HERKUNFT ist ein Buch über meine Heimaten, in der Erinnerung und der Erfindung. Ein Buch über Sprache, Schwarzarbeit, die Stafette der Jugend und viele Sommer. Den Sommer, als mein Großvater meiner Großmutter beim Tanzen derart auf den Fuß trat, dass ich beinahe nie geboren worden wäre. Den Sommer, als ich fast ertrank. Den Sommer, in dem Angela Merkel die Grenzen öffnen ließ und der dem Sommer ähnlich war, als ich über viele Grenzen nach Deutschland floh.
HERKUNFT ist ein Abschied von meiner dementen Großmutter. Während ich Erinnerungen sammle, verliert sie ihre. HERKUNFT ist traurig, weil Herkunft für mich zu tun hat mit dem, das nicht mehr zu haben ist.
In HERKUNFT sprechen die Toten und die Schlangen, und meine Großtante Zagorka macht sich in die Sowjetunion auf, um Kosmonautin zu werden.
Diese sind auch HERKUNFT: ein Flößer, ein Bremser, eine Marxismus-Professorin, die Marx vergessen hat. Ein bosnischer Polizist, der gern bestochen werden möchte. Ein Wehrmachtssoldat, der Milch mag. Eine Grundschule für drei Schüler. Ein Nationalismus. Ein Yugo. Ein Tito. Ein Eichendorff. Ein Saša Stanišic.
2019. 360 S., HC. Luchterhand, München.
- Artikelart Buch
- Ausstattung Hardcover
- Bestellnummer 1023446
- Erscheinungstermin 28.03.2019
erhältlich als:
- Open-Access-Dokument
- Zusätzliche Inhalte
- Weiterführende Links
- Präsentationen
- Buchflyer
Saša Stanišic lässt die Toten in seiner zauberhaften Prosa auferstehen, es ist ein Anschreiben gegen das Vergessen, dabei überschreitet er die Grenzen zwischen den Zeiten.
Sandra Kegel in der FAZ
"Im Herzen trug ich dich, stets warst du mir teuer, meine liebe Heimat"
Er bekam den Deutschen Buchpreis 2019 und sein Roman konnte sich unter den 20 nominierten Büchern durchsetzen. Ich sah mir die Preisverleihung an und hörte seine Rede. Ein sympathischer Mann, der sich nicht scheute, ganz offen seine Meinung kundzutun. Die Sätze klangen abgehackt und mir viel auch auf, dass er gerne mal vom eigentlichen Thema abwich und immer wieder neue Türen öffnete. So wie er redete, so schreibt er auch und ich brauchte einige Seiten, bis ich mich an seinem Stil erfreute.
Herkunft ist ein eigenwilliges Werk und unterscheidet sich wohltuend von der momentan üblichen Literatur. Es ist nicht grundlos, dass Herr Stanisic den Preis erhielt. Der Autor schreibt davon, wie er die Zeit vor dem Jugoslawienkrieg erlebte und wie die unterschiedlichen Ethnien rücksichtsvoll und einvernehmlich miteinander lebten. Es ist die Rede von einem der letzten Fußballspiele einer jugoslawischen Mannschaft und wie er es erlebte. Zunächst waren es nur vereinzelte Kriegshandlungen, bis der Staat zerbrach und Freunde zu Feinden wurden.
Herr Stanisic erzählt von seiner Kindheit in Jugoslawien und wechselt immer mal wieder zu dem heutigen Leben in Hamburg. Er ist besorgt, dass heute wieder Stimmen laut werden, die offene Grenzen verurteilen und das Land in dem sie leben, gerne völlig abschotten würden. Völkische Stimmen werden laut und es ist kaum zu glauben, aber schon der Name ist ein wichtiges Kriterium der Unterscheidung von Menschen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, welchen Einfluss die Herkunft bezogen auf unsere Ziele und Möglichkeiten hat. Oder, im Gegenzug, welche Möglichkeiten werden uns dadurch verwehrt? Ist die Herkunftsfolklore der Ausweis für Individualität?
Das Buch hat mich nachdenklich gestimmt und zeigte mir, wie sehr die Menschen des einstigen Vielvölkerstaates bis heute unter der Zerschlagung leiden. Das war mir vor dem Leben nicht klar und aus dem Grund bin ich dankbar für das Buch Herkunft. Es ist emotional und von einem Mann geschrieben, der das eigene Erleben in Worte fasste. Nicht das, was er irgendwann einmal irgendwo hörte oder las. Gäbe es mehr als fünf Sterne, ich hätte sie vergeben.