltag gehörten, entzieht sich unserer Kenntnis.

 

 

 

Sabine Karg studierte an der Universität Tübingen Ur- und Frühgeschichte und promovierte im Fach Botanik an der Universität Basel. Das umfangreiche Pflanzenwissen unserer Vorfahren erforscht sie durch die akribische Analyse von botanischen Funden aus archäologischen Ausgrabungen. Sabine Karg hat sowohl freischaffend als auch für mehrere europäische Forschungsinstitutionen gearbeitet. Sie lebt in Kopenhagen und Berlin, wo sie ihr Wissen an der freien Universtät weitergibt.

 

 

 




Nicht erst seitdem Menschen auf der Suche nach pflanzlichem Ersatz für tierische Produkte und Lebensmittel sind, ist die ungeheure Vielfalt der Pflanzenwelt bekannt. Schon vor 6000 Jahren erkannten Steinzeitmenschen, welche Pflanzen sie sich zu eigen machen konnten. Sie landeten keineswegs ausschließlich im Kochtopf, sondern lieferten ebenso Material für Kleidung, heilten Krankheiten und wurden als Baustoffe genutzt. Das dazu unbedingt notwendige, hochspezialisierte Wissen über Wuchsorte, Erntezeiten und Verwendungsmöglichkeiten gab eine Generation an die nächste weiter. Archäobotaniker entdecken bei archäologischen Ausgrabungen immer wieder Überbleibsel solcher Pflanzen. Dieses Buch stellt die fünfzig wichtigsten Nutzpflanzen der Steinzeit vor und verschafft uns Zutritt zum beeindruckenden Wissensschatz unserer Vorfahren, die vor mehr als 6000 Jahren unter anderem an den Seeufern des Bodensees und in den Moorgebieten von Oberschwaben gelebt haben. Archäologisch greifbare pflanzliche Überreste erzählen uns spannende Geschichten von der Lebenswelt der Steinzeitmenschen. Wer heute seinen Sinn für die Kostbarkeiten unserer Pflanzenwelt schärfen will, sollte sich die Reise dorthin zurück nicht entgehen lassen! 

 

 

Tags: Archäologie, wbg
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