Kunstphilosophie und Ästhetik

Das Alltagsverständnis von Kunst, sie sei mehr oder weniger gelungene Nachahmung der Realität, ist zwar das gängigste, trifft zugleich aber am wenigsten zu. Der Kunst ging es kaum je um Mimesis, sondern darum, etwas auszudrücken. Erst aus dieser Ambition erhielten Kunstwerke ihre machtvolle Rolle innerhalb der Kultur und von da her leitet sich das ab, was man the power of things nennt.

Denn Werke der Kunst und der Architektur sind seit den Anfängen menschlicher Kulturtätigkeit nichts weniger als Ausdruck von Weltdeutungen und Kristallisate kultureller Erzählungen. Daher trugen sie einerseits zur Legitimationsgeschichte von Herrschaftsansprüchen bei und sind andererseits bis heute Objekte, die Hass und Zerstörungswut auf sich ziehen. Diese Zusammenhänge auszuloten, gehört zu den Aufgaben der Kunstphilosophie.

Doch es ist eigenartig: So uferlos Abhandlungen sowohl zur Geschichte der Philosophie als auch zu jener der Kunst sind, so wenig Lust zeigen Philosophen und Kunsthistoriker, das weite Feld dazwischen zu beackern. Daher macht jeder, der einen Blick auf den philosophischen Buchmarkt wirft, eine widersprüchliche Beobachtung: Einerseits fällt ins Auge, dass philosophische Publikationen zur Ästhetik seit einigen Jahren einen regelrechten Boom erleben, dass Philosophen also auf den Megatrend Kunst und Architektur zu reagieren scheinen. Beinahe könnte man meinen, ein gut dokumentiertes Modethema des philosophischen Diskurses vor sich zu haben. Andererseits werden, nimmt man den gesamten Diskurs der Philosophie in den Blick, Kunstphilosophie und Ästhetik nach wie vor wie Stiefkinder behandelt. Die Zurückhaltung hat ihren Grund einmal in der Tatsache, dass angesichts von Ready-mades und Suppendosen die zeitgenössische Kunst der philosophischen Bewältigung stets davoneilt. Das verschärft das ohnehin mit der Kunst verbundene Problem, dass es in diesem Genre – anders als in der klassischen Philosophie – nicht um rationale Argumentationsketten, sondern um Metaphern und Sinnlichkeit geht. Dazu kommen die Ambition selbstbewusster Künstler, die in ihrer Arbeit eigenständige Weltdeutungen entwerfen sowie die unklare Begründungsgeschichte der Ästhetik als philosophischer Disziplin durch Alexander Baumgarten im 18. Jahrhundert, der mit der Aisthesis eine Lehre der sinnlichen Erkenntnis verband. Insofern ist Baumgartens Vorschlag kein idealer Beginn einer philosophischen Ästhetik. Diese komplexe Entstehungsgeschichte der neuen philosophischen Disziplin hat die Klärung der Begriffe Kunstphilosophie und Ästhetik – in Analogie zur Klärung der Begriffe von Kunst und Kunstwerk – durchaus verkompliziert und zu terminologischer Konfusion geführt.

 

Um diese Konfusion zu entwirren, könnte der Vorschlag helfen, einen klaren Unterschied zwischen Ästhetik und Kunstphilosophie zu machen. Ästhetik nimmt auf die Tatsache Rücksicht, dass am Beginn jeder ästhetischen Erfahrung eine sinnliche Wahrnehmung liegt. Sie beschäftigte sich dann mit allen Fragen rund um die ästhetische Wahrnehmung. Kunstphilosophie demgegenüber wäre ein Genre der Philosophie wie andere auch. Kunstphilosophie beschriebe eine philosophische Disziplin, die Fragen um und über die Kunst im weitesten Sinn abhandelt: Vom Wesen der Kunst und über den Sinn von Schönheit, über Rezeptionsfragen und die Eigenart ästhetischer Urteile bis hin zu den kulturellen und philosophischen Kontexten, mit denen Kunst kommuniziert. Erst aus einer solchen Sicht erschließt sich der Sinn der Kunst in ihrer Rolle der Verkörperung kultureller Erzählungen. Insofern gehen Entwicklungen in der Kunst und bei kulturellen, religiösen, philosophischen Erzählungen stets Hand in Hand. Beides sind Strategien des Umbaus der Natur in die Kultur. Kunstphilosophie betrachtet beispielsweise nicht primär die Merkmale unterschiedlicher Baustile, sondern versucht, die jeweiligen dahinterliegenden Ideengebäude zu rekonstruieren. Eine solche Sichtweise erkennt in der Kunst einen besonders reizvollen und sensiblen Reflexionsschirm kultureller Erzählungen im Allgemeinen und philosophischer Erzählungen im Besonderen samt ihrer Veränderungsdynamik.

