Alejchem, Scholem
Eisenbahngeschichten
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Auszug aus der zweiten Geschichte:
Der glücklichste Mensch in ganz Kodno
Die beste Zeit zum Bahnfahren, wisst Ihr, wann das ist? Im Herbst, kurz nach Sukkot! Es ist weder heiß noch kalt, Ihr musst nicht zum verweinten Himmel hinaufschauen und auch nicht auf die dunkle und traurige Erde hinunter. Regentropfen klatschen an die Fenster, tropfen wie Tranen an der angelaufenen Scheibe herunter. Ihr aber sitzt wie ein Gutsherr in Eurem Waggon dritter Klasse, zusammen mit noch einer Reihe solcher Vornehmer wie Ihr. Ihr werft einen Blick nach draußen, da seht Ihr von weitem, wie sich ein Wägelchen dahinschleppt und langsam durch den Schmutz kriecht. Auf dem Wagen sitzt, ganz in sich gekrümmt, ein Geschöpf Gottes. Der Mann hat sich mit einem Sack bedeckt und lasst seine schlechte Laune am armen Pferdchen aus, das doch auch Gottes Kreatur ist. Und Ihr dankt Gott, dass Ihr ein Dach über dem Kopf habt und unter Menschen seid. Ich weiß ja nicht, wie Ihr darüber denkt, aber ich habe es gerne, zur Herbstzeit, kurz nach Sukkot, mit der Bahn zu fahren.
Das Wichtigste ist für mich ein Sitzplatz, ein guter Platz. Habe ich einen Sitzplatz ergattert und vielleicht noch am Fenster, dann fühle ich mich wie der Zar selbst! Man nimmt den Tabaksbeutel raus, schmaucht ein Zigarettchen nach dem anderen, schaut umher, wer die Mitreisenden sind und mit wem man ein bisschen über Geschäfte sprechen kann. Nun, Fahrgaste sind da. Der Waggon ist angefüllt mit ihnen. Man kann ’s nicht anders sagen, wie ein Fass voller Heringe. Uberall Bärte, Nasen, Hüte, Bäuche, Leiber. Aber richtige Menschen? - nicht ein einziger! Doch, still, da sitzt ja in der Ecke eine komische Figur, ganz für sich allein und wirklich einzigartig. Ich habe ein gutes Auge für solche Sachen, einen außergewöhnlichen Menschen kann ich Euch unter Hunderten ausmachen.
Das heißt, auf den ersten Blick sieht er ja aus wie ein ganz durchschnittlicher Mensch, ein Mann wie jeder Jude, ein Durchschnittstyp oder, wie man bei uns sagt:"ein Mensch wie du und ich". Aber er ist so seltsam gekleidet! Etwas zwischen Kaftan und Schlafrock tragt er, auf dem Kopf ein Mittelding zwischen Hut und Jarmulke. Und was er in der Hand halt: auch wieder halb Schirm, halb Besen. Komische Kleidung!
Mehr daraus im Buch.
2019, 444 S., geb,. 17 x 24 cm, jiddisch-deutsch. De Gruyter / düsseldorf university press, Düsseldorf.
- Artikelart Buch
- Ausstattung Hardcover
- Bestellnummer 1026285
- ISBN 978-3-11-065300-7
- Erscheinungstermin 15.10.2020
erhältlich als:
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- Buchflyer
Efrat Gal-Ed, geboren 1956 in Tiberias, Israel, studierte Judaistik, Germanistik und Komparatistik sowie Malerei und promovierte in Jiddistik. Sie lebt als Malerin und Autorin in Köln und lehrt jiddische Literatur und Kultur an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Simon Neuberg, geboren 1961 in Casablanca, ist seit 2002 Professor für Jiddistik an der Universität Trier. Er gibt mehrere Jiddisch-Wörterbücher heraus. Zusammen mit Marion Aptroot leitet er "Das Symposium für jiddische Studien in Deutschland", das die Jiddistik-Lehrstühle der Universitäten Trier und Düsseldorf jährlich im Wechsel veranstalten.
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