Was wir aus der Corona-Krise lernen können – Robert Kelly über Pandemien in der Geschichte, Corona und globale Solidarität

In der Vergangenheit haben Pandemien Gesellschaften – über den Verlust menschlichen Lebens hinaus – grundlegend verändert. Der Schwarze Tod dezimierte die europäische Bevölkerung so stark, dass die industrielle Produktion in bestimmten Sektoren komplett eingestellt wurde.

Infolgedessen wurde Arbeit vielerorts wertvoller, und die Schere zwischen Arm und Reich wurde kleiner. Viele Landbesitzer verabschiedeten sich vom Ackerbau und wechselten zur weniger arbeitsintensiven Weidewirtschaft, was möglicherweise zum Boom der britischen Wollproduktion im 14. Jahrhundert beitrug. Die Geschichte ist eine komplexe Angelegenheit, aber der Schwarze Tod, der nur fünf Jahre lang wütete, war maßgeblich daran beteiligt, das moderne Europa und damit die heutige Weltordnung zu schaffen.

 

Wozu könnte COVID-19 führen?

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder werden wir Mauern bauen – oder Brücken. Mauern zu bauen scheint manchen geradezu verlockend, aber dazu müsste ein Land völlig autark sein, all seine Lebensmittel, Medikamente und Technologien selbst produzieren, und niemand dürfte ein- oder ausreisen. Und die Bürger dieses eingemauerten Landes müssten beten, dass sich die Erreger der nächsten Pandemie nicht über die Luft verbreiten oder über Insekten oder andere Tiere.

 

»Epidemien werden von Menschen übertragen, aber wir können die Menschen nicht davon abhalten, sich frei zu bewegen.«

 

Wie uns gerade schmerzlich bewusst wird, muss ein Virus gar nicht wie der Schwarze Tod Millionen Menschen töten, um die Weltwirtschaft ins Chaos zu stürzen. Epidemien werden von Menschen übertragen, aber wir können die Menschen nicht davon abhalten, sich frei zu bewegen. Geschäfts- und Urlaubsreisen sind das eine. Aber Klimawandel und Kriege werden auch weiterhin Menschen zwingen, ihre Heimat zu verlassen. Und wir hätten es wissen müssen, denn wie die Geschichte zeigt, sind Mauern langfristig niemals eine realistische Option. Mauern funktionieren nicht.

 

»Wir lernen gerade auf die harte Tour, dass wir globale Beziehungen zwischen Regierungen hätten aufbauen sollen, bei denen es selbstverständlich wäre, unseren Nachbarn beizustehen.«

 

Brücken bauen statt Mauern

Die rasche weltweite Verbreitung von COVID-19 und ihre unmittelbaren Auswirkungen auf die Weltwirtschaft sind ebenso offensichtlich wie beängstigend. Das Virus hat uns kalt erwischt, weil wir uns auf eine ganz bestimmte Reaktion auf die Globalisierung eingeschossen haben: andere Menschen auszuschließen und uns mit Waffen und Mauern gegen sie zu schützen. Was wir stattdessen hätten tun sollen? Wir hätten massenhaft Gesichtsmasken, Schutzkleidung, Beatmungsgeräte und Viren-Test-Kits produzieren sollen. Wir hätten von der Klimakatastrophe und von Kriegen bedrohte Menschen auf geplante, koordinierte Weise zu uns holen sollen. Krankheitserregern ist es egal, welche Nationalität jemand hat.

Wir lernen gerade auf die harte Tour, dass wir globale Beziehungen zwischen Regierungen hätten aufbauen sollen, bei denen es selbstverständlich wäre, unseren Nachbarn beizustehen. Globale Kooperation ist nötig, und vielleicht braucht es COVID-19 ja, damit uns das klar wird. Wenn Ihr Nachbar Hilfe braucht, helfen Sie ihm. Warum sollte das anders sein, wenn es um die Beziehungen zwischen Ländern geht? In Wirklichkeit ist die Welt ein einziges Land. Vielleicht ist das nur ›Hopepunk‹, aber ich bin überzeugt davon, dass dies letztendlich eine durchaus sachliche Vision ist. Eine, die sich im unbarmherzigen Licht der sozialen Isolation vielleicht umso deutlicher abzeichnet. Es ist Zeit, dass wir darauf reagieren und endlich handeln.

 

Zum Autor:
Robert L. Kelly führt seit über 40 Jahren mit Leidenschaft Ausgrabungen im Westen der USA durch. Er ist Professor für Anthropologie an der University of Wyoming und Herausgeber von American Antiquity. Wenn dann noch Zeit bleibt, verbringt er sie am liebsten mit Reisen, Skifahren und Klavierspielen.

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