Im vorliegenden Werk wird erstmals der Versuch unternommen, eine Ideengeschichte der Kunst und Architektur über die gesamte Menschheitsperiode zu erzählen. Das reicht von den Anfängen der Kunst (egal ob man diese mit einer performativen Verehrung der aufgehenden Sonne, dem Auflesen von objets trouvés oder mit den ersten Artefakten verbindet), die zugleich auch die Anfänge der kulturellen Erzählungen sind, bis zur Gegenwart. Es ist nicht so sehr eine Geschichte von materiellen Kunst- und Architekturwerken, sondern von ihren Bedeutungen und den hinter ihnen wirkenden und an sie geknüpften Erzählungen. Der Blick dieser »Kultur-Geschichte« im besten Sinn des Wortes richtet sich dabei auf die bildende Kunst und Architektur des europäischen Raums einschließlich der Gebiete im Orient, wo die europäische Kultur ihre Wurzeln hat. Andere Genres der Kunst wie Musik und Literatur finden im systematischen Teil Erwähnung, wo es u. a. um Fragen nach dem Kunst- und Kunstwerkbegriff, dem Schönen, der Institution, nach Original und Fälschung geht.

 

Den Reiz kunstphilosophischer Fragestellungen macht aus, dass der philosophische Blick auf die Kunst ein erhebliches Explorationspotenzial besitzt. Er offenbart das Entstehen von Religionen und Weltanschauungen, den Transfer solcher Erzählungen, darunter etwa die Strategien, wie sich Menschen höheren Mächten unterwerfen und gleichzeitig das gedeihliche Zusammenleben mit ihnen organisieren. Im Gesamtkontext der Umformung der Natur in die Kultur taucht eine Vielzahl von Aspekten auf, bei denen die künstlerische Praxis Einsichten vorweggenommen hat, die erst einige Zeit später in philosophischer Sprache reflektiert wurden: Sei es das Verhältnis von Ermächtigung und Entmächtigung des Menschen, das Spannungsfeld von Materie und Geist (in der Kulturgeschichte als chthonische und solare Sphäre ausgeschildert) oder jenes von Prozess und System. Kunstphilosophie rückt derart geradezu in die Rolle einer Avantgarde der Philosophiegeschichte.

In diesem Sinn ist Kunstphilosophie ein äußerst faszinierendes Genre der Philosophie und gleichzeitig ein ideales Paradigma für die Bedeutung und Explorationskompetenz der Geisteswissenschaften schlechthin. Dabei sollte die philosophische Klärungs- und Universalisierungsambition jedoch nicht die Grenze zwischen philosophischer Reflexion und dem Kunst- und Architekturwerk vollständig verwischen – schlicht aus Respekt vor der Eigenständigkeit und Dignität der beiden Seiten.

 

Ass.-Prof. Dr. Bernhard Braun lehrt am Institut für Christliche Philosophie der Universität Innsbruck. Seine Arbeitsgebiete sind Philosophiegeschichte, Metaphysik, Ästhetik, Kunst- und Kulturphilosophie.

 

 

  

 

 

Ein ebenso informativer wie faszinierender Gang durch die europäische Kultur-, Ideen- und Kunstgeschichte von den Anfängen künstlerischer Tätigkeit und den begleitenden Weltbildern in Ur-und Frühgeschichte über die Hochkulturen in Mesopotamien und Ägypten, die klassische Antike, Mittelalter, Renaissance und Neuzeit bis hin zur Gegenwart.

 

 

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